Der Wald

Der Wald kam mir bekannt vor. Tahn lief hinter mir her. Es war eine völlig normale Situation und trotzdem fühlte es sich seltsam an. Was war anders?

Während wir uns unseren Weg durch den Wald bahnten, versuchte ich, mich zu orientieren. Wo wollten wir hin?

Mir fiel ein, was seltsam war: Ich wusste nicht, wie ich hierher gekommen war. Ich fragte Tahn, ob er es vielleicht wusste. Er sah mich mit einem verwirrten Ausdruck an.
„Brauchst Du einen Apfel?“, fragte er mich. Ich schüttelte den Kopf und lächelte schwach. Das half bei mir leider nicht.

Waren wir nicht zuletzt mit der Doctora und dem Caballero in einer Taverne und hatten dort übernachtet? Ich erinnerte mich daran, dass sich das Portal nach NeHemar nicht geöffnet hatte und wir beschlossen hatten, direkt zum Magiermarkt zu reisen.
Und jetzt waren wir hier in diesem Wald, der mir bekannt vorkam, den ich aber trotzdem nicht erkannte. Irgendwas verband mich… Ich war mir aber nicht sicher.

Es war warm, also konnten wir nicht in der Nähe von Falkenhain sein. Der Wald beim Wolkenturm war es aber auch nicht…

Bald näherten wir uns einem Weg und erst, als ich das Schild über dem Tor sah, verstand ich es: Es war das Phönixnest.

Alte Bekannte

Tahn und ich liefen den Weg entlang zum Steinbruch, in dem sich das kleine Dorf befand. Wir waren schon lange nicht mehr hier gewesen.

Direkt vor der Tür sahen wir etwas, das uns erschreckte: Ein Arm hing an der hölzernen Wand neben der Tür. Darüber ein Zettel, den ich mir ansah. Der Arm war ziemlich blutig.

Im Zettel ging es grob darum, dass die Ankunft von Jemandem gefeiert werden solle, der mit dem Tod zu tun hatte. Ich erinnere mich nicht an den genauen Namen, nur daran, dass man sich verstecken solle, Glocken läuten soll und auf den Straßen tanzen soll, um die Ankunft zu feiern. Es klang ganz und gar nicht gut. Hel? Oder gar Lokis Werk?

Wir traten in den Steinbruch und trafen sofort auf Runa und Cato. Ich freute mich sehr, sie zu sehen. „Hallo!“, begrüßte ich sie. Doch es war kaum Zeit, mit ihnen zu sprechen, denn ich erzählte sofort von dem Arm, den wir gefunden hatten. Ihnen war er noch nicht aufgefallen, also zeigte ich ihn den beiden. Ein paar andere, deren Namen ich nicht kenne, begleiteten uns.

Cato sagte, dass die Worte auf dem Zettel ihn an einen gefallenen Engel aus ihrer Religion erinnerten. Runa nahm den Zettel mit.

Die Schamanin ohne Erinnerungen

Wir trafen auf eine Schamanin, die ihre Erinnerungen verloren hatte. Ihr Name war Tamara, aber das wusste sie nur, weil es ihr Jemand gesagt hatte.

Sie meinte, dass sie gerne Pflanzen und Bäume und eigentlich alles anfassen möchte. Und so berührte sie auch die Bären-Trophäe, die ich auf dem Rücken trug. Ich hatte nichts dagegen. Sie schien nett zu sein und ihr Schicksal erinnerte mich schmerzlich an Tahn.

Ich hoffte, dass sie ihre Erinnerungen schneller wiederbekommen würde.

Wir unterhielten uns noch etwas über Schamanen und sie meinte, dass sie einen Tiergeist hatte.

Die anderen, die die Frau bereits kannten, empfahlen ihr, zu meditieren und dadurch vielleicht noch etwas herauszufinden. Ich hielt das für eine ganz gute Idee und ging wieder zu Cato und Runa.

Rätsel

„Anastasya, kannst Du unter dem Händler-Schild schauen, ob sich dort ein Zettel befindet?“
„Da“, erwiderte ich und ging sofort los zum Schild.
Ich hob es an und fand tatsächlich einen Zettel, auf dem das Wort „Biber“ stand.
„Habe ich Zettel gefunden, weiß ich aber gar nicht, warum“, sagte ich zu Runa und Cato und brachte ihnen den Zettel.
Runa erklärte mir, dass sie eine Art Rätsel im Text von der Tür gefunden hatte und dass unter verschiedenen Schildern und Flaggen Zettel mit Tiernamen verborgen sind. Allerdings wusste sie auch noch nicht genau, was wir damit machen sollten.

Wir suchten weiter und weiter, Tahn und ich nahmen uns vor allem die Waldstücke vor, um uns umzuschauen. Ich erkannte unter den Leuten auch Enres und Geraldine von den Schwingen der Hoffnung wieder. Esmeralda war auch dort. Es war schön, bekannte Gesichter zu sehen.

Da im Zettel auch stand, dass Glocken geläutet werden mussten, versuchten ein paar der Menschen, gleichzeitig die Glocken im Phönixnest zu läuten, doch es geschah nichts.

Runa hatte das Gefühl, etwas übersehen zu haben, also gingen wir nochmal auf die Suche nach Zetteln. Es stellte sich heraus, dass auch in den Glocken Zettel versteckt waren.

Am Ende hatten wir sieben Zettel: Biber, Elster, Nachtigall, Nashorn, Natter, Ratte, Uhu.
Wir überlegten eine Weile an möglichen Zusammenhängen: Wer legt Eier, wer nicht? Wer kann fliegen, wer nicht?
Aber dann fiel es ihnen ein: Brunnen!
Aus den Anfangsbuchstaben der Worte ließ sich das Wort „Brunnen“ bilden.
„Hier ist ein Brunnen“, merkte ich an und lief los. Ein paar der Leute folgten mir.
Wir suchten den Brunnen ab und Tahn fand schließlich, wonach wir suchten: Eine gläserne Kugel.

Magische Kugel

Zum Glück trug Tahn Handschuhe und war so durch die Kugel nicht in Gefahr.
Er brachte sie zu Cato und Runa an den Tisch, wo sie genauer angeschaut wurde. Wahrscheinlich war es etwas Magisches und so lief ich los, um Esmeralda um Hilfe zu bitten.

Ich kam mit ihr ins Gespräch und als sie sich bereit erklärte, sich die Kugel anzuschauen, war Runa schon in ein Gebet vertieft, durch das sie etwas herausfinden wollte.

Als sie aufschrie und die Kugel wegstieß, wussten wir, dass sie etwas Böses an sich hatte. Wir fragten, ob wir sie zu Esmeralda bringen durften und taten dies dann auch. Zusammen mit Minerva, einer anderen Zauberin, sah sie sich die Kugel an.
Sie waren ähnlich bestürzt wie Runa: „Bringt die Kugel schnell weg!“, riefen sie. „Sie entziehen uns Kraft. Uns… Und euch auch! Weg damit!“
Tahn nahm die Kugel wieder in die Hände und ich wollte schon nach einem Ort suchen, an dem wir sie sicher verstauen konnten, als Cato eine Idee kam.

„Es gibt eine Kiste, in der sich Dinge magiedicht verschließen lassen“, erklärte er.
Das klang nach einer noch besseren Idee, denn so mussten wir niemanden gefährden, der sich durch Zufall in der Nähe der Kugel befand.

Gefühle für die Kiste

Wir klopften an der Hütte des Mannes und hofften, dass er noch wach war. Es war immerhin schon ziemlich dunkel geworden.
Doch wir hatten Glück und der Mann öffnete die Tür.

Cato erklärte ihm die Situation und bat ihm um die Kiste. „Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht“, erwiderte der Mann. Ich befürchtete schon, er hätte die Kiste nicht mehr, doch es kam anders.

Damit die Kiste die böse Magie zuverlässig wegsperrt, benötigt sie zunächst andere Quellen der Macht – in Form von Gegenständen.
„Einen Gegenstand, der für Trauer steht, einen für Hass, einen für Freude, einen für Liebe und einen für Tod. Sie müssen zuerst in die Kiste gelegt werden. Ein Gläubiger muss dabei ein Gebet sprechen.“, erklärte der Mann und gab Cato die Kiste. Sie sah völlig normal aus, aber ich hatte mittlerweile schon viele magische Dinge kennengelernt, die nicht besonders auffällig waren. Wahrscheinlich war es auch besser so.

Cato ging zurück zu Runa und sprach alle Anwesenden an. Er erklärte ihnen, was wir brauchten und sofort begannen alle, in ihren Taschen zu kramen. Alle wollten helfen und das fand ich schön.
Ich selbst sah Tahn an und mir fielen einzelne Gegenstände ein, die er nutzen konnte. Einen für Trauer, zum Beispiel. Und einen für Tod. Ich seufzte, weil ich wusste, dass er sich an die Situationen nicht erinnern würde.

„Was denn?“, fragte mich Tahn, weil ich ihn offenbar zu lange angestarrt hatte.
„Nichts“, erwiderte ich. „Denke ich nur nach.“

Nach und nach kamen die Gegenstände zusammen. Der für Hass war für alle am Schwierigsten. Wieso sollte man auch Dinge mit sich herumtragen, die man hasste? Auf meine Trophäen war ich stolz… Ich würde doch nichts bei mir haben, was Hass symbolisiert… Und eine Rune? Nein… Ich würde keine von Odins Runen in diese Kiste legen. Immerhin wusste ich ja nicht, was genau passieren würde.

Am Ende hatten wir eine Pfeilspitze von Enres für den Tod, eine Träne vom letzten Drachen einer Art für die Trauer, einen Ohrring für die Liebe, ein Kartenspiel für die Freude und ein Tau für den Hass, weil der Besitzer des Taus damit gehasste Verbrecher fing.

Das Gebet

Ich überlegte, ob ich das Gebet übernehmen sollte. War es wichtig, zu welchem Gott man sprach?
Natürlich würde ich mich immer für Odin entscheiden. Er hatte mir schon so viele wichtige Dinge gezeigt und beigebracht. Doch ich fragte mich auch, ob das das richtige Anliegen war… Immerhin hatte ich nicht besonders viel mit dieser Kugel oder der dunklen Macht darin zu tun.

Da Cato auch ein sehr gläubiger Mann war, ließ ich ihm den Vortritt. Seine Engel würden uns sicher auch beistehen und helfen. Trotzdem dankte ich Odin dafür, dass er über mich wacht.

Während Cato das Gebet sprach, legte Runa nach und nach die Gegenstände in die Kiste. Zu guter Letzt nahm Tahn mit seinem Handschuh die Kugel in die Hand und legte sie ebenfalls hinein. Die Kiste wurde verschlossen.

Wir baten Esmeralda, zu überprüfen, ob von der Kiste noch eine magische Energie ausging. Zusammen mit Minerva versuchten sie, die Magie zu spüren. Da sie nichts bemerken konnten, waren wir offenbar erfolgreich gewesen. Ich hatte trotzdem das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. Aber vielleicht lag es auch daran, dass wir eigentlich nicht am Phönixnest sein sollten, sondern mit dem Caballero und der Doctora in der Taverne… Hoffentlich würden wir sie so schnell wiederfinden wie wir sie verloren hatten.

Liebesbriefe

Tahn und ich setzten uns auf eine Holzbank und ich überlegte, ob ich mich an einen ruhigen Ort setzen sollte, um dort zu beten.

Ein Mann kam zu uns und sprach uns an. Er war mir zuvor schon bei Esmeralda und Minerva am Tisch aufgefallen.
Wir fragten ihn, ob er mit uns ein Spiel spielen wollte. Wir begannen mit „Kutsche Pferd“, bei dem ich diesmal erstaunlich oft gewann.

Als der Mann kein Kupfer mehr verspielen wollte, erklärten wir ihm das Spiel „Liebesbriefe“, das uns der Caballero gezeigt hatte. Wir spielten einige Runden und mehr und mehr Leute verabschiedeten sich, um weiterzureisen oder schlafen zu gehen.

Als ich den Mann nach seinem Namen fragte, stellte er sich mir mit „Eisenschwanz“ vor. Ich verdrehte die Augen. „Titel oder Name?“, fragte ich. „Beides.“, sagte er und lachte. Oh je…
Ich fragte explizit nach seinem Vornamen. Emil. Emil Eisenschwanz also. Interessanter Name. Natürlich machte er ständig Anspielungen auf seinen Namen, aber ich ging nicht wirklich darauf ein… Wozu auch?

Gespräche

Als es immer dunkler wurde, lösten wir die Spielerunde auf und setzten uns unter eine kleine Überdachung an einen Tisch. Wir unterhielten uns und Tahn griff nach den Weintrauben auf dem Tisch.
Erst, als er schon zwei oder drei gegessen hatte, realisierte ich, was er dort getan hatte.

Ich hielt ihn auf, aber es war zu spät.
Da Emil das natürlich interessant fand, kamen wir ins Gespräch. Er stellte interessante Fragen, die Tahn teilweise beantworten konnte. Dabei nahm ich mein Buch dazu und macht mir Notizen. Jedes einzelne Detail konnte wichtig sein.

Ein weiterer Mann namens John gesellte sich zu uns und war ähnlich schnell neugierig, was es mit Tahn auf sich hatte. Ich erklärte ihm, was ich bisher herausgefunden hatte. Auch er stellte ein paar Fragen und gemeinsam kamen wir auf ein paar mögliche Lösungen, die mir zusagten.
Zwar rief Emil ständig so etwas wie „Kopf aufschneiden“ rein, aber ich schenkte ihm darauf meist nur einen bösen Blick. Ich wollte nicht, dass Tahn zu Schaden kam.

Zwischendurch sprachen wir auch über Falkenhain und Bärenfels. Sie konnten nicht ganz glauben, dass in Falkenhain im Moment nur vier Menschen lebten. Trotzdem mochte ich die Gespräche, die wir an diesem Abend noch bis spät in die Nacht führten. Auch, wenn ich mir Sorgen machte, ob wir je wieder zurück zum Caballero und zur Doctora kamen, gefiel es mir hier ganz gut.

Und ich war glücklich, dass es endlich einige Personen gab, die Tahn helfen wollten. So würden wir bestimmt bald eine Lösung finden. Zwar merkte John an, dass es mir vielleicht schaden konnte, Tahn zu helfen, doch das war mir egal. Hauptsache, es ging ihm gut. Immerhin war das die Aufgabe, die mir Odin gegeben hatte. Und Odin konnte ich vertrauen…

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