Mitten in der Nacht brach ich von der Taverne am Turm auf.
Ich hielt es nicht aus… Meine Träume zeigten mir Falkenhain.
Und als ich in den nächtlichen Sternenhimmel sah, verstand ich auch, warum.
Bald war wieder Samhain, das Fest der Toten.
Ich wollte es nicht hier, im Süden verbringen.
Ich wusste nicht einmal, ob die Menschen hier verstanden, was passierte.
Die vergessenen Toten würden durch die Dörfer und Städte wandeln.
Tote durfte man nicht vergessen.
Und ich hoffte, dass man auch mich nicht vergessen würde, wenn ich starb.

Ich verließ also den Ort und lief in Richtung Norden.
Meine Heimat zu finden war einfach… Man musste sich nur an dem hellsten Stern des Nachthimmels orientieren…
Er würde mich immer zurück nach Hause führen.
Ich sagte niemandem Bescheid, doch sie würden schon wissen, dass es mir gut ging.

– – – – – – –

Je weiter ich gen Norden kam, desto unerbittlicher schneite es.
Ich verbrachte zwei Tage damit, ein Schaf eines Bauern zu erlegen, das wollige Fell abzuziehen und es an meine Kleidung zu nähen.
Zwar hielt mich der Mantel auch sehr warm, doch man konnte ja nie wissen, wie kalt es in Falkenhain sein würde.
Ich hatte mich schon viel zu sehr an die Wärme des Südens gewöhnt.

In Falkenhain angekommen begab ich mich sofort in den Wald.
Ich wollte es vermeiden, erst meine Eltern besuchen zu gehen.
Vermutlich würden sie sich nur unnötig große Sorgen machen.
Dabei wussten sie doch eigentlich, dass ich alleine klar kam.

Ich sah in den Himmel.
Der Mond war in seiner halben Gestalt zu sehen und das schwache Licht brach durch die dunklen Wolken.
Es war sehr neblig und ich hoffte, dass ich keinen der Toten vergessen würde.
Ich wollte nicht von ihnen überrascht werden.
Ich wollte sie niemals vergessen.
Und ich wollte nicht, dass sie an Samhain durch die Wälder, Dörfer und Städte wanderten. Ruhelos. Auf der Suche nach denen, die sie vergessen hatten.

Ich setzte mich auf den Waldboden und gedachte den Toten.

 

Es dauerte ein paar Stunden, dann erhob ich mich wieder, löschte die Flammen der Kerzen, die ich aufgestellt hatte und beschloss, meine Heimat wieder zu verlassen.
Ich begriff, dass mich hier momentan nichts hielt.
Klar – meine Eltern waren hier und sie lebten noch, doch… Sie lebten ihr Leben. Und mittlerweile lebten sie es ganz anders als ich.
Ich wollte doch noch so viel von der Welt sehen.
Seit ich erfahren hatte, wie schön und vielfältig sie ist, bekam ich nicht genug.
Und das, obwohl ich wusste, dass sie auch sehr grausam sein konnte.

Ich machte mich also wieder auf den Weg zurück.
Zurück wohin?
Ich wusste es nicht genau.
Meine Freunde würden die Taverne am Turm bereits verlassen haben…
Wo würde ich sie also wieder treffen?
Vermutlich musste ich nur Ausschau nach einer Taverne im Süden halten.
Das kam mir gerade recht, immerhin würde ich dort auch nächtigen können.

Ich durchschritt die verschneiten Wälder meiner Heimat.
Doch mit jedem Tag, den ich weiterlief, wurde der Schnee weniger.
Ich war also auf dem richtigen Weg.
Hier im Süden lag noch kein Schnee.
Es gab sogar Orte, an denen nie Schnee lag.
Das war beeindruckend.
Manche Menschen kannten also nicht einmal Schnee.

 

Nach einer Weile kam ich zu einer Taverne an einem Wegkreuz.
Ich betrat die Taverne und setzte mich in eine der Ecken.
Dort fühlte ich mich wesentlich sicherer, weil hinter mir nichts passieren konnte.
So konnte ich die ganze Taverne überblicken und musste mir keine Sorgen machen.

Ich nahm mein Runenbuch heraus und ein paar unbeschriebene Blätter.
Viele waren nicht mehr übrig, dabei war Papier so teuer.
Ich musste unbedingt wieder mehr Kupfer verdienen. So konnte es nicht weitergehen.

Ich bestellte mir einen Krug Met und entspannte mich.
In dieser Taverne war zwar niemand, den ich kannte, doch deswegen musste ich mir ja keine Sorgen machen.
Ich würde mögliche Feinde früh genug sehen und außerdem konnte ich mich auch gut genug selbst verteidigen.
So genoss ich also meinen Krug Met, als ich neben mir eine Gruppe Krieger reden hörte.
Reden? Nein, sie flüsterten eher. Zumindest versuchten sie es.
Meine Neugier war geweckt und ich versuchte, unauffällig mehr von dem mitzubekommen, was sie sagten.

„Castell Lazar heißt der Ort.“, flüsterte einer von ihnen. „Die haben gesagt, dass dort unsterbliche Wesen sind… Unsterblichkeit!“
Der Mann war viel zu aufgeregt und schaffte es gar nicht mehr, seine Stimme zu dämpfen.
Ich konnte jedes Wort hören.
„Ich habe davon gehört.“, erwiderte ein Anderer. „Dort herrscht eine Krankheit, wir sollten es nicht riskieren.“
Was denn für eine Krankheit?
„Das ist eine Legende.“, erwiderte der Erste.
„Gibt es dort Kupfer?“, fragte eine Frau. Sie schaffte es von allen am ehesten, zu flüstern.
Doch es brachte nichts, ich verstand sie trotzdem.
„Mit Sicherheit!“, gab der erste Mann zurück.
„Dann gehen wir hin.“, beschloss die Frau.
War sie so etwas wie die Anführerin?
Wo war dieser Ort?
Was für eine Krankheit meinten sie?
Und was für Wesen waren unsterblich?
Ich hatte so viele Fragen, doch ich konnte sie unmöglich stellen.

Die Gruppe sah sich um, erblickte mich an dem Tisch sitzen.
Ich hatte etwas zu offensichtlich zu ihnen hinüber gesehen.
Sie tranken ihre Krüge leer, erhoben sich und verschwanden aus der Taverne.
Ich sah ihnen nach.
Verdammt.
Es klang nach einem interessanten Ort.
Außerdem würde es Kupfer geben.
Wie sollte ich etwas herausfinden?

Seufzend erhob ich mich nun auch vom Tisch, nahm meinen Krug und ging zum Tavernen-Wirt.
Vielleicht wusste er etwas.
„Hallo…“, begann ich. „Wisst Ihr, wo das Castell Lazar ist?“
Der Mann sah sich um.
„Es ist kein schöner Ort.“, erwiderte er. „Warum wollt Ihr das wissen?“
„Ich will hin.“, entschied ich. Ich wollte wissen, wovon diese Leute geredet hatten.
Der Mann seufzte. Ich hielt ihm einen meiner Zettel hin.
„Bitte.“, bat ich ihn.
„Ist ja nicht mein Leben.“, murmelte er und malte ein paar Umrisse auf den Zettel. Dann fügte er die Himmelsrichtungen und ein paar Beschriftungen dazu, rollte den Zettel ein und gab ihn mir.
Ich warf ihm drei Kupfer hin. „Habt Dank.“
Dann drehte ich mich um und verließ die Taverne wieder.

Ich lief weiter in Richtung Süden.
Als ich in einem Wald angekommen war, nahm ich die Karte wieder in die Hand, rollte sie aus und betrachtete sie.
Die Orte kamen mir nur teilweise bekannt vor.
Das Land, das sich im Süd-Osten befand, kannte ich. Anrea. Dort war doch auch diese Taverne.
Wollte ich zum Castell Lazar aufbrechen?
Alleine?
Wahrscheinlich war das nicht die beste Idee.
Außerdem sollte ich doch mit Tahn seine Frau finden.
Tahn.
Vielleicht sollte ich ihn zuerst finden.
Vielleicht würde er mich ja zum Castell begleiten.

Dazu musste ich ihn nun erst einmal finden.
Er konnte überall sein.

Ich lief also weiter durch den Wald, als mich plötzlich ein Junge aufhielt.
Sein Alter schätzte ich etwa auf vierzehn Jahre.
Er trug keine Waffen bei sich. Zumindest keine, die ich einfach so erkennen konnte.
„Hier.“
Der Junge drückte mir einen Brief in die Hand.
Dann lief er weiter und verschwand im Wald.
Was war das?
Was hatte er mir da gegeben?

Ich öffnete den Brief. Darin befanden sich ein Zettel und eine Münze.
Zuerst las ich den Zettel.
Sein Inhalt verunsicherte mich etwas. Aber er weckte auch meine Neugier.
Ich wusste also, wohin mich meine Reise nun erst einmal führen würde.
Grinsend drehte ich die Münze in meiner Hand.
Eine wahrhaft schöne Münze.
Dann versteckte ich sie in meiner Tasche.
Ich durfte sie keinesfalls verlieren.

Die Taverne, die ich gesucht hatte, tauchte bald vor mir auf.
Konnte ich sie also wirklich finden, obwohl sie keinen Ort hatte?
Das Konzept hatte ich noch nicht verstanden, doch solange es funktionierte, störte ich mich nicht weiter daran.
Innerhalb der Mauern hatten sich wieder sehr viele Personen gesammelt.
Als erstes bekanntes Gesicht traf ich auf Marder.
Er hatte eine fremde Frau bei sich, die ich nicht kannte.
Und er fragte mich, ob ich gut hergefunden habe.
Die Frage verwirrte mich und so nickte ich einfach nur.

In der Ferne sah ich dann eine weitere bekannte Gestalt.
Weißes Haar, spitze Ohren.
Eldarion?
Was machte Eldarion denn hier?
Ich war ihm hier noch nie zuvor begegnet, doch ich freute mich, ihn zu sehen.
Er saß an einem kleinen Tisch direkt an einer der Mauern.
Ich gesellte mich zu ihm.
„Hallo!“, begrüßte ich ihn und grinste.
„Hallo Anastasya.“, erwiderte er.
Neben ihm saß ein weiterer Mann, der wesentlich größer als Eldarion war.
Außerdem hatte er keine spitzen Ohren.
Ein Mensch also?
Ich war mir nicht sicher.

Bald erfuhr ich, dass es sich bei dem Mann um Eldarions Lehrmeister handelte.
Er hatte schon oft von ihm erzählt, doch bewusst gesehen hatte ich ihn erst jetzt.

Sophia und Galador kamen zu uns und begrüßten uns.
Wieder einmal freute sich Sophia total, mich zu sehen und wirkte sehr aufgeregt.
Ich mochte das Mädchen und freute mich auch, sie zu sehen.
Sie war einfach niedlich.

Ich redete mit Eldarion und seinem Lehrmeister über die Chaos-Anhänger, die sich wieder hier versammelt hatten. Eldarion erklärte, dass sie ihm sein Auge wieder heil gemacht hatten.
Und jetzt konnte er plötzlich die Welt in Farben sehen, wo er früher nur in schwarz-weiß gesehen hatte.
„Das macht es aber schwieriger, magische Gegenstände zu sehen… Denn sie leuchten nicht mehr.“, warf er ein.
Das war natürlich ein negativer Punkt.
Ich musste mir vorstellen, wie es sein musste, wenn man alles nur in schwarz-weiß sah, die magischen Gegenstände aber in bunten Farben leuchteten.
Wenn man nicht wusste, was das war, musste einen das sehr verwirren.

„Anastasya!“, eine weitere bekannte Stimme.
Sie gehörte zu Remus. Er stand direkt vor mir.
„Remus!“, erwiderte ich und lächelte. „Hast du Tahn gesehen?“
Er schüttelte den Kopf.
„Kennst du jemanden, der Haut wieder ganz macht?“, fragte er.
Ich sah ihn verwirrt an.
„Der Haut wieder ganz macht?“, wiederholte ich.
Was meinte er damit?
Was hatte er angestellt?
Eldarion klinkte sich in das Gespräch an.
„Die Chaos-Anhänger helfen dir da sicherlich.“, warf er ein. „Die sind da oben hinter der Treppe. Treppe rauf und dann nach links.“,
Remus drehte sich um und zeigte auf die Treppe.
„Treppe rauf, links?“, wiederholte er.
Eldarion nickte.
„Musst du aufpassen.“, warf ich ein. „Gibt es verschiedene. Lila und blau ist gut. Bei Braun-Grün musst du vorsichtig sein.“
„Braun-Grün, Lila, Blau?“, wiederholte Remus verwirrt.
Er schien es nicht ganz verstanden zu haben, lief aber in die Richtung.
„Wir sollten nach ihm schauen.“, überlegte Eldarion. „Ich wollte sowieso noch mit den Chaos-Anhängern sprechen.“
Ich nickte.
„Bin ich noch auf Suche nach Jemandem.“, erklärte ich kurz, dachte an den Brief und verließ die beiden.
Ich lief zur Dunkeltaverne… Und traf den, den ich suchte.

 

Als ich wieder aus der Dunkeltaverne herauskam, lief ich zu Eldarion. Ich wollte wissen, ob mit Remus alles in Ordnung war.
„Und, wie geht es Remus?“, fragte Eldarion nun mich.
„Ich weiß nicht.“, erwiderte ich etwas schuldbewusst. Ich hatte noch nicht nach ihm gesehen.
„Soll ich mitkommen?“, schlug Eldarion dann vor und ich nickte.
Wir erhoben uns beide und liefen los, doch bevor wir an der Treppe ankamen, sah ich jemand anderes, der meine Hilfe zu benötigen schien.
Es war Tahn.
Ich hatte nach ihm gesucht und ihn tatsächlich gefunden.
Er lehnte halb liegend an der Mauer, hatte einen angebissenen Apfel auf seinem Bauch liegen und hielt die Augen geschlossen.
Vermutlich schlief er.
„Tahn!“, rief ich und hockte mich zu ihm runter.
Er erwachte langsam und sah sich um.
„Ah… Ana-Anastasya.“, begrüßte er mich. Dann sah er verwirrt zu Eldarion. Ihn schien er nicht zu kennen. „Au… Meine Beine… Die tun irgendwie weg. Ganz komisch.“
Ich blickte zu ihm, dann zu seinen Beinen.
Sie taten weh?
Warum das?
Ich konnte kein Blut sehen. Keine offene Verletzung?
„Was ist passiert?“, fragte ich ihn, doch Tahn wusste es nicht mehr.
„Kannst du meinen Lehrmeister holen?“, bat Eldarion mich.
Ich nickte, erhob mich und lief hinüber.
Dort traf ich nun noch ein weiteres, bekanntes Gesicht: Aikikia.
Ich bat sie, mitzukommen und so folgten sie mir.

Sie hockten sich ebenfalls zu Tahn nieder und begutachteten seine Beine.
Aikikia nutzte Magie, um herauszufinden, was los war.
Ich spürte die Aura der Magie, doch sie tat mir nicht weh.
Ich merkte nur, dass dort etwas war.
„Die Beinknochen sind falsch zusammen gewachsen.“, stellte Aikikia dann fest.
Sie trug Eldarion auf, das Bein abzutasten.
Dann forderte sie mich auf, mitzuhelfen.
Gemeinsam fühlten wir über die Beine und spürten wenig später auch die Stelle, die sich irgendwie seltsam anfühlte.
Ein Knochen fühlte sich einfach falsch an. Fehl am Platze. So, als sei er an der falschen Seite gewachsen.
Es war ein wirklich merkwürdiges Gefühl.

„Habt ihr den Knochen?“, fragte Aikikia. „Dann einigt euch. Einer drückt, der andere zieht.“
Ich sah sie überfordert an. Dann sah ich zu Eldarion.
„Wer macht was?“, fragte ich ihn.
„Ich drücke. Du ziehst?“, entschied er dann und ich nickte.
Wir zählten runter und versuchten dann gemeinsam, den Knochen wieder an die richtige Stelle zu bringen.
Komischerweise blieb Tahn ruhig.
Vermutlich hatte Aikikia ihn irgendwie betäubt.
Denn es musste furchtbar schmerzen, die Knochen einfach so in eine andere Position zu drücken.
Doch dann fühlte es sich etwas besser an.
Es wirkte nicht mehr ganz so seltsam.

Das Gleiche wiederholten wir an seinem anderen Bein.
Wieder war ich für das Ziehen zuständig, Eldarion drückte.
Diesmal schafften wir es schneller.

Von der Seite hörte ich noch Remus schreien. Irgendwas war auch mit seinem Arm. Doch dieser Alchemist kümmerte sich um ihn. Der Alchemist, der auch mir schon einmal geholfen hatte. Ich kannte seinen Namen allerdings nicht.

„Was ist denn passiert, Tahn?“, fragte ich noch einmal. Er wusste es wirklich nicht.
„Ich denke, das ist normal, wenn man Geister verärgert…“, murmelte Eldarion.
Ich sah ihn verwirrt an. „Geister verärgern?“, wiederholte ich.
„Ja, er hat mit seinem Schwert auf das Grab gehauen. In Moordorf.“, erklärte Eldarion.
„Ja genau! Mein Schwert! Wo ist das?!“, fragte Tahn und sah sich um. Er wirkte beinahe verzweifelt.
„Wahrscheinlich da, wo du auf das Grab gehauen hast?“
„Hä?“
Tahn schien zu überlegen.
„Ja! Einarr! Der war da. Und… Jespar.“, erklärter er dann.
„Jespar… Habe ich schon gesehen. Soll ich holen?“, fragte ich Tahn.
Er nickte.
„Jespar ist hier?“
Ich erhob mich und lief in Richtung der Dunkeltaverne.
Doch da kam er mir schon entgegen:
„Jespar!“, rief ich ihn. „Warst du mit Tahn auf Taverne? Weißt du, was passiert ist?“
Jespar blickte mich an.
„Ja, ich war da.“, gab er zurück.
„Kannst du mitkommen? Er braucht Hilfe, denke ich.“
„Er weiß meinen Namen noch?“, fragte Jespar nach und grinste kurz. Ganz so, als würde er es nicht glauben.
Doch er folgte mir trotzdem.

„Ah! Jespar!“, rief Tahn. Jespar sah verwirrt zu ihm. Er erinnerte sich also wirklich an seinen Namen. Hatte Tahn ihn vorher immer vergessen? Ganz so, wie es am Anfang bei mir gewesen war?
Jespar erklärte dann, was vorgefallen war.
Tahn hatte tatsächlich mit seinem Schwert zweimal auf den Grabstein gehauen und so die Geister verärgert.
Seitdem steckte sein Schwert in dem Grabstein und die Geister hatten ihm scheinbar auch diese Verletzungen zugefügt.

Jespar und ich setzten uns wieder zu Tahn, Eldarion saß noch neben ihm.
Wir redeten über Lesen und Schreiben.
Eldarion nahm ein Buch heraus und zeigte es Tahn.
„Ah! Anastasya!“, rief er auf einmal und überreichte mir das Buch.
Es war in Runen geschrieben.
Ich las es vor.
Es waren drei Grundregeln, die von den Toten handelten.
Man solle die Toten ehren.
Ich glaube, das war das wichtigste Prinzip dieses Buches.
Wieder musste ich an Samhain denken.
Ja, ich hatte die Toten geehrt.

Remus schien es nun auch etwas besser zu gehen und er schloss sich unseren Gesprächen an.
Marder kam zu mir und wies mich an, ein Stück mit ihm mit zu kommen.
Etwas entfernt von neugierigen Ohren stellte er mir Nathan vor.
Er war ein eher unscheinbar aussehender Krieger.
Lediglich die Haare waren ungewöhnlich.
Er trug langes, extrem verknotetes Haar.
Doch es sah gewollt verknotet aus und irgendwie stand es ihm auch.

Ich nickte dem Krieger zu, nannte ihm auch meinen Namen, lief dann aber zurück zu Tahn.
Schließlich musste ich darauf achten, dass er sich nicht zu sehr bewegte.
Die Knochen an seinen Beinen durften nicht wieder schief zusammenwachsen.

Wir ruhten uns noch eine Weile aus, dann schien es Tahn besser zu gehen.
Er wollte den Schreiberling aufsuchen, bei dem er angefangen hatte, lesen zu lernen.
Immerhin wollte er auch noch schreiben lernen und so musste er ganz viel üben.

Tahn lief also los, doch als ich ihm hinterher laufen wollte, kamen mir die Chaos-Anhänger entgegen.
Marder erzählte mir, dass sie gegen etwas kämpfen wollten und wir uns anschließen.
Ich zog meine Waffe und blieb kampfbereit.
Auch Galador kam zu uns und schien sich fast ein bisschen zu freuen, dass wir auf seiner Seite kämpfen würden.
Doch irgendwie verlief sich das Ganze ins Leere und so steckte ich meine Waffen zurück und lief in Richtung Dunkeltaverne, um zu Tahn zu kommen.

Der Schreiberling kam uns entgegen. Er sah gar nicht gut aus.
An seinem Bauch klaffte eine Wunde.
Er sackte zusammen.
Ich kniete mich zu ihm nieder und nahm einen Verband aus meiner Tasche.
Dann öffnete ich die Metka Flasche und kippte ihm etwas Alkohol in die Wunde.
Auch, wenn es wehtat, eine Wunde musste gereinigt werden.
Als ich seine Wunde verbinden wollte, hörte ich eine Stimme hinter mir.
„Wollt Ihr die Wunde nicht lieber nähen?“, fragte eine junge Frau.
„Njet.“, erwiderte ich. „Weiß ich nicht wie.“
Ich machte etwas Platz und die Frau kniete sich seufzend nieder.
„Er ist zwar nicht von meinem Rudel… Aber ich mache eine Ausnahme.“, murmelte sie und begann, seine Wunde zu versorgen.
Ich wusste nicht, was sie für ein Rudel meinte.
War das nicht etwas, was Wölfen vorbehalten war?
Sie hatten ein Rudel.
Aber Menschen?
Die Frau sah außerdem nicht wirklich aus wie ein Wolf.

Anschließend wirkte sie noch etwas Magie und schien damit die Wunde zu schließen.
Diese Magie spürte ich nur ganz leicht. Es war seltsam.
Wovon hing das ab?
Immerhin konnte ich es etwas spüren.
Das war zumindest besser als gar nichts.

Als es dem Schreiberling wieder etwas besser ging liefen Tahn und ich zur Hütter der Schreiber.
Vor zwei Monden hatten sie doch mal etwas von einer Zeitung geredet?
Gab es sie wohl schon?
Es sah nicht so aus.

„Ich hab fast kein Kupfer mehr.“, murrte Tahn.
Bei dem Wort ‚Kupfer‘ erinnerte ich mich an die Abenteurer aus der Taverne.
Ich nahm die eingerollte Karte aus meiner Tasche.
„Tahn. Ich habe von Ort gehört… Krieger haben darüber geredet.“, erzählte ich ihm. Dann hielt ich ihm die Karte hin.
Wir stellten uns etwas ins Licht der Kerzen, um die Karte besser erkennen zu können.
„Gibt es da Kupfer?“, fragte Tahn.
„Da. Bestimmt.“, erwiderte ich.
Sicher war ich mir nicht, doch auch die Krieger waren sich ziemlich sicher, dass dort etwas zu holen sei.
„Klang auf jeden Fall interessant.“, fügte ich hinzu.
„Wie weit ist das?“, fragte er.
Ich sah mir die Karte an.
„Bin nicht ganz sicher. Ist in Richtung Nordwesten.“, gab ich zurück und sah in den Himmel. „Norden ist dort.“
Ich zeigte in Richtung des Nordsterns.
Ich hoffte, dass ich mit der Einschätzung der Lage dieses Castells richtig lag.

Tahn suchte etwas zu schreiben und wand sich an Jespar.
Zusammen liefen sie in eine etwas ruhigere Ecke und sprachen mit ein paar Fremden.
Ich gesellte mich nach ein paar Augenblicken zu ihnen.
„Die Waffen sprechen dann mit ihnen?“, hörte ich Tahn fragen und horchte auf.
Sprechende Waffen?
Ich wusste nur, dass Kämpfer manchmal mit ihren Waffen sprachen… Aber dass sie antworteten, war mir neu.
„Huh?“, fragte ich nach. „Waffen, die sprechen?“
„Nein, ich glaube, Tahn hat das falsch verstanden.“, wand Jespar ein. „Das Chaos lässt gerne seine Waffen sprechen.“
Ich nickte.
„Ah. Verstehe.“
Tahn hatte es also wirklich einfach falsch verstanden.
„Das ist eine Redewendung.“, erklärte einer der Fremden. „Das heißt nur, dass das Chaos gerne kämpft.“
„Ah.“, gab Tahn zurück.
Er wirkte noch verwirrter als vorher.

„Nina sucht dich.“, sagte Jespar auf einmal.
„Nina?“, fragte Tahn nach.
„Ja, deine Frau.“, gab Jespar zurück.
Seine Frau?
Wir sollten seine Frau doch noch suchen und finden?
Es war eine lange Reise?
Er konnte sie noch gar nicht gefunden haben.
Irgendwas stimmte hier nicht.
„Was? Meine Frau? Ich habe meine Frau gefunden?“, fragte er aufgeregt.
Er folgte Jespar und ich lief ihm natürlich nach.

Eine Frau stand dort und unterhielt sich mit Tahn.
Sie tat wirklich so, als sei sie seine Frau.
Doch ich konnte es nicht glauben.
Wenn die Prophezeiung von Anka und Peter wahr war, dann konnte das nicht seine Frau sein.
„Das ist nicht Frau.“, protestierte ich.
Tahn sah mich an.
„Doch, das ist meine Frau.“, gab er zurück. Doch er schien sich selbst nicht ganz sicher zu sein.
Ich schüttelte den Kopf.
„Nicht?“, fragte er.
Die Frau klinkte sich sofort in die Unterhaltung ein.
„Doch. Ich bin seine Frau!“.
Sie strich ihm über den Rücken.
Es wirkte falsch.
Sie hatte Unrecht.
„Njet! Du bist nicht Frau!“
Wir diskutierten weiter, doch je mehr sie versuchte, Tahn zu überzeugen, desto mehr bemerkte ich, dass sie log.
Auch Remus bemerkte es mehr und mehr.
Sie tat einfach nur so, als sei sie seine Frau.

Tahn gab ihr den Ring, den er seiner Frau geben sollte.
Ein Fehler!
Wie sollte er so denn seine wahre Frau finden?!
Ich musste ihn unbedingt aufhalten.
„Tahn. In Ehe beide haben Ring.“, erklärte ich und zeigte auf ihre Hand. „Du hast Ring abgegeben, ist falsch. Nimm Ring zurück.“
Zuerst glaubte er mir nicht, also versuchte ich es weiter.
Irgendwann glaubte er mir mehr.
Die Frau wusste noch nicht einmal, an welchem Ort Tahn früher gekämpft hatte.
Das wusste sogar ich… Tahn hatte in der Wüste gekämpft.
Tahn nahm sich den Ring zurück.

Jespar und Yara kamen bald dazu.
Sie waren genauso verwirrt wie Tahn.
Auch sie dachten, dass diese Frau Tahns Frau war.
Doch auch zu ihnen sagte ich das gleiche.
Die Prophezeiung war eine andere gewesen und so konnte diese Frau gar nicht Tahns Frau sein.
Die Frau, die sich als Tahns Frau ausgab, schien beleidigt zu sein. Dann schlug sie Tahn vor, die Schamanin zu befragen, die ein paar Schritte entfernt von uns stand.
Tahn ging zu ihr und bat sie um Hilfe.
Die Schamanin bestärkte meine Argumentation.
Sie sagte, dass Tahn zu dem Ort gehen sollte, an dem Anka und Peter sein würden.
Dort würden sie ihre Prophezeiung wiederholen und Tahn sollte sie aufschreiben.
„Gut, Tahn. Dann gehen wir erst zu Castell zum Kupfer holen, dann holen wir dein Schwert aus Moordorf und dann suchen wir Anka und Peter auf, da?“, schlug ich ihm vor.
Er stimmte zu.
Dann bat ich Remus, mit Tahn ein Stück weg zu gehen.
Diese seltsame Frau sollte ihn nicht noch mehr verwirren.

 

Ich blieb noch kurz bei der Frau stehen.
„Du bist nicht Frau.“, sagte ich verärgert. Dann ging ich von ihr weg.
Remus kam bald wieder aus der Taverne zu mir.
Ich hatte Durst.
„Kommst du nochmal mit in Taverne?“, fragte ich Remus.
Er nickte und wir traten wieder ein.
Viele Menschen tummelten sich hier.
Irgendwie schien es immer das Gleiche zu sein.
Die Menschen schienen die Wärme der Taverne zu genießen.

Kurz vor der Schenke sahen wir auf einmal Tahn am Boden liegen.
Einige Personen knieten um ihn herum.
Was war passiert?
Wie hatte er sich nun schon wieder  verletzt?
Wir knieten uns zu ihm.
Eine Frau wand sich uns zu.
„Er ist versorgt. Er braucht nur Leute, die auf ihn aufpassen und sich um ihn kümmern.“, erklärte sie.
Ich nickte, dann verschwand sie wieder.

Remus und ich zogen Tahn hoch und lehnten ihn an die Wand.
Er erwachte und sah sich verwirrt um.
Noch immer schien er starke Schmerzen zu haben.
„Was ist passiert?“, fragte ich ihn, doch er wusste es nicht genau.

Wir kamen wieder ins Gespräch über die Wüste, in der Tahn gekämpft hatte.
Ich konnte nicht verstehen, wie es sein musste, wenn es ständig so warm war.
„Am Tag ist es heiß.“, erklärte Tahn. „Aber in der Nacht ist es richtig kalt.“
„Kalt?“, fragte ich nach.
Wie konnte das sein?
Heiß und kalt innerhalb von wenigen Stunden?
Doch er schüttelte nur verwirrt den Kopf und schien schon wieder vergessen zu haben, worüber wir gesprochen hatten.
Vermutlich lag das an dem ganzen Blut, das er verloren hatte.
Die Verletzungen sahen seltsam aus.
Aber ich war froh, dass diese Frauen ihn schon versorgt hatten.

Ich sprach etwas von meiner Heimat.
„Dort ist immer Schnee.“, erklärte ich.
„Also immer Winter?“, schloss Tahn daraus.
„Njet. Winter ist schlimmer. Winter ist mehr Schnee als im Sommer.“
Er schien es nicht ganz zu verstehen.
Wahrscheinlich konnte er es sich genauso wenig vorstellen wie ich mir die Wüste vorstellen konnte.

Bald gesellte sich Marder zu uns.
Er verhielt sich merkwürdig – noch merkwürdiger als sonst.
Dann gab er zu, dass er es war, der Tahn verletzt hatte – er hatte ihm ins Bein und in die Brust geschossen.
„Warum?“, fragte ich entsetzt.
Tahn hatte doch niemandem etwas getan.
„Er ist erbärmlich. Sieh ihn dir doch an.“, antwortete Marder angeekelt.
Ich verstand es nicht.
Wie konnte er nur?
Wieso verletzte er Jemanden, der ihm nichts getan hatte?
Er suchte doch nur nach seiner Frau?

Auf einmal begannen die beiden wieder zu streiten.
Marder nahm seine Schusswaffe heraus und zielte auf Tahns Kopf.
„Lass das.“, forderte ich ihn auf. Als er die Waffe nicht herunter nahm, packte ich nach der Waffe und zog sie nach oben.
So würde er, wenn er abdrückte, lediglich die Decke des Gebäudes treffen… Nicht aber Tahns Kopf.
„Lass Waffe los.“, drohte Marder mir. Er sah mich böse an.
„Dann lass Tahn in Ruhe.“
Ich wartete noch etwas ab und hielt die Waffe in der ganzen Zeit fest. Dann ließ ich los.
Marder wirkte wütend und ließ die Waffe sinken.
Immerhin hatte ich mein Ziel erreicht.
„Beim nächsten Mal schieße ich in Kopf.“, drohte Marder.
„Solltest du nicht tun.“, erwiderte ich verärgert. Es gefiel mir ganz und gar nicht.
Er würde schon merken, dass er mit mir nicht umspringen konnte, wie er wollte. Und das galt auch für meine Begleiter.

Marder erhob sich und verließ uns wieder.
Schon fühlte ich mich etwas sicherer.

Bald kam Yara zu uns und fragte, was mit Tahn passiert ist.
Ich erklärte ihr, dass er angeschossen worden war.
Sie lachte kurz und sah sich um.
„Wisst ihr, was Lumpi da macht?“, fragte sie und blickte in Jespars Richtung. „Hat er euch was gesagt?“
Ich schüttelte den Kopf, musste aber grinsen.
„Lumpi?“, fragte ich nach. „Ist guter Name…“
„Hast du mal auf seine Gürteltasche geachtet? Da ist auch ‚Lumpi‘ drauf genäht. Das war ich. Scheint ihn nicht zu stören, denn er hat es immer noch.“
Ich lachte darüber.
„Aber passt zu ihm.“, erwiderte ich lachend. „Kann ich auch so nennen? Mag er das?“
„Ich weiß es nicht. Bei mir macht er nichts… Weiß nicht, wie das bei Fremden ist. Aber bei dir wird er wohl auch nichts machen.“, antwortete sie und lief in Jespars Richtung.

Ich redete noch eine Weile mit Remus und Tahn, doch bald verabschiedete sich Remus.
Er wollte gerne zurück in seine Heimat und er hatte das Gefühl, dass das Castell, das wir besuchen wollten, in genau der falschen Richtung lag.
Also verließ er die Taverne.

Bald kam Jespar zu uns und setzte sich.
„Kommst du mit?“, fragte Tahn auf einmal. Jespar sah ihn verwirrt an. „Hier ist so ein Castell. Da gibt es Kupfer.“
Ich holte die Karte heraus und zeigte sie Jespar. Dazu erzählte ich ihnen von den Abenteurern, von denen ich von dem Ort erfahren hatte.
„Ah. Was steht da?“, fragte er und deutete auf die Namen der Länder, die der Tavernen-Wirt aufgeschrieben hatte.
Ich las sie vor und Jespar nickte wissend.
„Ich kenne diesen Ort. Da war auch Burg Grenzstein.“
Er zeigte auf eine Stelle auf der Karte.
Da fiel es mir wieder ein.
Burg Grenzstein…
Da war ich vor einigen Monden auch!
„Ah! Ist dieses Land?“, fragte ich nach. Die Begeisterung in meiner Stimme ließ zu Wünschen übrig.
Burg Grenzstein… Da gab es Pest und Krankheit und Dämonen.
Ich redete kurz mit Jespar darüber… Wir meinten tatsächlich den gleichen Ort.
Er war auch auf dieser Burg gewesen.

„Ich habe von Quintus den Passierschein bekommen.“, erklärte er dann stolz und holte aus einer Tasche ein Stück Papier heraus.
„Wirklich?!“, fragte ich überrascht nach. Ich erinnerte mich, dass es nahezu unmöglich war, an diesen Passierschein heranzukommen. Doch jetzt sah ich diesen Schein direkt vor mir.
„Wie hast du gemacht?“
Jespar lachte nur, gab mir jedoch keine Antwort darauf.
„Mit dem Passierschein sind wir vielleicht schneller als die Krieger aus der Taverne.“, überlegte Jespar.
Wir waren uns also einig.
„Also hole ich aus Wald meinen Bogen und Pfeile, dann suchen wir Äpfel für Tahn und dann reisen wir los?“, fragte ich nach. Die beiden stimmten mir zu.

Wir beschlossen, die restliche Nacht noch in der Taverne zu verbringen, um uns auszuruhen.
Am Morgen würden wir unsere Reise beginnen.

So spielten wir noch ein paar Runden ein Würfelspiel, bei dem Tahn jede Runde gewann.
Ich verlor drei Kupfer an ihn und entschied, dass mir das Spiel nicht sonderlich gut gefiel.
Dann schliefen wir ein.

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