Es dauerte nicht lange, bis ich an einen kleinen See kam, der mitten im Wald dieser Insel lag. Ich kniete mich an das Ufer des Sees und legte meine Runen aus.
„Heil Dir Odin, der Du so viele Masken trägst.“, sprach ich zu ihm. „Gib mir die Kraft, die Zettel zu finden, die Thoralf verstreut hat. Ich brauche sie, um die Macht der Runen zu verstehen.“
Nach einigen Augenblicken erhob ich mich wieder und setzte meinen Weg fort. Es führte mich über einen kleinen Pfad direkt am See entlang. Ich fühlte mich sicher, weil die Bäume mich weiterhin umgaben.
In der Ferne erblickte ich das Dach eines Hauses. Wohnte hier jemand? Oder war es eine Taverne? Ich hoffte sehr darauf, dass es sich um eine Taverne handelte. Es war immer einfacher, dort auf Personen zu treffen, die Informationen hatten. Und vielleicht sogar Zettel.
Ich bewegte mich direkt auf das Gebäude zu, erblickte dann auf einmal eine Person, die auf einem Baumstamm saß. Weiße Haare.
„Eldarion!“, schoss es durch meinen Kopf. Ich kannte ihn. Der Elf, dem ich das Leben gerettet hatte. Was machte er hier?
Grinsend ging ich auf ihn zu.
„Sei gegrüßt. Weißt Du wo wir hier sind?“, fragte ich ihn.
„Sei gegrüßt! Ich weiß nicht genau. Auf dem letzten Schild, das ich sah, stand ‚Moordorf'“, erwiderte er.
Moordorf. Es sagte mir nichts. Aber es war ja auch eine Insel, auf der ich noch nie vorher gewesen war.
„Ich bin vor meinem Lehrmeister geflohen.“, setzte er fort. „Er konnte es nicht ertragen, dass ich so viele Fragen stelle.“
„Oh?“, antwortete ich.
Ein Lehrmeister also. Ich wusste nicht genau, was er lernte, doch dieser Lehrmeister schien nicht der netteste Geselle zu sein.
Ich sah kurz zu dem Drachen auf seiner Schulter.
„Ist immer gut, Deinen Drachen dabei zu haben, eh?“, fragte ich ihn dann.
„Ja. Aber Feuer speien kann sie noch nicht.“, antwortete Eldarion nur.
„Wollen wir uns dieses Haus mal ansehen?“, fragte ich dann und er nickte.
Dann liefen wir einen Abhang herunter bis wir zu einem großen Platz kamen, der nicht von Wald bedeckt war. Eine Art Anschlagtafel befand sich auch vor dem Haus.
Ich wollte wissen, was für Aushänge dort hingen, doch ein paar Söldner versperrten mir den Weg. Sie waren fast größer als die Anschlagtafel und auch ihre Waffen blockierten die Sicht.
Ich blieb also einen Augenblick hinter ihnen stehen und wartete, doch sie schienen lange zum Lesen zu brauchen.
Als ich mich abwenden wollte, vernahm ich auf einmal eine bekannte Stimme.
Ich blickte hoch zu dem Pfad, von dem ich hergekommen war.
„Jin!“, rief ich ihm zu.
„Anastasya. Warte, ich komme runter.“, erwiderte er und ich ging ihm entgegen.
War er von Grenzstein aus direkt hierher gekommen?
Ich erinnerte mich, dass er bereits in der Nacht die Reise zurück zu seiner Heimat angetreten hatte während wir noch bis zum Morgen in Grenzstein geblieben waren.
Er erzählte von der Reise zu seiner Heimat, doch auf dem Weg zur Akademie schien er vom Weg abgekommen zu sein.
„Wo hast du Bjorn gelassen?“, fragte er dann.
Ich zuckte mit den Schultern.
„Bin ich von Grenzstein aus direkt in den Wald um zu jagen.“, erwiderte ich darauf. „Kannst du Bjorn nicht mitnehmen in Wald.“
Jin nickte. „Aber habt ihr euch nicht abgesprochen, wo ihr euch wieder trefft?“
„Njet.“, antwortete ich. „Treffen wir uns manchmal wieder oder eben nicht. Ist nicht schlimm. Lass uns schauen wo wir sind. Da hinten ist eine Karte.“
Die Söldner redeten mit zwei anderen Frauen, die auch eine Karte dabei zu haben schienen. Kamen sie von hier? Ich war mir nicht sicher, doch ich wollte erst einmal schauen, was an der Anschlagtafel aushing.
Dort gab es eine Karte der Insel, einen Aushang über die Gesetze des Landes und eine kurze Beschreibung. Doch da ich nicht wusste, wo genau diese Insel lag, wand ich mich an die Söldner und die beiden Frauen, die bei ihnen standen.
Sie schienen nun Karten zu vergleichen.
„Hallo.“, sagte ich und blickte auf die beiden Karten. Eine davon war riesig mit vielen Grenzen und Markierungen darauf, die andere schien einen kleineren Ort abzubilden.
Als ich das Wort ‚Anrea‘ auf der kleineren Karte las, die der Söldner in der Hand hielt, erstarrte ich kurz.
„Anrea?“, fragte ich und sah ihn direkt an.
Er nickte. „Ja, das ist eine Karte von Anrea.“
„Ist kein schöner Ort.“, erwiderte ich knurrend und sah kurz zu Jin. „In Anrea ist Burg Grenzstein.“
Jin und ich unterhielten uns kurz über das, was uns auf Burg Grenzstein widerfahren war.
Wir hatten den Ort zwar wieder bewohnbar gemacht, doch wer wusste schon, ob er für immer sicher sein würde…
„Grenzstein? Kenn ich nicht.“, gab der Söldner nur von sich. „In Anrea musste ich Torwache machen, doch es war gar nichts los. Das war schön. Ich weiß gar nicht, warum ich fort gegangen bin…“
„Ah. Konntest Du einfach Kupfer machen, eh?“, fragte ich und er nickte grinsend.
„Ist viel zu warm in diesen Landen.“, murrte ich.
Wie überlebten die Bewohner dieser Landen das nur?
„Ah, kommt Ihr auch aus dem Norden?“, fragte eine der beiden Frauen.
Ihre Gesichter waren bemalt und ich konnte das Zeichen ‚Othila‘ erkennen.
„Heimat.„, dachte ich und mein letzter Besuch von Falkenhain kam mir in den Sinn.
Dann nickte ich.
„Da. Ihr auch?“
Die beiden nickten und zeigten mir eine Insel auf der riesigen Karte.
Ich kannte keinen einzigen Ort auf dieser Karte. Eine solch große Karte hatte ich noch nie in meinem Leben gesehen.
„Wo kommt Ihr her?“, fragte eine der beiden.
„Aus Falkenhain.“, erwiderte ich nur.
„Wo ist das?“
Ich blickte auf die Karte.
„Ich weiß nicht. Ich kenne diese Karte nicht.“, murmelte ich nur und versuchte, auf der Karte auch nur eines der Orte benennen zu können. Keiner kam mir bekannt vor.
„Ah!“, rief Jin auf einmal und ich drehte mich um.
„Anasta-„, fing er an, aber bemerkte, dass ich selbst sah, was er mir sagen wollte:
Bjorn kam auf uns zu. Wie hatte er die Taverne nur gefunden? Er sah unverletzt aus. Das freute mich.
„Bjorn! Bist Du auch hier?“, rief ich ihm zu und er stellte sich zu uns.
„Da. Hast Du wieder Taverne gefunden auf dem Weg?“, fragte er mich und ich nickte. Daraufhin wirkte er sauer.
„Wie hast Du schon wieder Taverne gefunden? Musste ich an einem Stein schlafen im Wald!“, fügte er direkt hinzu.
„Ich weiß nicht. Bin ich durch Wald gelaufen, habe ich Taverne gefunden. Waren Thorstain und Wotan auch in Taverne.“, erzählte ich dann grinsend und machte ihn noch wütender.
„Mh. War ich in Bärenfels.“, murmelte er.
„Ahh. Bärenfels. Bei Carmen?“, fragte ich direkt.
Natürlich war er bei Carmen, egal, was er sagen würde.
„Da.“, erwiderte er nur und es war an ihm, zu grinsen.
„Wollen wir uns ein wenig umsehen?“, fragte ich dann und die beiden waren einverstanden. Also liefen wir hoch, zurück zu dem See und unterhielten uns über diese Insel. Ich erzählte von den Gesetzen des Landes und vor allem davon, dass man jeden Gott verehren durfte, den man wollte, solange dieser Gott rechtschaffen war. Bei Loki war ich mir da nicht so sicher. Aber wer sollte es mir schon verbieten?
Bjorn blickte ins Wasser und murrte, dass er Hunger hatte. Ich schlug vor, ein Seil an einen meiner Pfeile zu binden und einen der großen Fische zu erlegen, die im See schwammen. Doch ein wenig Mitleid hatte ich mit ihm, also bot ich ihm etwas von dem erlegten Elch an.
„Ah, hast du Elch gejagt?“, fragte Bjorn dann und aß genüsslich das Fleisch.
„Da.“, erwiderte ich leicht knurrend. „War große Elch. Mit große Geweih.“
Bjorn musterte mich und entdeckte meinen Verband.
Dann grinste er sofort.
„Ah. Hast du nicht getroffen?“
„Doch! Ich habe getroffen. Aber Elch stirbt nicht sofort, wenn du ihn triffst!“, antwortete ich laut.
„Du hast nicht getroffen.“ – Bjorn blieb beharrlich und sein Grinsen schien breiter zu werden.
„Doch! Habe ich!“
„Aber nicht zwischen die Augen.“, sagte er dann und ich seufzte.
„Willst Du Bogen haben und schießen?“, schlug ich dann vor und hielt ihm den Bogen hin. Er schüttelte nur den Kopf. „Kann ich nicht.“
„Siehst Du!“
Doch er grinste immer noch und so griff ich nach dem Dolch an meinem Gürtel.
Bjorn verstand die Geste sofort und sein Grinsen wich.
„Meine ich doch.“, murmelte ich nur und blickte wieder zum See.
Die beiden Frauen, die die große Karte dabei hatten, kamen zu uns. Sie trugen ebenfalls eine Bemalung im Gesicht, doch sie war wesentlich filigraner als meine. Ich tat es nur, um meine Augen zu verschleiern.
„Und? Hast du schon Dämonen gesehen?“, fragte Bjorn mich. Ich fühlte mich angestarrt und schüttelte den Kopf. Was fiel ihm ein?
„Njet, wieso sollte ich?“
„Immer wenn du irgendwo bist, passiert etwas Schlimmes.“, erwiderte er.
„Njet. Warum liegt denn an mir? Auf letzter Taverne, auf der ich war, ist nichts Schlimmes passiert!“, erwiderte ich sofort.
„Mh.“, murmelte er nur. „Vielleicht liegt an Bemalung. Bei Grenzstein haben sie dich auch komisch angeschaut.“
„Ist Bemalung nicht seltsam. Haben diese Frauen auch!“, gab ich zurück und deutete zu den beiden Frauen. „Bist du vielleicht komisch, weil du keine hast.“
„Njet. Wieso sollte ich Bemalung brauchen?“, fragte Bjorn dann.
Wir kamen mit den beiden Frauen ins Gespräch und sie stellten sich uns vor. Eine hieß Lynx und ist Fischerin, die andere hieß Rhea und war Jägerin. Beide kamen von einer Insel im Norden. Auf dem Weg in den Süden hatte der Seemann sie betrogen und zu dieser Insel gebracht.
Wir stellten uns ebenfalls bei den beiden Frauen vor.
Zwei weitere Personen kamen dazu. Sie hatten spitze Ohren. Elfen also. Aber da ich bisher nur gute Erfahrungen mit Elfen gemacht habe, hatte ich kein Problem mit ihnen.
Irgendwie kamen wir ins Gespräch über Ork- und Troll-Eier und redeten darüber, dass Troll-Eier nachwachsen würden. Aber ob Orks wirklich Eier hatten, wusste keiner von uns so genau. Ich würde es ausprobieren und die Eier dann verkaufen. Es gab sicherlich viele Interessenten. Und ich hasste Orks. Ich hasse sie immer noch.
So redeten wir noch eine Weile, bis zwei ältere Frauen dazu kamen. Sie hatten Körbe mit Gemüse bei sich. Wahrscheinlich wollten sie etwas an uns verkaufen. Aber ich hatte meine eigene Nahrung gejagt. Von mir würden sie keinen Kupfer bekommen.
„Hallo. Dürfen wir zu euch kommen?“, fragten sie uns und wir nickten nur.
„Wir haben Rüben, Karotten, Äpfel, Eier,-„, begann sie.
„Eier?“, unterbrach ich sie sofort und grinste.
Die anderen verstanden, weshalb ich grinste und taten es mir gleich.
„Ja, wir haben hier auch gute Eier zu verkaufen.“, setzte sie fort und nahm verschiedene Eier aus dem Korb, um sie zu zeigen.
„Ah, auch Eier von Troll?“, fragte Bjorn direkt.
„Ja. Genau, auch das.“, antwortete sie und kramte in ihrem Korb.
Sie holte ein Ei heraus, das ganz normal aussah. Wie ein Ei von einem Huhn. Doch niemand von uns hatte Troll-Eier gesehen, deswegen konnten wir ja auch nicht wissen, wie es aussah.
Bjorn kaufte es für ein Kupfer und hielt es in der Hand.
Die Frauen wollten noch mehr verkaufen und boten den Männern Rüben und Karotten an. „Ja, wenn ihr daraus eine Suppe macht, dann steigert das die Potenz enorm.“, erzählte eine der Frauen stolz und hielt eine Karotte und zwei Rüben hin.
Bjorn schüttelte den Kopf.
„Njet. Brauche ich nicht.“, antwortete er.
„Will er gar keine Kinder haben.“, fügte ich hinzu. „Aber dann kann ich auch Eier abschneiden und verkaufen, eh?“
„Njet! Aber was soll ich mit Kindern? Kann ich nicht mehr reisen dann, eh?“
Ich zuckte mit den Schultern.
„Hm. Kannst du hinlegen und manchmal wiederkommen?“, schlug ich vor.
„Ah. Ist so einfach?“, fragte Bjorn verwundert.
„Da.“
„Dachte ist schwieriger.“
Eine der beiden Bäuerinnen erzählten von ihren Kindern. Sie hatte neun. Dann erzählten sie von ihren Feldern und dem Nachbarshund, der immer auf den Feldern sein Geschäft machte. Das war auch der Grund, weswegen das Gemüse so gut und potenzsteigernd sei.
Doch wegen dem Hund konnten sie nur nachts auf das Feld. Denn dann schlief der Hund.
Ich schlug vor, den Hund einfach zu erschießen. Ihr Einwand war, dass sie dann nicht mehr so gutes Gemüse hatten.
Das war einleuchtend.
Dann merkten sie an, dass ich eine sehr selbstständige Frau sei und ich nickte. Ich verstand nicht, weshalb das so erwähnenswert war.
Bei Männern sagte doch auch niemand „Oh, Du bist so selbstständig.“
Doch in diesen Landen schien das alles ein wenig anders zu sein.
Von unsererem Platz am See aus konnten wir die hintere Tür des Hauses sehen. Aus der Tür kamen irgendwann drei Personen raus, die ziemlich reich aussahen.
„Oh, die Erlauchten…“, sagte eine der Bäuerinnen erführchtig und trat einen Schritt zurück, obwohl die Personen recht weit entfernt waren.
„Lauch?“, fragte ich dann. „Kann man essen, Lauch, eh?“
Ich hatte dieses Wort noch nie zuvor bei Personen gehört. Was war denn mit ihnen?
„Ja. Der edle Herr und die holde Dame.“, flüsterte die andere Bäuerin.
Ich verstand es einfach nicht.
Die beiden ‚Lauchs‘ liefen hinunter vor das Haus, dann sah ich sie nicht mehr.
Auf einmal kamen zwei andere Personen angelaufen. Ich hatte sie schon einmal irgendwo gesehen, doch ich kannte ihre Namen nicht. Einer von ihnen hatte einen großen Hammer und allgemein sahen sie eher so aus, als sei ihnen kalt… In diesen Landen. Ich verstand es nicht.
„Ah!“, rief der mit dem Hammer. „Euch suchen wir!“
Er sah mich an.
„Warum?“, fragte ich direkt.
„Wir brauchen Bogenschützen.“, antwortete er und ich hielt nickend meinen Bogen etwas höher.
„Da. Kann ich Bogen schießen.“
„Unten wird ein Wettbewerb gemacht und wir sollen die Bogenschützen suchen.“, erklärte der andere dann.
Ich sah kurz zu Bjorn.
„Da. Gehe ich Bogenschießen.“, antwortete ich und folgte den beiden.
Rhea, Lynx, Jin und Bjorn taten es mir gleich.
„Bekomme ich etwas dafür?“, fragte ich die beiden.
„Hm. Bestimmt. Könnt ihr die Dame sicherlich fragen. Sie sind sehr spendabel.“, antwortete der mit dem Hammer.
Unten angekommen erblickte ich ein Gerüst, an dem Zielscheiben angebracht waren. Von hier aus sollte ich also schießen.
Die beiden Männer, die mich geholt hatten, bekamen Kupfermünzen von einer Elfin.
Ich hoffte, dass ich auch Kupfer bekommen würde, wenn ich gewann.
Eldarion und ein anderer Mann kamen zu uns. Sie hatten ebenfalls einen Bogen, sie würden also auch teilnehmen.
Wir bereiteten uns vor und die beiden Männer ließen mir den Vortritt. Die Ziele waren nah am Boden ausgerichtet und bewegten sich nicht. Wann hatte ich zuletzt auf unbewegte Ziele geschossen, die so nah am Boden waren?
Ich wusste nicht, ob ich es schaffen würde.
„Was ist der Preis?“, fragte ich. Wenn es nur für die sogenannte ‚Ehre‘ war, würde ich nicht schießen.
„Ein Gold.“, antwortete die Elfin und kramte in ihrer Tasche.
„In Kupfer?“, fragte ich dann. Was sollte ich mit einem Gold?
„So viel Kupfer hab ich nicht.“, erwiderte sie. „Ich habe auch den falschen Beutel dabei… Ich gebe euch ein Getränk aus.“
Na gut. Ich hätte lieber Kupfer genommen, doch ein Getränk war auch in Ordnung. Nur fürs Schießen.
Wir schossen abwechselnd auf die Zielscheiben, es gab fünf Runden, doch die Elfin schrieb die Punkte nicht auf. In meinen Augen traf Eldarion recht häufig ins Schwarze. Aber ich wusste auch, dass er ganz gut im Schießen war.
Als wir fertig waren, war die Elfin recht verwirrt. Sie schien nicht sicher zu sein, wer denn jetzt gewonnen hatte und so überlegte sie einen Augenblick.
„Ich denke, die Dame mit den roten Haaren hat am besten geschossen.“
Wir waren alle verwirrt über dieses Ergebnis. Ich hatte ganz gut geschossen, doch ob ich wirklich am besten war, konnte ich nicht sagen. Die Elfin lief in die Taverne und kam mit einem Getränk wieder. „Hier. Glückwunsch.“
„Habt Dank.“, erwiderte ich und war noch immer verwirrt.
Die beiden Bäuerinnen kamen zu mir und überreichten mir eine hübsche Rose ohne Dornen für meinen Sieg. Ich bedankte mich und Rhea schlug vor, mir die Rose in die Haare zu stecken. Das klang gut, so hatte ich zumindest meine Hand wieder frei, also steckte sie die Rose in meinen geflochteten Zopf.
Als ich wieder zu Bjorn ging, blickte er mich leicht verwirrt an.
„Hubsch.“, murmelte er, doch es klang nicht echt. Wahrscheinlich fand er es seltsam, doch er verstand ja auch nicht, weshalb ich Gesichtsbemalung trug.
Während ich trank, wurde eine Ankündigung gemacht. Man solle sich bei den Erlauchten vorstellen. Da war es schon wieder. Lauchs. Was sollte das bedeuten.
Doch uns wurde auch gesagt, dass diese ‚Lauchs‘ oben in der Taverne saßen.
Bjorn, Jin und ich blickten uns an.
„Da. Wir sollten uns vorstellen, eh?“, fragte ich die beiden.
„Ist komische Land hier.“, erwiderte Bjorn, doch gab keine Widerworte.
Wir betraten also die Taverne und liefen die Treppe hoch. Dort standen bereits ein paar Personen an. Am Ende dieser Schlange stand ein langer Tisch, an dem zwei Personen saßen. Ein Mann und eine Frau. Direkt neben dem Tisch stand ein Mann, der ganz in schwarz gekleidet war und ein langes Schwert bei sich trug. Das war wohl der Leibwächter, davon hatte ich schon öfter gehört.
Bald waren wir an der Reihe. Da wir in dem Moment eine Art Gruppe waren, gingen wir gemeinsam zu dem Tisch. Der Leibwächter kam auf mich zu und forderte mich auf, meinen Bogen zu entspannen.
Seufzend nickte ich und entspannte den Bogen.
Hatten sie etwa Angst vor mir?
Auch Bjorn musste seine Axt abgeben, doch der Leibwächter konnte sie kaum halten.
Wir gingen zu den beiden Personen am Tisch und stellten uns vor.
Sie fragten uns, ob wir Magiebegabt seien oder Alchemisten oder was wir sonst konnten.
Ich halte mich nicht für einen Magier, von daher sagte ich nichts dazu.
„Kann ich mit Göttern reden.“, murmelte ich nur, doch es war ihnen egal.
Die beiden Personen stellten sich ebenfalls vor, doch die Namen vergaß ich direkt wieder. Sie klangen sehr fremdländisch und sprachen auch etwas seltsam.
Dann machten sie uns darauf aufmerksam, dass die Gesetze des Landes aushingen und weshalb sie durch ihre Ländereien reisten.
Die Frau hatte sehr seltsame Augen; sie waren rot. Doch ich hatte schon viele seltsam aussehende Personen gesehen. Nicht immer hatte es etwas zu sagen.
Bald gingen wir wieder die Treppen runter und verließen die Taverne.
„Und jetzt? Wissen wir wie sie heißen.“, grummelte Bjorn unzufrieden.
„Njet. Habe ich schon wieder vergessen.“, erwiderte ich und spannte meinen Bogen wieder.
Eine weitere Ankündigung wurde gemacht: Ein weiteres Fernkampf-Wettbewerb sollte stattfinden. Abgesehen davon auch ein Schwertkampf-Wettbewerb.
Ich überlegte, ob ich teilnehmen sollte.
Bjorn kam zu mir und erzählte, dass er am Schwertkampf-Wettbewerb teilnehmen wollte.
„Ah, darfst du auch Axt benutzen?“, fragte ich, doch er schüttelte den Kopf.
„Kann ich dein Schwert haben?“
Ich nahm das Schwert aus der Halterung.
„Da. Kannst du machen.“, erwiderte ich und gab ihm mein Schwert.
Als ich an den beiden Bäuerinnen vorbei ging, unterhielten sie sich über Schriften. Sie suchten Jemanden, der sich damit auskannte.
Ich fragte sie, was sie brauchten.
„Ein Herr in der Taverne sucht Jemanden, der schreiben und lesen kann.“, erklärte eine der Bäuerinnen.
„Da. Kann ich schreiben. Runen und eure Schrift.“, antwortete ich und sie starrte mich einen Augenblick an.
„Oh! Ausgezeichnet. Ja. Kommt mit uns hoch zu dem Mann.“
Ich folgte den beiden Bäuerinnen die Treppe hinauf.
Oben saß ein Mann mit einem kleinen Jungen an einem Tisch. Ich ging zu ihm und die beiden Bäuerinnen sagten, dass ich mich mit Schriften auskenne.
„Hallo.“, begrüßte ich den Mann.
Die beiden Frauen bekamen je ein Kupfer von dem Mann und gingen dann wieder.
Ich blieb zunächst neben dem Tisch stehen und der Mann musterte mich.
„Was braucht Ihr denn?“, fragte ich ihn.
„Ich suche Schriften.“, antwortete er.
Ich setzte mich an den Tisch.
„Habe ich viele Schriften. Kann ich auch selbst schreiben.“
„Magische Schriften habt ihr wohl eher nicht, oder?“
Ich lächelte leicht und nahm das Runenbuch aus meiner Tasche.
„Ist etwas schwierig. Viel Magisches, aber vieles ist nicht entschlüsselt. Könnt Ihr also auch nicht lesen.“
Ich zeigte ihm ein paar der Seiten.
„Was würdet Ihr für das Buch verlangen?“, fragte er.
Einen Moment zögerte ich. Nein. Das Buch würde ich nicht hergeben.
„Habe ich das Buch nur einmal. Wenn ich es verkaufe, habe ich es nicht mehr.“, antwortete ich. „Kann ich nicht verkaufen.“
Er nickte. „Ja, das verstehe ich. Aber ihr könntet mir auch eine Abschrift anfertigen.“, schlug er vor.
„Da. Was wollt Ihr denn?“
Er blätterte die erste Seite des Buches auf und deutete auf das Runenalphabet.
„Da. Kann ich machen.“
„Was wollt Ihr denn dafür?“
Ich überlegte.
Was konnte ich dafür verlangen?
In meiner Heimat kannte fast jeder das Runenalphabet, aber hier?
„Fünf Kupfer.“, erwiderte ich. Der Mann nickte.
„Da. Dann fertige ich Abschrift an und komme wieder.“, kündigte ich an und erhob mich dann wieder.
Ich setzte mich nach draußen an einen runden Stein, an dem Bjorn und Jin bereits saßen und aßen. Grinsend setzte ich mich dazu und holte Papier und Stift aus meiner Tasche.
„Kann ich Kupfer verdienen.“, verkündete ich mit breitem Grinsen.
„Ah, wie das?“, fragte Bjorn.
„Mann will diese Seite haben. Fünf Kupfer!“, flüsterte ich und begann, abzuschreiben.
Der kleine Junge kam zu mir und drückte mir eine Kupfermünze in die Hand als Anzahlung. Ich bedankte mich und der Junge ging wieder.
Als ich fertig war, wollte ich den Zettel zu dem Mann bringen.
Bjorn ermutigte mich, doch bei dem Turnier teilzunehmen und so ließ ich mich eintragen.
Ich fand den Mann draußen vor der Taverne und drückte ihm den Zettel mit dem Runenalphabet in die Hand. Er bedankte sich und gab mir die übrigen vier Kupfer.
Dann begann der Fernkampf-Wettbewerb.
Wir liefen durch den Wald am See entlang bis hin zu einer etwas größeren Lichtung. Dort wurden die Zielscheiben aufgestellt.
Eldarion trat gegen den anderen Mann an, dessen Namen ich nicht kannte… Und Eldarion gewann.
„Als nächstes tritt Bartras gegen Anastasya an.“, kündigte ein Mann an und ich sah zu Bartras, dem Alchemisten.
Er hatte eine Armbrust, doch ich machte mir keine großen Sorgen. Vielleicht würde ich ihn trotzdem besiegen.
Jeder hatte drei Schüsse und wir mussten auf Kommando des Mannes schießen.
„Bogenschützen anlegen. Und Schuss!“, rief er jedes Mal.
Bartras und ich trafen jede Mal ins Schwarze.
Die Bäuerinnen feuerten mich an.
Der Mann notierte sich unsere Ergebnisse und forderte uns auf, ein paar Schritte zurück zu treten.
Dann sollten wir erneut schießen.
Wieder trafen wir beide ins Schwarze.
Die umstehenden Personen jubelten.
Wir wiederholten es einige Male, doch wir trafen jedes Mal beide ins Schwarze.
Die beiden Bediensteten des Mannes nahmen die Zielscheiben und bewegten sie.
„Bewegte Ziele.“, dachte ich. Damit konnte ich sogar noch besser umgehen.
Wir schossen – und trafen beide.
Dann sollten wir wieder normal schießen.
Allerdings zitterte mein Arm bereits. Schließlich musste ich immer ziehen und halten, bis der Mann das Kommando zum Schießen gab.
Das wurde mir beim nächsten Schuss zum Verhängnis.
Ich ließ die Sehne los und sie streifte meinen Arm, bremste dadurch den Pfeil aus. Ich traf nicht. Bartras traf.
Ich ärgerte mich sehr, dass ich nicht gewonnen hatte, doch auch die anderen Personen meinten, dass Bogen gegen Armbrust kein gerechter Wettkampf war. Doch ich hatte mich darauf eingelassen, also stand es mir nicht zu, mich jetzt zu beschweren.
Die Bäuerinnen kamen zu mir und sagten, dass ich trotzdem die Siegerin der Herzen sei und, dass ich eine große Schützin sei. Ich lächelte darüber und mochte, dass sie mich ehrten. Auch, wenn ich mir eigentlich nicht viel daraus machte.
Bartras trat schließlich gegen Eldarion an und Bartras gewann. Auch Eldarion merkte dann an, dass es nicht sonderlich gerecht gewesen war.
Doch im Nachhinein konnten wir es ohnehin nicht ändern.
Wir liefen wieder hinunter. Bjorn versuchte, sich auf den Schwertkampf-Wettbewerb vorzubereiten.
Er hielt mein Schwert in der Hand und wirkte recht unglücklich.
Jin bot ihm an, sein Schwert zu benutzen, da es etwas länger war.
Ich starrte Bjorn an.
Wenn er jetzt Jins Schwert nahm, würde ich wütend werden.
Zuerst mich nach einem Schwert fragen und dann doch ein anderes nehmen, nein, das war nicht in Ordnung.
„Halt mal.“, sagte er und hielt mir mein Schwert hin.
Ich hielt es nicht.
Ich blickte ihn weiter böse an.
„Oh… Anastasya.“, murmelte Lynx und sah zu mir.
„Du hältst mein Schwert weiter fest.“, befahl ich ihm ruhig und sauer. Er wusste, dass es klüger wäre, einfach mein Schwert zu nutzen. Zumindest sollte er das wissen.
Doch er nahm Jins Schwert und so nahm ich mein Schwert zurück und wand mich ab. Ich hatte keine Lust, zuzusehen, wie sie kämpften.
Also lief ich zurück zu dem See. Dort fühlte ich mich wohl. Außerdem wollte ich etwas mit Odin sprechen.
Ich setzte mich auf einen Baumstamm am Wasser und legte meine Runen aus.
Etwas schien nicht im Fluss zu sein, denn die Rune Laguz lag falsch herum. Seufzend saß ich noch eine Weile auf dem Stamm und blickte zum Wasser. Es wurde langsam dunkel.
Irgendwann erhob ich mich wieder, packte meine Runen zusammen und wollte zurück gehen. Vielleicht hatte ich überreagiert. Wieso war ich überhaupt so wütend? Vielleicht konnte er mit Jins Schwert eher gewinnen?
Doch als ich den kleinen Abhang hinunter zur Taverne gehen wollte, erstarrte ich.
Ein Ork.
Er kam gerade auf die Personen zu, die vor der Taverne standen.
Ich blieb stehen und starrte ihn an. Was sollte ich tun?
Meine Hand ging sofort zu meinem Köcher und umfasste einen der Pfeile.
„Töten.“, ging es durch meinen Kopf.
Ich erinnerte mich an den Ork auf dem Phönixnest.
„Töten, bevor das wieder passiert.“
Schnell drehte ich mich um und lief zurück zum Fluss.
Nein, ich durfte hier niemanden töten.
Wenn ich jemanden tötete, würden sie mich töten.
In den aushängenden Gesetzten des Landes war es verzeichnet. Töten war verboten.
Also ging ich wieder zu dem Baumstamm, zog zwei Runen.
„Odin. Was soll ich tun? Soll ich den Ork töten?“
Taiwaz – Der Kampf.
Sowilo – Der Sieg.
Ich starrte kurz hinauf zum Himmel.
„Odin. Aber. Ich darf hier nicht kämpfen, ich darf ihn nicht töten!“
Dann vernahm ich Schritte und blickte auf.
Bjorn.
„Was machst du, Anastasya?“, fragte er mich.
„Hast du es nicht gesehen? Dieses Ding?!“
„Den Ork?“, fragte er weiter.
Ich nickte.
„Sind nicht alle Orks gleich, denke ich.“, gab er mir zu Bedenken.
Ich seufzte.
„Ich will töten.“, murmelte ich und hielt meine Axt umklammert.
Bjorn schüttelte den Kopf.
„Dann töten sie dich.“
Auf einmal noch andere Schritte. Bjorn drehte sich um.
„Ork kommt.“, flüsterte er.
Meine Augen weiteten sich.
Nein.
Nein.
Was sollte ich tun?
„Wir gehen wieder runter.“, bestimmte Bjorn und ging vor. Ich folgte ihm und roch den Ork bereits. Er stank bestialisch. Ich hasste sie so sehr.
Doch Bjorn lief so vor mir her, dass ich ihn nicht sah und an ihm vorbei lief. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich hatte Angst und Wut. Ich wollte ihn töten, doch ich konnte nicht.
Jin kam uns entgegen und teilte Bjorn mit, dass der Schwertkampf nun beginnen würde.
Also beeilten wir uns, zurück zu den anderen Personen zu kommen.
Der Schwertkampf begann. Es wurden immer zwei Kämpfer ausgewählt, die gegeneinander antreten sollten.
Bjorn sollte gegen Krul antreten.
Krul kannte ich. Er hatte mir auf einer Taverne schon mal geholfen.
Meine Wut auf Bjorn war verflogen und ich feuerte ihn an. Er musste gewinnen!
Die ersten Schläge parierten beide gleich gut, doch dann lag Bjorn vorne.
Ich stand neben Bartras als wir zuschauten.
Bjorn gewann.
Dann sollte er gegen den Leibwächter der ‚Lauchs‘ antreten.
Das würde etwas schwieriger werden, dachte ich direkt.
Immerhin kämpfte der Leibwächter vermutlich täglich mit seinem Schwert.
Zuerst lag Bjorn vorne, doch dann verlor er gegen den Leibwächter.
Doch er war trotzdem stolz, schon so weit gekommen zu sein.
Wir setzten uns an den runden Stein und beschlossen, Othila zu spielen.
Bjorn packte das Würfelspiel aus und ich holte das Spielfeld.
Jin erklärte Rhea und Lynx das Spiel und wir fingen an. Wir wollten endlich mal Othila legen.
Wir spielten einige Runden, doch keiner schaffte es, Othila zu legen.
Während wir dort saßen, kamen die beiden ‚Lauchs‘, der Herr und die Dame nach draußen und ehrten die Sieger und die Zweitplatzierten. Sie bekamen Silber und Kupfer für ihre Leistungen. Dann wurde eine „Überraschung“ angekündigt, die bald folgen würde.
Wir spielten weiter und irgendwann kam der Ork näher zu uns und unterhielt sich mit zwei anderen Personen, die ich auch kannte. Eine von ihnen hatte Bjorn schon einmal das Leben gerettet, doch ich kannte ihre Namen nicht.
Während der näher kam, erstarrte ich und griff nach meinem Dolch, hielt ihn fest in der Hand.
Der Ork ging an uns vorbei und ich versuchte, ihn im Blick zu behalten.
„Anastasya…“, murmelte Lynx. „Mach nichts Dummes.“
Ich knurrte und starrte den Ork weiter an. Ich wollte, dass er verschwindet.
Doch er blieb in der Nähe und so konnte ich mich nicht auf Othila konzentrieren. Jin starrte den Ork auch wachsam an. Er schien Orks ebenfalls nicht zu trauen.
Bald erhoben wir uns und gingen weg von dem Tisch. Es brachte nichts, hier bei dem Ork zu bleiben. Außerdem hatte eine der Frauen, die mir bekannt vorkamen, seltsames Räucherwerk angezündet. Es störte uns einfach.
Durch lautes Knallen und bunte Farben wurde ich auf die „Überraschung“ aufmerksam. Ich traute dem nicht. Schwarze Magie? Ich hielt meine Hand vorsichtshalber beim Köcher, um schnell schießen zu können.
Doch es verlief harmlos. Es passierte nichts. Doch der Himmel wurde in allen erdenklichen Farben erleuchtet, begleitet von lauten Geräuschen. Was genau das war, wusste ich nicht. Es musste sich um einen Zauberer handeln. Vielleicht waren die beiden ‚Lauchs‘ ohnehin Zauberer. Ich hoffte, dass nichts Schlimmes passieren würde.
Bald schien der Zauberer erschöpft zu sein, denn keine weiteren Farben erleuchteten den Himmel.
Wir beschlossen, nach oben zu gehen und dort weiter zu spielen, denn der Ork saß noch immer an dem runden Stein, an dem wir zuvor gespielt hatten.
Rhea und Lynx holten sich eine Karaffe voll Met und brachten sie mit zum Tisch.
Dort spielten wir weiter Othila und setzten sechs Kupfer auf denjenigen, der Othila legen konnte.
Während wir spielten, unterhielten wir uns noch über alles, was wir so erlebt hatten. Redeten über die Götter und den Norden und über Othila.
Einige Male hätte ich fast Othila gelegt.
Aber eben nur fast.
So wurde der Abend immer länger und ich immer müder.
Bald beschloss ich, mich schlafen zu legen und am nächsten Tag die Insel wieder zu verlassen.
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