Ich folgte dem Traum aus Bärenfels.
Odin. Wollte er mir etwas sagen?
Es führt mich auf diese Taverne zu, die ich schon einmal mit Bjorn besucht hatte.
Bjorn.
Es versetzte mir einen Stich ins Herz.
Schmerzen. Es fühlte sich seltsam an.
Taub.
Es war, als hätte er sich verabschiedet. Er wollte nichts mit mir zu tun haben.
„Enttäuschung…“, murmelte ich leise vor mich hin.
Das war alles, was ich war. Wieso versuchte ich überhaupt, Odin zu folgen. Er war sicher nicht hier.
Er wollte mich nicht. Ich war keine Jägerin mehr.

Ich starrte meine Fingerkuppen an. Dreck hatte sich in den Wunden gesammelt. Ich sah es jetzt erst. Ich spürte es nicht. Ich spürte nichts.
Der Wald lichtete sich langsam.
Ich war froh. Ich wollte keine Wälder mehr sehen.

Er nahm seinen Dolch und rammte ihn mir ins linke Bein.
Ich schrie auf und Tränen sammelten sich in meinen Augen. Es brannte höllisch. Schnell fasste ich mit meiner Hand an das linke Bein und drückte auf die Verletzung. Das Brennen wurde stärker und warmes Blut floss über meine Hand.

„Anastasya!“. Es riss mich ins Hier und Jetzt zurück. Ich blinzelte. Lynx. Sie war hier. Stand direkt vor mir. Ich starrte sie an. „Wie geht es Dir?“. Die Frage, die ich so oft hörte. Die Antwort war immer die Gleiche.
Ich nickte. „Da.“

Wir liefen gemeinsam weiter. Meine Beine zitterten. War es schlimmer geworden? Ich wusste es nicht. Jeder Schritt war anstrengend. Bei jedem zweiten Schritt zog ich meine Gugel tiefer ins Gesicht. Sie sollten es nicht sehen. Niemand.
Lynx erzählte etwas von der Taverne, die sie in der Ferne gesehen hatte. Ich bekam es nicht ganz mit. Ihre Stimme klang so weit weg, dabei war sie direkt neben mir.
„Ist Taverne… Mit Bjorn gewesen.“, hörte ich mich sagen. Nicht, was ich sagen wollte. Schon wieder.

Je näher wir kamen, desto mehr Stimmen sammelten sich in meinem Kopf. Ich hörte alles und nichts zugleich. Kein einziges Gespräch verstand ich richtig. Ich wollte weg von diesem überfüllten Platz der Taverne.

Also lief ich weiter, lief durch ein Tor hindurch. Lynx war viel schneller als ich. Ich verstand nicht, warum sie alle so rannten… Wie machten sie das?
Auch hier waren ein paar Menschen, doch es waren weniger Stimmen. War hier nicht ‚Der Rat der freien Völker‘?

Lynx redete vom Phönixnest und von Rhea. Ich versuchte ihr zu erklären, dass Rhea mit Bjorn unterwegs war. Ein Mann trat auf mich zu. Ich hielt meinen Kopf gesenkt. Die Gugel durfte nicht herunter rutschen.
„Ich kenne Euer Gesicht.“.
Ich hob vorsichtig den Kopf. Er kam mir bekannt vor.
„Ihr seid verletzt.“
Ich starrte meine Hand an. Verletzt. Schmerzte es nicht, wenn man verletzt war? Wieso schmerzte es nicht?
Er kam auf mich zu. Langsam hob er seine Hand und nahm meine linke Hand in seine. Nach einer Weile ließ er sie wieder sinken. Er sah mir in die Augen. Ich wich seinem Blick aus. Auf einmal riss er mir die Gugel vom Kopf. Ich zuckte zusammen und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
„Wer hat Euch das angetan?“
Ich senkte den Blick zu Boden.
„Kommt mit in unser Lager.“
Er führte mich zu einer hölzernen Bank.
„Setzt Euch.“
Ich folgte seiner Aufforderung und setzte mich langsam. Mit der rechten Hand zog ich die Kapuze der Gugel wieder in mein Gesicht. Nur dieser Mann hatte es gesehen. Sonst niemand hier.

„Also, was ist passiert?“, fragte er erneut.
Was sollte ich ihm nur antworten?
Ich hörte, dass Lynx einsprang. Sie erzählte etwas.
Kirren.
Sein Name.
Der Mann reichte mir eine Flasche mit Wasser.
„Wir haben leider nichts Alkoholisches hier, aber Ihr solltet das auswaschen.“
Ich nickte langsam und nahm die Flasche mit der rechten Hand entgegen.
Eine Weile lang starrte ich die Flasche an.
Wie sollte ich sie öffnen?
War ich wirklich so hilflos?
„Oh, verzeiht.“. Der Mann nahm die Flasche wieder an sich und öffnete sie. Dann reichte er sie mir zurück. Ich nahm sie. Und erinnerte mich an das Auswaschen am Phönixnest. Es hatte furchtbar gebrannt. Doch ich sah den Dreck in den Wunden. Vermischt mit getrocknetem Blut…
Langsam hob ich die Flasche. Ich kippte sie vorsichtig über den Daumen. Und schrie auf.
Ich wollte es nicht. Das war zu viel. Ich ließ die Flasche sinken. Besser war es ohne Schmerzen. Was sollte das Auswaschen denn auch bringen?
Lynx bot an, mir zu helfen. Ich seufzte und starrte die Fingerkuppen an.
Würden die Nägel nachwachsen, wenn ich sie jetzt so ließ?
Vermutlich nicht.
„Kannst Du… helfen?“
Sie nahm die Flasche in die Hand. Ich spannte meinen Körper an. Wieso musste das einzige, was ich fühlte, Schmerz sein?
Der erste Finger. Sie schüttete das Wasser und ich schrie. Mein Körper zitterte. Anspannen half nichts. Was war aus mir geworden?
„Anastasya, nur noch drei. Du schaffst das.“, versuchte sie mich aufzumuntern.
Es wurde nicht besser. Nur schlimmer. Wieso konnte es nicht einfach taub anfühlen? So taub, wie alles andere?
Bald war sie fertig. Zum Glück. Ich starrte auf meine Finger. Es sah nicht schöner aus. Nur roter.

Es kamen mehr Personen dazu. Mehr Stimmen. Was redeten sie? Zwischendurch hörte ich meinen Namen. Ich sagte nichts.
Es fühlte sich an, als wäre ich gefangen. Als umgebe mich ein Bannkreis, der mich von den anderen Personen trennt. So, als säße ich auf der hölzernen Bank dieser Taverne, aber eigentlich war ich woanders. Ich konnte es selbst nicht verstehen.
Ich spürte, wie meine Augen brannten. Tropfen benetzten meine Hose. Tränen. Ich weinte?

Ein paar der Anwesenden kamen näher zu mir. Ich hob den Kopf nicht. Ich wusste nicht, was sie planten.
Eine Flutwelle des Schmerzes durchfuhr meinen gesamten Körper. Jeder Muskel, jeder Fetzen Haut brannte. Und die Stirn. Ich schrie auf. Vor meinen Augen sah ich die Tore Helheims. Garm, der Höllenhund stand dort. Er fletschte die Zähne und knurrte mich an. Ich wollte stehen bleiben oder gar umdrehen, doch etwas zog mich immer weiter in Richtung der Tore. In Richtung Helheim. 
Garm bellte nun grässlich. Dann sprang er mich an. Seine Zähne gruben sich in meinen Hals und ich schrie auf… Und fand mich auf der hölzernen Bank wieder. Was war geschehen? Meine Augen waren weit aufgerissen. War ich eingeschlafen? Es wirkte so real.
„Ich sehe, Magie ist nicht gute Idee.“, hörte ich Jemanden sagen. Die Stimme klang nicht menschlich.
Ganz langsam ebbten die Schmerzen ab. Die Angst vor Helheim blieb.

Irgendwann hob ich vorsichtig den Kopf. Sie waren tatsächlich nicht menschlich… Eine Ratte stand dort. Ich kannte sie. Auf Grenzstein hatte sie mich in den Heilkreis getragen. Und noch etwas, was nicht menschlich war. Ohren. Fell. Wie ein Hund. Oder ein Wolf? Doch die Körperform war menschlich. Es erinnerte mich an die Katzenwesen. „Was hat Menschenweibchen denn?“, fragte das Rattenwesen. Sie verwiesen auf die Verletzung an meinen Fingern.

Das Rattenwesen setzte sich auf den Boden vor mir. Der Stimme nach zu urteilen war es männlich.
Er kramte in seinen Taschen herum und schien etwas zu suchen.
„Was…habt Ihr… vor?“, hörte ich mich fragen. Schon wieder nicht ganz, wie ich es sagen wollte. Was war nur los? Oder spielten meine Ohren mir einen Streich?
„Kräuter. Ist mit Warpstein einfacher, aber darf ich ja nicht.“, erwiderte er und fand schließlich, was er suchte: Ein Mundtuch und ein kleines Glas, verschlossen mit einem Korken.
Das Mundtuch band er sich um. Ich fragte mich, was er vorhatte. Wieso ein Schutz für den Mund?
Doch ich sprach es nicht aus. Es war so anstrengend.
„Grey. Festhalten Menschenweibchen?“.
Der Wolfs-Mensch trat hinter mich. Ich erstarrte. Was hatte er vor?
Ich versuchte, mich zu ihm umzudrehen, ohne die Kapuze vom Kopf zu verlieren.
Er stellte sich hinter mich und fasste mich an den Schultern. Ich zuckte zusammen.
Ich wollte nicht, dass er mich festhielt.

Das Rattenwesen öffnete das Glas und legte den Korken auf den Boden neben sich. Ich starrte den Inhalt des Glases an. Grün-braun.
Er wusste wohl, dass es wehtun würde.
Und dann verteilte er die Kräuter auf den offenen Fingerkuppen.
Niemals hätte ich damit gerechnet, dass Kräuter so schmerzen konnten.
Ich schrie und wand mich, wollte weg von dieser Ratte, weg von den Kräutern, weg von den Schmerzen…
Weg von allem.
Doch der Wolf ließ mich nicht. Er hielt meine Schultern fest, ließ mir keinerlei Spielraum. Mir blieb nur, zu schreien.
Irgendwann endete der Schmerz. Alles war wieder taub. Ich ließ den Kopf sinken.
Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, dass das Rattenwesen ein weiteres Glas öffnete. Etwas Blaues befand sich darin.
„Warte. Habe ich etwas für Menschenweibchen.“, sagte der Wolf hinter mir auf einmal. Er holte ein Buch heraus. „Kann Menschenweibchen draufbeißen.“. Er steckte es mir in den Mund.
Mir blieb keine Wahl. Würde es denn noch schlimmer werden?

Es wurde schlimmer. Ich biss in das Buch.
Alles verschwamm. Der Schmerz und ich waren die einzigen an diesem Ort. Es war, als wäre ich in einem Kokon gefangen. So wie Raupen. Nur, dass ich nicht das Gefühl hatte, zu einem Schmetterling zu werden.
Erst jetzt, mit dem Schmerz, bemerkte ich es. Ich war gefangen. Die Welt um mich herum war nur noch verschwommen. Die Menschen. Ihre Stimmen hörte ich kaum. Ich schrie, ich wand mich und ich biss dabei auf das Buch, das mir der Wolf in den Mund gesteckt hatte.
Irgendwann endete der Schmerz. Der Kokon blieb.

Das Rattenwesen sagte, dass es jetzt besser werden würde.
Ich fragte mich, was er meinte.
Was sollte besser werden?
Schmerzen hatte ich schon vorher nicht.
Sie ließen sie nur immer wieder aufleben. Und ich verstand nicht, warum.
Er wickelte mir einen Verband um die Hand.
Ich starrte meine Hand an.

Weitere Stimmen kamen dazu. Sie sprachen über Jemanden.
Kirren.
Die Beschreibung. Das konnte nur er sein. Was hatten sie vor?
Der Mann, der uns empfangen hatte, – Toras – setzte sich neben mich.
„Wir finden ihn.“, sagte er. Es klang, als sei er sich in seinem Leben noch nie so sicher gewesen.
Ich wusste nicht, ob ich etwas sagen wollte.
Freute mich das?
Sollten sie ihn kriegen?
Ich wusste es nicht. Alles war so taub.

„Da hinten ist Breeg.“, erklärte Lynx mir.
Es drang durch den Kokon durch.
Ich hob den Kopf. Sah ihn nicht.
„Wo?“, hörte ich mich sagen. Es klang leise. Erbärmlich.
„Da hinten.“, erwiderte sie und zeigte in eine Richtung. Ich sah ihn. Er kam auf uns zu.

„Anastasya.“, begrüßte er mich.
„Breeg.“, antwortete ich. Wahrscheinlich hatte er es gar nicht gehört.
„Seid ihr nicht mit mehr Leuten gereist? Wo sind sie?“, fragte er.
Lynx erklärte ihm, dass sie alleine weitergereist war.
„Bärenfels.“, murmelte ich leise. Ob er es verstanden hat, wusste ich nicht. Das musste an dem Kokon liegen, in dem ich mich befand. Sie würden es verstehen, wenn sie ihn sehen würden.
„Conner ist hier.“
Ich hob meinen Blick etwas an.
Conner.
Der Name sagte mir etwas.
Hinter den Sümpfen. Er war verwundet worden. Ich hatte ihm geholfen.
Mein Körper zuckte unwillkürlich zusammen.
Die Runen.
„Er heißt uns in seinem Lager willkommen.“, fügte Breeg hinzu.
Überall waren Stimmen zu hören, doch ich konnte mich auf seine konzentrieren.
Conner war hier.
Wieder zuckte ich zusammen und senkte den Blick.
Nein. Ich war eine Enttäuschung. Vermutlich wollte er mich so gar nicht sehen.
Die Stimmen vermischten sich wieder zu einer unverständlichen Masse.

Auf einmal tauchte vor mir eine Rune auf.
Dagaz.
Ich starrte die Rune an.
Breeg hielt sie in der Hand. Wo hatte er sie her?
„Was ist mit dieser Rune?“, fragte er mich.
„Dagaz…“, murmelte ich leise. Wie konnte das sein? Gerade diese Rune.
Für mich schien sie nichts Gutes zu bedeuten.
„Nicht gut… Rune. Mich.“, hörte ich mich sagen.
Es war schon wieder anders, als ich es sagen wollte. Der Kokon. Er hielt mich auf.
„Du hast etwas davon gesagt, dass sie mit Feuer zu tun hat.“
„Ist Rune… Tag. Nacht. Wandel. Und… Feuer. Auch Wasser. Und ist Sanduhr.“, gab ich zurück.
Es fühlte sich so seltsam an, über diese Rune zu sprechen. Sie standen mir so nahe. Jetzt waren sie nicht mehr als Steine. Und Odin? So fern wie nie.

Das ist keine Sanduhr.“, antwortete Breeg. „Du hast gesagt, es geht um Gegensätze, Dinge, die sich abwechseln. Eine Sanduhr läuft durch und muss dann umgedreht werden.“
Ich hob den Kopf etwas.
„Tag und Nacht kann man nicht aufhalten, nach jeder Nacht kommt ein Tag. So wird es auch bei dir sein. Nach allem Bösen, das passiert ist, muss etwas Gutes kommen. Du aus dem Norden kennst das doch. Egal, wie lang die Nacht ist, egal wie kalt sie ist. Am Ende kommt immer der Tag. Ohne Nacht wüssten wir nicht einmal, dass es den Tag gibt. Also brauchen wir beides. Wie eine Waage. Ein Gleichgewicht.“
Ich starrte ihn an.
Er hat Recht.
Mir war, als würde ich ein leises Geräusch hören. Ein Knacken. Ein Reißen. Nicht in der Ferne, wie sonst, sondern genau hier. Genau bei mir. Und Licht. Lichtstrahlen drangen zu mir.
Für einen Augenblick wirkte alles nicht mehr so verschwommen.

„Sie kommen. Versteckt sie!“.
Schnell zog ich meine Kapuze wieder tief ins Gesicht. Wer kommt? Wer soll sich verstecken?
Die Leute sprangen rum, liefen umher. Alle redeten, ich verstand kein einziges Wort mehr.
Jemand packte mich am Arm. Lynx.
„Komm.“, forderte sie mich auf. Sie begleitete mich zu einem hölzernen Gebäude. Meine Beine zitterten. Es fiel mir schwer, geradeaus zu laufen. Und ich verstand nicht, wieso.
Was sollten wir an diesem Gebäude?
Breeg lief an uns vorbei und kletterte auf das Dach. Es gab mehrere Ebenen. Er kletterte nach ganz oben und nahm seinen Bogen in die Hand.
„Wir müssen da hoch.“. Ich hielt mich mit der rechten Hand fest und versuchte, hinauf zu klettern. Ich brauchte lange. Und was sollte das überhaupt? Wir waren auf der tieferen Ebene.
„Dort sind… Nurgle-Anhänger.“, erklärte Lynx. Ich sah sie fragend an. Dann fiel mir etwas ein.
In Moordorf. Waren sie nicht Schuld daran gewesen, dass es uns so schlecht ergangen war?
Nurgle. Ich erinnerte mich an ein Gespräch. Es fühlte sich an, als sei es unglaublich lange her gewesen…
Dieser Mann mit dem Hammer, der mir seinen Namen nicht verraten wollte, hatte mir etwas darüber erklärt. Ich konnte mich nur nicht mehr daran erinnern, was er mir erklärt hatte.

„Sie haben kein Gesicht!“, hörte ich jemanden sagen. Es dauerte einen Augenblick, bis ich die Stimme zuordnen konnte.
Breeg. Es war Breeg.
„Kein… Gesicht?“, murmelte ich leise. Nur Lynx hörte es. Sie schien ähnlich verwirrt zu sein wie ich.
Ich versuchte, mich an den Nurgle-Anhänger in Moordorf zu erinnern. Hatte er ein Gesicht gehabt? Ich konnte es gar nicht sagen…
Wir warteten weiter auf dem Holzdach. Ab und zu lief ein anderer Bogenschütze an uns vorbei.
„Hat Batras… Steine gegeben. Mir.“, hörte ich mich auf einmal sagen. Ich weiß nicht, warum ich ihr das mitteilte. Es war schon so lange in meinem Kopf gewesen.
„Steine?“, fragte Lynx. Sie wirkte verwirrt.
„Hat gesagt sollen helfen…“, fügte ich hinzu.
„Helfen sie?“, fragte sie.
„Ich weiß nicht…“, gab ich zurück. Ich wusste es wirklich nicht. „Habe ich… nicht mehr Schmerzen seitdem…“
Sie nickte. „Das ist doch gut.“
War es das?

Irgendwann beruhigte sich die Aufregung wieder.
Breeg kletterte als Erster von dem Holzgebäude herunter. Er half Lynx beim Herunterklettern. Dann mir.
Ich kam mir so hilflos vor. Wieso schaffte ich das nicht selber? Ich konnte immer klettern. Warum jetzt nicht mehr?

„Breeg.“, wollte ich ihn rufen. Er hörte es nicht. „Breeg.“. Ich versuchte es noch einmal. War ich zu leise?
Lynx sprang für mich ein. „Breeg!“, rief sie. Er sah zu uns. „Hast du gesagt… ist Conner hier?“, fragte ich. Er kam auf mich zu. „Ja. Sie haben dort hinten ihr Lager.“. Er zeigte in eine Richtung. Ich konnte ihn nicht sehen, doch ich glaubte Breeg.
„Sollen wir hingehen?“, fragte er. Ich zögerte, nickte dann aber langsam.
Ich war eine Enttäuschung, aber ich wollte trotzdem schauen, wie es ihm ging. Wollte schauen, ob die Heilung erfolgreich gewesen war.

Lynx ging vor. Ich folgte ihr. Breeg bildete die Nachhut.
Wir gingen durch ein hölzernes Tor hindurch und dann zwischen einigen Bäumen hindurch.
„Dort ist ihr Lager.“, erklärte er und zeigte in Richtung eines großen Platzes, auf dem viele Pflanzen wuchsen. In der Ferne konnte man einige Personen erkennen. „Sie sind gerade dabei, ein Ritual abzuhalten. Wir sollten sie nicht stören.“
Ich nickte und sah den Kreis, den sie um ihr Lager gezogen hatten. Fremde Zeichen waren zu sehen.
Wollten wir warten? Es schien ganz so, denn wir blieben stehen.
Zwischendurch hob ich den Blick etwas. Es waren so viele Menschen hier. Menschen und auch andere Wesen.

Auf einmal kam ein Wesen, das mir bekannt vorkam.
Ich erstarrte.
„Wir… sollten gehen.“, sagte ich schnell. Breeg und Lynx sahen sich um. Sie kamen direkt auf uns zu. Nurgle-Anhänger. Zwei davon.
Wir setzten uns in Bewegung. Wieder hatte ich Mühe, ihnen zu folgen. Wieso rannten sie denn auch so?

In der Nähe des Lagers von Toras wurden wir aufgehalten.
„Seid Ihr nicht die, die entführt wurde?“. Langsam hob ich den Blick. Entführt? „Wir wollen Euch helfen.“
Wie denn helfen?, dachte ich.
„Wir haben nicht viel Zeit, wir wollten dem Lager Bescheid sagen…“, gab Breeg ihnen zu bedenken.
„Wie sieht der aus, den ihr sucht?“, fragte die einzige Frau in der Gruppe.
Ich senkte den Blick wieder. Das war nicht, wie sie mir helfen würden.
Lynx gab eine kurze Beschreibung ab. Sie bedankten sich und gingen wieder. Geholfen hatten sie mir nicht.
Breeg gab im Lager Bescheid, dass die Nurgle-Anhänger auf dem Weg waren. Ich setzte mich wieder hin. Mein Körper fühlte sich so schwach an.

„Alle mal herhören! Die Blutige Seegurke veranstaltet einen Prügel-Wettbewerb! Alle, die teilnehmen wollen, mögen sich bei uns anmelden. Der Gewinner erhält die Teilnahmegebühren der Anderen!“, hörte ich Jemanden in der Ferne rufen. Ein Prügel-Wettbewerb? Wozu? Ich schüttelte den Kopf.

Immer mehr Personen sammelten sich in der Nähe des Lagers. Die Nurgle-Anhänger redeten in der Ferne mit dem Rattenwesen und dem Wolf. Was hatten sie nur vor? Diesen Dingern konnte man doch nicht trauen?
Irgendwann verstand ich auch, weshalb sich mehr Leute bei uns sammelten. Der Steckbrief hing aus. Sie wollten das Geld verdienen.
Ich erhob mich langsam und näherte mich dem Steckbrief. Ich wollte wissen, was sie geschrieben hatten. Doch die Schrift war so verschwommen. Ich konnte kaum etwas erkennen.
„Was ist denn überhaupt passiert?“, hörte ich eine Frau fragen.
„Der Gesuchte hat diese Frau überfallen und ihr die Fingernägel herausgerissen.“, antwortete jemand Anderes. Es war, als würden sie über einen Fremden reden. Und dabei handelte es sich um mich.

Breeg und Lynx schlugen vor, noch einmal bei Conners Lager vorbeizuschauen. Ich nickte und folgte ihnen. Die Nurgle-Anhänger waren noch immer in der Nähe, also machten wir einen großen Bogen um sie. Ich kam mir verloren vor.

Wir kamen am Lager an. Der Kreis befand sich noch immer um ihr Lager. Ich wollte ihn nicht übertreten. Wer wusste schon, was passieren würde?
Also blieben wir in einiger Entfernung stehen und warteten ab.
Ich hielt den Kopf wieder gesenkt und zog mir die Kapuze tiefer ins Gesicht.
Wieso war ich überhaupt hier?
Odin hatte doch nicht wirklich seine Raben nach mir gesandt?

„Oh, Anastasya!“, begrüßte mich eine bekannte Stimme. Schritte. Er kam auf mich zu. Ich hob den Kopf ein wenig… und erkannte ihn. Der Mann mit dem großen Hammer. Der, der uns schon in Moordorf geholfen hatte. Der, der mir die Nurgle-Anhänger erklärt hatte. Und auch vorher hatte ich ihn schon öfter gesehen. Nur seinen Namen hatte er mir nie verraten.
„Wo hast du Bjorn gelassen?“, fragte er. Ich zuckte etwas zusammen. Wieder spürte ich, wie sich Tränen in meinen Augen sammelten. Ich konnte nichts dagegen tun.
Enttäuschung.
„Bären…fels.“, erwiderte ich. Bjorn. Er wollte mit mir nichts mehr zu tun haben.
„Anastasya. Ist alles in Ordnung?“. Der Klang in seiner Stimme veränderte mich. Für einen kurzen Augenblick trafen sich unsere Blicke, dann sah ich schnell wieder hinab. Ich wollte das nicht. Er sollte nicht sehen, dass ich weinte.
„Ich komme wieder, wir reden später, ja?“
Damit ging er weiter.

„Ist sie das?“. Wieder eine bekannte Stimme. Ich hob den Blick etwas.
Conner. Er erkannte mich nicht wieder.
Natürlich erkannte er mich nicht wieder.
Alles vermischte sich wieder ein einem großem Wirrwarr aus Stimmen.
Sie redeten über mich, redeten über ihn… Kirren.
Sie sahen meine Hand an. Die Finger.
Ich rührte mich nicht.
Wieder fühlte ich mich gefangen. Entfernt von allen, obwohl ich doch dort sein musste. Genau bei ihnen. Der Kokon.
Ich vernahm nur wenige Stimmen deutlich.
„Ich stehe in Eurer Schuld. Ich werde alles dafür tun, um Euch zu helfen.“
Helfen… Wobei wollte er helfen?
Ich hatte das jetzt schon so oft gehört.
„Kommt erst einmal in unser Lager. Ihr seid herzlich willkommen.“
Es kamen noch mehr Menschen aus dem Lager zu Conner. Ein paar kamen mir bekannt vor. Ich zog die Kapuze wieder in mein Gesicht.
Wir näherten uns dem Lager, doch dort war noch immer dieser Kreis… Ich blieb kurz davor stehen.
Runa hatte versucht, mich magisch zu heilen. Direkt… danach. Es war nicht gut gewesen.
Die Götter wollten mich nicht mehr. Vermutlich sollte ich nicht nur diesen Kreis gehen.

Lynx und Breeg verstanden, warum ich zögerte. Sie versuchten, ihnen mein Problem zu erklären. Breeg durchschritt den Kreis. Ihm geschah nichts. Doch sie rieten mir, es besser nicht zu riskieren. Ich wusste nicht, ob ich es riskieren sollte. Die Götter hatte ich bereits verloren. Es blieb mir also nichts mehr, was ich noch verlieren konnte.
„Ich hole unsere Heilerin.“, erklärte er. Dann war er weg.
Ich blieb weiterhin dort stehen. Starrte den Kreis an. Die Zeichen. Es waren keine Runen.

Ein wenig später kam Conner mit einer Frau wieder.
„Setzen wir uns dort drüben hin.“, schlug sie vor und führte mich zu einer Steintreppe.
Ich setzte mich langsam. Was hatte sie vor?
„Ich werde den Verband wechseln.“. Sie deutete auf meine Hand.
Ich folgte ihrem Blick. Der Verband war bereits blutverschmiert. Ich hatte nichts davon gespürt.
Sie wickelte den Verband ab. Dann holte sie ein Glas aus ihrer Tasche. Sofort spannten sich die Muskeln in meinem Körper an. Was hatte sie vor? Schon wieder ein Glas?
„Das ist eine Salbe.“, erklärte sie. „Das wird helfen.“
Wobei helfen?, dachte ich. Wieso sagten alle, dass sie mir helfen werden?
„Tut weh Salbe?“, hörte ich mich fragen.
„Ja… Das kann ein wenig brennen.“, gab sie zurück.
Schon wieder.
Ich nickte langsam.

Lynx und Conner hatten sich neben mich gesetzt. Die Frau nahm die Salbe… und begann, sie zu verteilen. Ich schrie auf. Wieder drang nur der Schmerz durch den Kokon. Wieso konnte ich mich nicht befreien?
Jemand strich über meine Schulter. Sie redeten etwas davon, dass ich nur kurz stark sein muss. Dass es bald aufhören würde.
Es. Was? Was würde aufhören?
Sie machte weiter. Die Schmerzen wurden schlimmer. Ich wand mich. Ich wollte das nicht. Ich wollte weg. Wieso war ich sonst so taub? Wieso spürte ich nur den Schmerz?

Irgendwann war es vorüber. Sie verband meine Hand mit einem neuen Verband. Conner und sie blieben noch eine Weile bei mir sitzen. Er bot mir Essen und Trinken an. Ich wollte nicht.
Lynx erzählte von Kirren. Erzählte, was passiert war.
Mein Körper begann sofort zu zittern.
Er nahm meine linke Hand. Ich war nicht in der Lage, mich zu wehren. Ich ließ es geschehen.
Er hielt meinen Daumen fest.
Und rammte mir den Dolch unter den Nagel.
Wie eine Welle überflutete mich der Schmerz, ich schrie auf, wand mich, doch was tat er? Er riss den Fingernagel heraus. Eine erneute Welle des Schmerzes. Mein Schreien wurde lauter, ich drückte meinen Kopf wieder in den Waldboden, spürte Dornen, die sich in meine Haut rissen und spürte sie doch nicht.

„Anastasya.“. Ich schreckte auf. Conner und die Frau waren nicht mehr da. Jemand hockte sich vor mich. Der Mann mit dem Hammer.
„Wollen wir uns woanders hin setzen?“, fragte er. „Irgendwo, wo es ruhiger ist?“
Ich schwieg. Wollte ich das? Wieso?
Ich konzentrierte mich darauf, den Blick gesenkt zu halten.
„Was ist passiert, Anastasya?“, fragte er.
Nicht schon wieder. Ich wollte es nicht schon wieder hören.
Doch Lynx blieb ruhig. Es war, als wüsste sie, was ich dachte.
„Was ist mit deiner Hand?“. Er ließ nicht locker.
Ich zitterte. „Hat er… Finger…Nägel. Genommen.“, antwortete ich.
„Was ist seit letztem Mal passiert?“, fragte er eindringlich.
Was meinte er damit?
„Letztes…Mal?“, fragte ich leise. Hatte ich ihn nicht zuletzt in Moordorf gesehen? Oder war er bei der Taverne am Turm dabei gewesen? Am Phönixnest? Nein… Daran würde ich mich doch erinnern?
Ich traute meinem eigenen Kopf nicht mehr.
„Beim letzten Mal… da war doch dieser Nurgle-Anhänger… Was ist da noch passiert?!“. Er klang ernsthaft besorgt. Das wunderte mich.
Ich schüttelte verwirrt den Kopf.
Nurgle-Anhänger? Was hatte das damit zu tun?
„Was ist passiert?“, fragte er dann. Wieder antwortete ich nicht. Ich konnte nicht. „Hat dir das jemand angetan?“
Ich nickte langsam.
„Darf ich mir das ansehen?“, fragte er.
Ich nickte noch einmal.
Er wickelte den Verband vorsichtig ab, bis er die Fingerkuppen sah. Für einen kurzen Augenblick zuckte er zusammen. Dann befestigte er den Verband wieder.
„Wer war das?“. Seine Stimme wurde leiser. Es klang fast bedrohlich.
„Kirren.“, erwiderte ich leise.
„Wir sollten uns etwas von den anderen Menschen entfernen. Da können wir ihn Ruhe reden.“, schlug er vor. „Dort oben, wo die Straßenkinder sonst sitzen.“
Ich zögerte und schwieg.
„Willst du es mir erzählen?“, fragte er dann direkt.
„Da.“, hörte ich mich sagen.
Diesmal wollte ich es wirklich erzählen. Ich wusste nur nicht, wieso.

Er stützte mich beim Laufen und führte mich ein paar Treppen hinauf. Hier liefen weitaus weniger Personen herum.
„Setz dich.“
Ich nickte und setzte mich auf die Treppenstufe.
„Also. Was ist passiert, Anastasya?“
Ich begann zu erzählen.
Mein Körper zitterte. Es wurde bei jedem Wort, das ich aussprach, schlimmer. Ich wusste nicht, ob er mich überhaupt verstand. Ich erzählte von der Heilung auf Burg Grenzstein. Von seiner Reaktion darauf. Und von seinem wachsenden Hass. Wie er mich gejagt hatte. Auf der Mühle. Am Turm… Und schließlich erzählte ich vom Phönixnest.
Er hörte mir zu. Ich brauchte so lange zum Erzählen, doch er saß einfach dort und hörte mir zu.

Auf einmal hob er meinen Kopf etwas an. Ich fürchtete, dass er die Sanduhr sehen würde. Doch er sah mir einfach nur in die Augen.
Es war genau dieser Moment… Diese stechend blauen Augen. Sein Blick veränderte sich. Wurde sanfter. Nicht mehr so ernst.
Da war es wieder. Dieses Geräusch. Es war wie ein leises, weit entferntes Knacken.
Ich konnte es ganz genau hören.
Und auf einmal verstand ich es.
Es waren Risse entstanden. In meinem Kokon.

„Galador!“, rief er auf einmal und erhob sich.
Den Namen hatte ich schon gehört.
Ja. Das musste der sein, der Lynx in Moordorf geholfen hatte. Ihn hatte ich auch schon sehr oft gesehen.
„Galador, komm her. Es ist wichtig.“, wiederholte sich der Mann mit dem Hammer. Seine Stimme klang wieder sehr ernst. Was war wichtig?

Galador kam zu uns. Ich hatte Recht, es war der Mann, dem ich schon oft begegnet war. Der Mann, der Lynx geholfen hatte, die Krankheit in Moordorf zu überstehen.
Galador und der Mann mit dem Hammer entfernten sich von uns. Sie schienen ungestört über etwas reden zu wollen.

Irgendwann kamen sie wieder näher in meine Richtung. Sie sprachen über die Sanduhr von Kirren. Sprachen über sein rotes Auge. Ich sah es wieder genau vor mir. Wie er angesprungen kam… Wie er mich zu Boden geworfen hatte. Wie er mir die Klinge an die Kehle gedrückt hatte…

Ich erzählte ihnen von den Schreien in der Sanduhr. Die Schreie, die ich zuerst nicht gehört hatte… und dann doch.
Ich erzählte davon, wie Kirren sich auf einmal seltsam verhielt. Wie er behauptet hatte, jemand anderes zu sein.
„Das klingt mir nach einem Dschinn.“, überlegte Galador. „Einer, der Seelen haben möchte…“
Ich nickte langsam, doch ich wusste nicht, was ein Dschinn war.
Und was wollte er mit Seelen?
Wieso wollte er meine Seele?

Lynx erzählte ihnen auch von meiner Reaktion auf magischen Einfluss.
Ich wollte es nicht hören.
Ich wollte nicht hören, dass die Götter mich verlassen hatten.

„Und bei der Heilung sind die Wunden wieder aufgeplatzt?“, fragte der Mann mit dem Hammer. Ich nickte. Er sah zu Galador.
„Vielleicht kehrt sich die Wirkung jetzt um.“, überlegten sie.
Ich dachte darüber nach.
„Wir könnten das ausprobieren.“. Galador sah zu dem Mann mit dem Hammer.
„Ausprobieren?“, fragte Lynx. Die Frage, die auch ich gerne gestellt hätte.
„Wenn man Schmerzen zufügt und es dann heilt, wissen wir, dass es sich umkehrt.“, erklärte Galador.
Ich zuckte zusammen.
Schmerzen zufügen.
Das klang nicht gut.
Lynx war auch dagegen.
Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Besser nicht.“
Galador hörte auf sie und ließ es sein.

Doch sie redeten noch eine Weile über mich.
Sie fragten Lynx, ob ich mich seitdem anders verhalte.
Sie fragten Lynx, ob ich aß und trank.
Njet., dachte ich, doch ich schwieg.
Lynx erklärte ihnen, dass sie mich auch erst im Wald wieder getroffen hatte.
Es war, als würden sie über eine Leiche reden, die neben ihnen lag.

Der Mann mit dem Hammer sprach wieder mit Galador. Dann erhoben sich beide von der Treppe.
„Es ist am Besten, etwas Normales zu machen. Wir sollten darüber nicht weiter sprechen. Wir holen jetzt etwas zu trinken. Wartet hier.“
Der Mann mit dem Hammer ließ seinen Hammer hinter uns auf der Treppe.
Dann verschwanden sie.
Lynx und ich schwiegen den Großteil der Zeit.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
Sie fragte zwischendurch, ob es mir gut gehe. Ich nickte nur.

Bald kamen die beiden Männer wieder zu uns.
Der Mann mit dem Hammer gab mir einen Zinnbecher mit Wasser und setzte sich neben mich.
„Habt Dank.“, gab ich leise zurück.
Ich war wirklich dankbar.

Mir kam noch etwas Anderes in den Sinn.
Wieso hatte er mir in Moordorf seinen Namen nicht verraten?
„Sagt Ihr mir… Name?“, hörte ich mich fragen. Meine Stimme klang noch immer so schwach.
Für einen kurzen Augenblick lachte er.
„Der Tag wird kommen, an dem du meinen Namen erfährst. Aber dieser Tag ist noch nicht heute.“, gab er zurück. Ich seufzte leise. Wieso nur?

„Warum ist Bjorn nicht hier?“, fragte der Mann, der mir seinen Namen nicht verraten wollte auf einmal.
Ich zuckte zusammen. Irgendwie schmerzte es.
„Will er mich nicht mehr sehen…“, nuschelte ich. Tränen stiegen in meine Augen und ich hasste mich dafür.
„Du willst ihn nicht mehr sehen? Wieso?“, fragte er sofort.
„Njet. Will er mich nicht mehr sehen.“, wiederholte ich. Hatte er es nun verstanden?
„Das glaube ich nicht.“, gab er zurück.
Ich nickte. Doch. Es stimmte.
„Hat er … liegen gelassen in Bärenfels mich… Hat er gesagt soll ich schauen was ich mache… Wollte er nichts mehr wissen…“. Meine Stimme klang immer undeutlicher, je mehr ich redete.
Er schüttelte den Kopf und ich hob meinen Blick etwas, um ihn zu beobachten.
„Ich kümmere mich darum.“, gab er zurück.
Wie wollte er sich darum kümmern?
Bjorn wollte mich nicht mehr sehen… Ich war zu schwach gewesen. Er wollte nicht, dass ich schwach war.

Breeg kam zu uns. Ich erkannte ihn an seinen Stiefeln. Meinen Blick hielt ich weiterhin gesenkt und starrte den Zinnbecher an.
„Conner hat eine Idee, wie er ihr helfen kann.“, erklärte er. „Sie haben vor, einen Exorzismus durchzuführen um das, was in ihr ist, herauszuholen.“
Die Luft schien plötzlich kälter zu werden.
Der Mann mit dem Hammer wirkte aufgebracht.
„Wenn jemand versucht, einen Exorzismus an ihr durchzuführen, dann liegt er da hinten in den Büschen!“, erwiderte er drohend.
Selbst Breeg schien nach dieser Drohung zusammenzuzucken.
„Ich überbringe ja nur die Nachrichten.“, sagte er und drehte sich wieder um.

Bald kam Breeg wieder. Er brachte Conner mit sich.
Conner kam direkt zu mir.
„Geht es dir besser?“, fragte er.
Ich nickte langsam. Aber eigentlich wusste ich es nicht genau.
Besser als was?
Er kam in ein Streitgespräch mit dem Mann, er mir seinen Namen nicht verriet.
„Woher kennt Ihr sie?“, fragte der Mann mit dem Hammer.
„Ohne sie wäre ich tot. Sie hat mir das Leben gerettet. Mit ihren Runen.“, erwiderte er. Ich zuckte zusammen. Die Runen. „Ich werde alles tun, um Anastasya zu helfen.“
„Das ist, was jeder von uns Dreien möchte.“, gab der Mann mit dem Hammer zurück.
„Vier.“, fügte Lynx hinzu. „Aber mit Magie kann man ihr nicht helfen.“
Conner schien es nicht zu verstehen.
Sie erklärten ihm, was sie glaubten. Es waren verschiedene Ideen.
Ich verstand nicht genau, wie sie darauf kamen oder was genau sie meinten.
In einem Aspekt waren sie sich aber einig: Dass Magie für mich zurzeit schlecht sei.

„Wir müssen einen Weg finden, das aufzuheben.“. Conner klang entschlossen. „Es wäre schade, wenn sie mit ihren Runen niemanden mehr heilen könnte.“
Ich zuckte zusammen. Schon wieder sammelten sich Tränen in meinen Augen.
Odin. Odin hatte mich verlassen.
Ich wollte doch nur wieder zurück.
„Anastasya, ist alles in Ordnung?“, fragte Lynx mich.
Ich nickte. Die Tränen in meinen Augen verrieten mich. Sie glaubte mir nicht.

Conner sprach mit dem Mann, der mir seinen Namen nicht sagte.
Was genau sie sagten, verstand ich nicht.
Ich dachte über die Götter nach. Über die Runen. Was hatte ich nur getan? Hätte ich die Götter damals nicht um Hilfe für Kirren gebeten, wäre es nie so weit gekommen.

Galador und der Mann mit dem Hammer entfernten sich von mir. Sie folgten Conner. Was hatten sie vor? Es wirkte so, als würden sie sich nicht leiden können.
Ich blieb weiterhin auf der Treppe sitzen. Ich kam mir so hilflos vor. Ganz so, als würde ich ertrinken. Nur, dass ich dabei nicht starb.

Bald kamen sie zurück.
„Anastasya, komm mit uns.“. Der Mann mit dem Hammer stand vor mir. Ich gab ihm den Zinnbecher zurück. Wo wollten sie hin?
Es waren einige andere Stimmen zu hören. Viele Personen. Ich erhob mich. Der Mann mit dem Hammer versuchte, mich zu stützen.
Wir liefen die Treppenstufen hinab. Ich folgte ihnen einfach. Ich wusste nicht, wohin sie wollten, ich konzentrierte mich nur darauf, den Kopf gesenkt zu halten, damit niemand die Sanduhr sehen konnte.

Die Stimmen wurden immer mehr. Ich sah unzählige Stiefel am Boden. Viele Personen begleiteten uns also. Und wir liefen durch die Menschenmenge hindurch, die sich vor der großen Taverne eingefunden hatten, um zu trinken und zu feiern.

Bald kamen wir zu einer weiteren Treppe. Waren wir einmal über den gesamten Platz gelaufen? Wo wollten wir überhaupt hin? Ich wusste es nicht genau.
Ein paar Personen stützten mich während ich die Treppen hinauf lief. Es war anstrengend.
Oben angekommen führten sie mich zu weiteren Personen. Ich hörte sie reden. Ich sah ihre Gewandung. Den Kopf ließ ich nun erst recht gesenkt.
Der Mann mit dem Hammer und Galador redeten mit ihnen. Was genau sie sprachen, wusste ich aber nicht.
Ich hörte, wie Jemand diesen Personen erzählt, was mit mir passiert war. Es wirkte so, als wüsste jeder mehr als ich selbst darüber. So, als sei es eine Geschichte. Sie wussten es scheinbar besser, obwohl niemand dabei gewesen war.
Dann sprachen sie über etwas, das mich stutzig machte. Die Taubheit wich für einen Augenblick der Angst. Purer, reiner Angst.
„Vielleicht hat sie wirklich Splitter von ihrer Seele verloren.“
Ich hob den Blick ein ganz kleines bisschen. Und erschrak. Diese Dinger… ich sah kein richtiges Gesicht.
Schnell senkte ich meinen Kopf und zog die Gugel ins Gesicht. Wieso hatten mich diese Menschen hierher gebracht?
Die beiden seltsam aussehenden Wesen diskutierten über mögliche Lösungen.
Sie wollten mir menschliche Seelensplitter einsetzen. Ich erstarrte.
Andere Personen kamen dazu.
Sie kamen mir bekannt vor.
Nicht positiv bekannt.
Einer von ihnen kniete sich zu mir runter und streckte seine Hand aus.
Lynx hielt ihn ab. Wollte er unter meine Gugel sehen?
Das alles verwirrte mich so sehr.

Der Mann mit dem Hammer lief auf die beiden neu hinzu gekommenen Personen zu. Es waren die Nurgle aus Moordorf. Was hatte er mit ihnen zu schaffen?
Sie redeten über die Ereignisse in Moordorf. Über diese Krankheit, die ausgebrochen war.
„Ich verstehe, warum sie Euch nicht vertraut. Sie war eine der Betroffenen in Moordorf.“, erklärte der Mann mit dem Hammer. Galador war auch bei ihm. Sie redeten über Moordorf und über mich und über Magie. Ich verstand nicht genau, was sie vorhatten.
Die Idee der beiden seltsamen Magier verunsicherte mich. Splitter einer fremden Seele?
Besagte Magier kamen wieder näher zu mir. Sie zeigten mir ein kleines Fläschchen.
„Hier sind die Seelen drin.“, erklärte einer von ihnen und schüttelte demonstrativ das Fläschchen in seiner Hand.
Fremde Seelen. Nein. Das konnte nicht gut sein.
Und wieso sollte ich einen Teil meiner Seele…verloren haben?
Was würde mit mir passieren, wenn sich ein Stück einer fremden Seele an mich haften würde?
Woher hatten sie diese Splitter überhaupt?
„Njet…“, murmelte ich leise. Ich wollte es nicht. Auf keinen Fall. Ich würde keine fremde Seele nehmen.
Wozu auch?
„Aber dabei wird nichts passieren.“, versuchte einer der Magier zu erklären. „Wenn wirklich ein Stück der Seele fehlt, dann heftet sich der Splitter für eine bestimmte Zeit an dich. Und dann wissen wir wenigstens, dass es so ist. Wenn dir kein Stück fehlt, dann wird nichts passieren.“
Ich wollte ihm beinahe glauben.
Beinahe.
Wäre da nicht der andere Magier, der leise vor sich hin murmelte.
„Hm. Was, wenn sie anfängt zu brennen? Hm. Wenn sie warm wird, dann sollten wir schnell verschwinden.“
Ich schüttelte den Kopf.

Galador kam zu uns.
„Wieso willst du das nicht machen?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Njet…. Ist. Fremde Seele. Nicht gut.“, hörte ich mich sagen.
Die Stimmen um uns herum waren immer noch da.
Es mussten viele Personen sein.

Galador, Lynx und der Mann mit dem Hammer führten mich wieder die Treppen herunter. Wohin wollten wir nun?
Die ganzen Personen kamen mit. Doch die Stimmen wurden weniger. Sie verstreuten sich in alle Richtungen.
Ich war nicht froh, dass nichts geschehen war. Ich war auch nicht traurig.
Ich fühlte gar nichts.

Auch der Mann mit dem Hammer und Galador verschwanden.
Lynx lief mit mir zurück zu der Treppe.
Wir saßen eine ganze Weile dort – meist schweigend.
Als ich den Blick leicht hob um mich umzuschauen erkannte ich Breeg. Er stand im Lager von Toras. Und kämpfte.
Ich traute meinen Augen nicht. Wieso? Ich konnte ihm doch nicht helfen.
Ich konnte niemandem helfen.
Doch dort stand er und er kämpfte wirklich.
Lynx sah es auch.
Und ich konnte nicht einmal Pfeile abschießen, um ihm zu helfen.
Der Bogen lag ohnehin noch immer in der Hütte der alten Frau. In Bärenfels. Dort, wo ich Rhea mitten in der Nacht verlassen hatte.
Hoffentlich nahm sie es mir nicht übel.

Wir beobachteten Breeg beim Kämpfen. Seine Gegner waren… fast menschlich, aber irgendwie doch nicht. Sie kamen mir fast bekannt vor. Doch ihre Gesichter… Es war, als wären Augen, Nase und Mund fast verfault. Kaum noch zu sehen, zumindest von weitem.
Hätte Odin mich als seine Kriegerin erwählt, hätte ich ihm beim Kämpfen geholfen.

Eine Frau kam zu uns und setzte sich neben mich auf die Treppe. Sie kam mir bekannt vor. Ich hatte sie schon öfter mit Galador herum reisen sehen.
Sofort zog ich meine Kapuze wieder tiefer ins Gesicht.
„Warum lasst Ihr Euch nicht helfen?“, fragte die Frau direkt.
„Helfen?“, wiederholte ich sie verwirrt. Was meinte sie denn. Wobei helfen?
„Na, Ihr verhaltet Euch doch anders als früher, oder? Es geht Euch nicht gut. Wieso lasst Ihr Euch nicht helfen?“, erklärte sie.
Ich war mir nicht sicher, was ich antworten sollte.
„Wenn ich… sterbe… bei Versuch?“, fragte ich dann.
Es klang vermutlich erbärmlich. Doch wer war ich schon?
„Wenn Ihr es nicht versucht, dann werdet Ihr es nicht herausfinden.“, gab sie zurück.
Galador kam zu ihr. Sie sprachen miteinander. Redeten auch über mich. Über die Magier. Über die Seele.
Dann verließen sie uns.
Wir waren wieder alleine auf der Treppe.

„Glaubst du… ich sollte zeigen… ihm?“, hörte ich mich auf einmal fragen. Ich verstand selbst nicht, wieso ich Lynx fragte.
„Zeigen?“. Sie schien es für keine gute Idee zu halten. „Wieso?“
Es war gut, dass Lynx sofort verstand, was ich meinte.
Aber wieso überhaupt…?
Es war, als sei ich es ihm schuldig. Ich fühlte mich zumindest so.
Und vielleicht würde er mir helfen können.
Vielleicht.
„Kann er… helfen?“.
Ja, er musste es wissen. Ich musste es ihm zeigen.

Lynx und ich erhoben uns und liefen die Treppen hinunter.
Wir wussten nicht, wo der Mann mit dem Hammer war. Doch früher oder später würden wir ihn sicher finden.
Wir warfen noch einen prüfenden Blick zu Breeg hinüber.
Es schien ihm ganz gut zu gehen. Er kämpfte noch.

Auf dem großen Platz vor der Taverne war lautes Geschrei.
Der Prügel-Wettkampf. Ich erinnerte mich dunkel.
Diese Seefahrer hatten dazu aufgerufen.
Viele Personen hatten sich auf dem Platz versammelt. Sie schienen einen Kreis um die Teilnehmer des Wettbewerbs zu bilden.
„Wieso…?“, fragte ich leise. Ich verstand den Sinn dahinter einfach nicht. „Denke ich… Bjorn hätte auch gemacht.“
Ich spürte wieder diesen Stich. Diesen Schmerz.
„Ja, das denke ich auch.“, erwiderte Lynx.
Ich wollte nicht mehr über ihn nachdenken.
Er wollte mich nicht mehr sehen.
Wahrscheinlich würde ich ihn auch nicht mehr sehen.

Wir hielten Ausschau nach dem Mann mit dem Hammer.
Die Sonne verbarg sich bereits in der Nähe des Horizontes und so wurde es langsam dunkel. Bald würde der Mond hoch über uns stehen. Mani, der Mondgott…
Trotz der sich nähernden Finsternis zog ich meine Kapuze wieder tiefer ins Gesicht.
Es sollte ja sonst niemand sehen.
Inmitten der Menschenmenge erblickte ich ihn dann. Ich erkannte ihn an dem schwarzen Tuch, das er auf dem Kopf trug und das seine Haare verbarg.
Hatte er überhaupt Haare? Ich wusste es nicht.
Er stand gemeinsam mit Galador und ein paar weiteren Menschen, die mir fremd waren.
Ich wollte ihn nicht stören, wollte ihn nicht belästigen.
Also blieb ich einfach stehen, wartete ab.
Die Menge jubelte zwischendurch, freute sich.
Worüber freuten sie sich?
Ich konnte es einfach nicht verstehen.
„Gehen wir zu ihm?“, fragte Lynx.
„Hat er… Spaß. Will nicht… belästigen… Abhalten von Spaß“, hörte ich mich antworten. Auch nicht ganz, was ich sagen wollte, doch sie schien mich zu verstehen.
Ich blieb noch eine Weile einfach stehen, starrte den Boden an.
Wieso? Wieso wollte ich es ihm überhaupt zeigen?
Wieso glaubte ich, dass es ihn interessierte?
Er hatte doch sicherlich andere Sorgen.
„Wir fragen ihn einfach.“, schlug Lynx vor.
Ich fühlte mich unsicher.
War das wirklich eine gute Idee?
Andererseits… ich musste.
Es wäre unehrlich, es nicht zu tun.
Es wäre undankbar.

Ich folgte Lynx durch die Masse der Anwesenden.
Lynx ging direkt zu ihm und tippte ihn an. Ich stellte mich daneben und hob vorsichtig den Kopf.
Er blickte zu uns.
„Hast du… kurz Zeit?“, fragte ich vorsichtig.
Meine Stimme zitterte.
Meine Beine auch.
Wieso hatte ich Angst?
Er nickte.
„Ja, was ist denn?“
„Kannst du auch… später… Nicht aufhalten.“, hörte ich mich sagen. Wieso konnte ich mich nicht klar ausdrücken?
„Nein, ist schon gut. Was ist denn?“, antwortete er.
Ich zögerte und sah mich um.
Es sollte doch keiner sehen.
„Wollen wir kurz ein Stück gehen?“, schlug er dann vor.
Ich nickte.
Er wand sich kurz an seine Begleiter, dann verließen wir zu dritt die Menschenmasse.
Wir liefen ein paar Schritte von der tobenden Masse weg, in Richtung des Gangs, der schon beinahe komplett in der Finsternis lag.
„Hat Kirren… noch anderes gemacht.“, erklärte ich schleppend. Es fiel mir schwer.
Ich nahm die Kapuze von meinem Kopf.
Er sog zischend die Luft ein.
Hatte es ihn erschreckt?
Er hatte es also nicht gesehen.
Das sprach dafür, dass ich es gut versteckt hatte.
„Seit wann hast du das?“, fragte er mich.
Wahrscheinlich hatte er mich nicht richtig verstanden.
„Von…Kirren.“, gab ich leise zurück.
Tränen stiegen schon wieder in meine Augen. Es war furchtbar. Ich wollte nicht, dass mich dieses Zeichen für immer daran erinnern würde.
„Warte kurz. Und versteck es bitte wieder.“. Der Mann mit dem Hammer drehte sich um und lief zurück zur Menschenmenge.
Ich zog die Kapuze wieder tief ins Gesicht.
Was hatte er nun vor?
Hätte ich es ihm nicht zeigen dürfen?

Er kam zurück. Mit Galador.
Der Mann mit dem Hammer bat mich, das Zeichen auch Galador zu zeigen.
Ich nickte langsam und zeigte es ihm.
„Das ist eine Rune?“, mutmaßte Galador. „Damit kenne ich mich leider nicht aus.“
Sie dachten darüber nach, was das Zeichen zu bedeuten haben könne.
Ob es eine magische Wirkung habe.
Ich zögerte, dann erklärte ich ihnen, warum es genau diese Rune war.
Ich erklärte ihm von der ersten Heilung auf Burg Grenzstein, von den Schicksalsrunen und davon, dass ich Dagaz für Kirren gezogen hatte. Und natürlich von der Sanduhr. Das musste der Zusammenhang sein. Kirrens Sanduhr.

Sie stellten ein paar Fragen zu der Heilung an sich.
Es machte mich traurig. Ich wollte doch nur, dass die Götter mich wieder annahmen.
„Wahrscheinlich war es ein Racheakt. Wegen der missglückten Heilung?“, überlegte Galador.
Der Mann mit dem Hammer nickte.
„Aber das rechtfertigt nicht die Tat.“, fügte er hinzu.
„Nein.“, gab ihm Galador Recht.
„Ich denke, wir können nicht viel machen, außer warten, dass sich dein Zustand verbessert. Iss etwas, trink etwas. Das hilft.“
Die beiden wirkten selbst ein wenig ratlos.
Doch ich war dankbar, dass sie da waren.
Irgendwie fühlte ich mich in ihrer Nähe sicher.
Es war nicht so, als ob ich Angst hatte, doch… irgendetwas war seltsam.

Die beiden liefen zurück zu dem Platz, an dem sie zuvor gestanden hatten. Die Menschenmenge hatte sich noch nicht aufgelöst.
Lynx und ich beschlossen, uns etwas zu trinken zu holen.
Wahrscheinlich war es keine schlechte Idee, auf den Rat der beiden Männer zu hören.
Also betraten wir die Taverne. Wieder einmal zog ich meine Kapuze tief ins Gesicht und fühlte mich beobachtet. Aber es störte mich nicht besonders.
Bei der Schankmaid kauften wir etwas zu trinken und setzten uns an einen der freien Plätze.
Wieder schwiegen wir uns an.
Es war, als würde sich der Kokon wieder aufbauen. Wieso konnte ich mich nicht befreien?

Kurz versuchte ich Lynx zu erzählen, was mit Rhea war. Dass sie mir in Bärenfels geholfen hatte. Ich wusste nicht, ob Lynx es verstand. Doch das Schweigen gefiel mir nicht… Es gab mir Zeit, in den Wald zurückzugehen. In den Wald, in dem Kirren mich gefangen hatte.
Ich schreckte auf. Und trank weiter. Nein. Ich durfte darüber nicht weiter nachdenken.

Breeg kam zu uns. Er lebte. Das war gut.
„Geht da nicht raus.“. Er klang aufgebracht und verwirrt zugleich. Aber im Klang seiner Stimme schwang Besorgnis mit.
„Was ist… draußen?“, fragte ich. Es war seltsam, ihn so unruhig zu erleben.
„Diese Pilzseuche. Alle greifen sich gegenseitig an. Es wird immer schlimmer!“
„Geht es dir gut?“, fragte Lynx. „Oder bist du verletzt?“
„Auch Conner ist betroffen.“, erklärte Breeg. „Er hat mich am Bein erwischt!“
„Wie… fühlst du?“, fragte ich ihn. „Seltsam?“
Er schüttelte den Kopf.
Immerhin.
Ob er infiziert war, konnten wir trotzdem nicht wissen.
Ich erschauderte beim Gedanken an Moordorf.
„Aber eigentlich können wir Conner auch nicht einfach dort sterben lassen…“, überlegte Breeg. Er schien sich selbst nicht ganz sicher zu sein.
Also folgten wir ihm hinaus.
Aus Furcht, dass er uns anstecken könne, hielt er sich ein wenig in Entfernung zu uns auf.
Wir liefen zum Lager von Conner.
Vielleicht war es dort sicher.
Und tatsächlich. Es war leer. Wir sahen uns um.
Lynx und Breeg waren sich nicht sicher, was sie nun tun sollten.
Es war keine gute Idee, an diesem Ort zu bleiben, das stellten auch sie fest.
Während sie darüber diskutierten, warf ich einen Blick in Richtung Himmel.
Ymirs Schädel… Und die Wolken seine Gedanken.
Odin musste doch irgendwo sein.
Was hatte ich nur falsch gemacht?

„Lasst uns nach Bärenfels gehen.“, beschlossen Lynx und Breeg.
Sie wollten also mit mir kommen.
Denn wenn wir diesen Ort verließen, würden wir wieder dort ankommen, wo wir zuvor waren.
Die Frage, warum dieser Ort so seltsam war, hatte ich mir noch nie gestellt.
Es schien für manche Orte vollkommen normal zu sein.
Und ich hoffte, dass wir gemeinsam in Bärenfels ankommen würden, wenn wir gemeinsam diesen Ort verlassen würden.

Und dann?
Was wollten wir in Bärenfels?
Würden wir Rhea wiedersehen?
Und was war mit Bjorn?

Doch wir verließen die Taverne und traten durch das Tor hinaus. Die dicken Mauern, die uns umgeben hatten, ließen wir hinter uns.
Ich folgte Breeg und Lynx.
„Anastasya, kannst du uns nach Bärenfels führen?“, fragte Lynx nach einer Weile.
„Da. Ist … in Nähe.“, gab ich zurück. Ich hob den Kopf ein wenig, um etwas besser sehen zu können.
Die Richtung stimmte.
Wir liefen also immer weiter.
Es wurde kälter und kälter.
Die Heimat.
Doch wollte ich überhaupt dorthin?

Es dauerte nicht lange, bis ich bemerkte, dass Breeg kalt wurde.
Er war den Norden scheinbar nicht gewohnt.
Auch Lynx schien das nicht entgangen zu sein.
„Breeg, ist alles in Ordnung? Du scheinst erschöpft zu sein.“
„Nichts. Es ist nichts. Nur kalt.“, erwiderte er und bedeckte sein Gesicht mit Stoff.
Ich senkte den Blick wieder in Richtung Boden.

Bärenfels war nicht mehr weit…

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