Am nächsten Morgen erwachte ich recht früh.
Verwirrt sah ich mich um.
„War Jemand hier?“, fragte ich und warf einen Blick zur Tür.
Sie war geschlossen.
Das Seil mit der Falle hing noch immer genauso wie vorher.
Es konnte also niemand hereingekommen sein.
Was war denn geschehen?
Wieso hatte ich so ein seltsames Gefühl?
Die anderen waren auch schon wach und blickten zu mir.
„Nein, hier war niemand.“, bestätigten sie mir.
Ich erhob mich langsam.
Die Waffen nahm ich sofort vom Boden.
Ob die fahrende Küche noch hier war?
„Schauen wir, ob es Essen gibt?“
Tahn, Halfdan, Lynx und Einarr folgten mir zum Speisesaal.
Wir hatten Glück – die fahrende Küche war noch hier und es gab etwas zu essen.
Und das, obwohl sie von dem Kupfer, das wir zahlen mussten, nichts bekommen hatten.
Nach dem Essen beschlossen wir, uns den Burggraben einmal genauer anzuschauen.
Gestern Abend hielten wir es wegen der Dunkelheit für keine besonders gute Idee.
Also verließen wir die Tore der Burg, liefen über eine kleine Brücke und dann einen steilen Erdhang hinab zum Burggraben, der glücklicherweise ausgetrocknet war.
„Vielleicht finde ich hier Kupfer.“, überlegte Tahn und lief vor. Er sah sich überall ganz genau um und wir folgten ihm.
Wir liefen unter der Brücke her und umrundeten die Burg fast.
Doch außer einem kleinen, roten Stofffetzen, der aus dem vernagelten Teil der Burg hing, fanden wir nichts, was uns weiterhelfen sollte.

Also kletterten wir auf der anderen Seite wieder aus dem Burggraben heraus, liefen den Weg zurück bis zum Burgtor zurück und betraten die Burg wieder.
Auch der Friedhof sah im Hellen nicht viel besser aus als im Dunklen, also beschlossen wir, wieder zum Innenhof der Burg zu laufen.
Dort hatten sich sehr viele Menschen an einer Tür versammelt.
Es war genau die Tür, aus der gestern diese seltsamen Untoten gesprungen waren.
Was hatte es nur damit auf sich?
Ich beschloss, nachzufragen.
„Was ist hier? Was ist mit Tür?“, fragte ich einen Mann. Er trug ebenfalls etwas schwarze Farbe im Gesicht und schien aus dem Norden zu kommen.
Er sah sich kurz um.
„Die Kurzfassung?“, fragte er.
Ich zuckte mit den Schultern.
„Kannst du auch lang erzählen, wenn du willst.“, erwiderte ich.
„Hm. Also da unten ist eine dunkle Macht, die da zehn Jahre lang eingesperrt war. Jetzt wollen sie die da raus holen, weil da noch eine gute Macht drin ist. Dann wäre da nur noch eine gute Macht. Die machen da unten gerade ein Ritual.“, erklärte er mir. Er wirkte dabei nicht besonders schockiert oder gespannt. Es war so, als würde es ihm täglich passieren.

Mir gefiel der Gedanke nicht, dass sie diese gebannte Macht aus dem Raum holen wollen.
Doch ich wusste, dass ich bei den sturen Magiern ohnehin nichts ändern konnte… Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatten, dann zogen sie es auch durch.
Aber in jedem Fall wollte ich nicht in der Nähe sein, wenn diese böse Macht befreit werden würde.
Und wie gerufen erklangen plötzlich Kampfschreie vom äußeren Burghof.
Ich nahm meine Waffen in die Hand und rannte los.

Diese seltsamen Gestalten, die uns am vorherigen Tag schon belästigt hatten, griffen nun wieder an.
Doch diesmal schienen sie noch stärker zu sein.
Und es waren mehr – viel mehr.
Einer von ihnen trug eine Armbrust bei sich – ich versuchte, auf ihn zu achten.
Aus dem Nichts einen Bolzen ab zu bekommen wäre ziemlich schlecht.
Ich konzentrierte mich vor allem auf die Wesen mit kurzen Waffen. Diese konnte ich am schnellsten erledigen und musste mir kaum Sorgen machen, selbst angegriffen zu werden.
Zwischendurch warf ich immer wieder einen Blick zu dem Armbrust-Schützen, doch er zielte bisher nur auf die anderen Kämpfer.
Wir mussten ihn irgendwie unschädlich machen.

Ich überlegte, wie wir am schnellsten zu ihm gelangen konnten, ohne von den anderen Angreifern niedergeschlagen zu werden, als mich auf einmal ein stechender Schmerz erwischte.
Direkt im Oberschenkel.
Ich sackte zusammen, doch bevor ich am Boden aufkommen konnte, wurde ich von Jemandem zurück gezogen.
„Anastasya! Nicht hinlegen!“, befahl eine bekannte Stimme. Es war der Mann mit dem Hammer. Er zog mich aus dem Kampfgeschehen heraus.
An einer Mauer ließ er mich wieder los und stürzte sich erneut in den Kampf.
Ich ließ mich zu Boden sinken und starrte auf mein Bein.
Mich hatte tatsächlich ein Pfeil getroffen… Den Bogenschützen hatte ich nicht einmal gesehen…
War ich so auf den Armbrust-Schützen konzentriert gewesen?

Der Pfeil steckte noch in meinem Oberschenkel und ich war mir nicht sicher, ob es klug war, ihn einfach raus zu ziehen.
Immerhin konnte er Widerhaken haben…
Und was, wenn es abbrach und ein Stück Pfeil im Fleisch blieb?
Sicher würde es sich entzünden und…
„Der Pfeil steckt noch.“, merkte Polly an und riss mich aus meinen Gedanken.
„Da.“, erwiderte ich mit schmerzverzerrtem Gesicht.
Das Blut bahnte sich seinen Weg an dem Pfeil vorbei. Es tropfte zu Boden. Ich konnte es spüren und hören.

„Wir müssen hier weg!“, rief jemand Anderes und ich erkannte auch bald, warum.
Diese seltsamen, untoten Wesen drängten uns zurück.
Es würde wohl nicht mehr lange dauern, bis sie die Mauer erreichen würden, an der ich angelehnt saß.
Ich sah zu Polly, dann wieder zu dem Mann, der gerufen hatte.
Was sollte ich tun?
Einfach aufstehen? Ein Ding der Unmöglichkeit.
„Polly? Kannst du ziehen Pfeil?“, bat ich sie.
Erst dann würde ich die Wunde ordentlich reinigen und verbinden können.
Erst dann würde ich mich von diesem Ort wegbewegen können.
„Soll ich?“, fragte sie nach.
Ich nickte.
„Da. Hoffe ich, dass Pfeil keine Widerhaken hat.“
„Ich glaube nicht.“, erwiderte sie.
Dann zog sie.
Und ich schrie.
Es fühlte sich noch viel schlimmer an als der Moment, als sich der Pfeil in meinen Oberschenkel gebohrt hatte.
Doch dann war es vorbei.
Dann brannte es nur noch.
Ich sah kurz zu den Kämpfenden.
Ein bisschen Zeit hatte ich noch.
Also schüttete ich Metka in die Verletzung, schrie erneut auf und drückte dann einen Verband auf die offene Wunde.
Es blutete stark und ich hoffte, es so etwas abschwächen zu können.
Immerhin brauchte ich mein Blut noch.

Als die Untoten schon ganz nahe waren, knotete ich den Verband um mein Bein.
Mit der Hilfe von Jespar und Tahn entfernte ich mich von dem Ort des Geschehens und ließ mich ein bisschen weiter weg gegen eine andere Mauer sinken.
Von hier aus konnte man den Kampf noch sehen, war aber nicht einmal in Schuss-Reichweite.
Immerhin etwas.

Ich ruhte mich etwas aus und wartete ab, bis der Kampf vorbei war.
Wieder einmal hatten wir die Untoten in die Flucht geschlagen – doch vermutlich nur fürs Erste.

Vorsichtig erhob ich mich und testete, ob ich wieder etwas laufen konnte.
Es war zwar etwas schmerzhaft, aber es war erträglich.
Auch, wenn man sich niemals wirklich an die Schmerzen gewöhnte, so hatte ich das Gefühl, dass der Heilungsprozess schneller einsetzte als früher.
Ob es daran lag, dass ich schon so oft verletzt worden war…? Vor allem in letzter Zeit?

Wir liefen wieder runter zu der Stelle, an der die Mauern der Burg eine kleine Ausbuchtung formten, in der man sich etwas geschützter fühlte.
Außerdem gab es hier ein paar Holzbänke, auf die man sich setzen konnte.
Lautes Scheppern ließ mich aufmerksam werden.
Ich hob den Blick und sah eine kleine Frau, die von einigen Plattenträgern begleitet wurde.
Doch mit der Frau schien irgendetwas nicht zu stimmen…
Irgendwie schien sie sehr unruhig zu sein. Sie sah sich um, verdrehte die Augen, fauchte, knurrte.
Es erinnerte mich etwas an die Druidin von Burg Grenzstein, die zwischendurch glaubte, dass sie ein Krokodil oder eine Eidechse sei.
Nur, dass diese Frau hier dabei wirklich stark bedrohlich aussah.

Als die Gruppe näher kam, trat ich einige Schritte zurück.
Wir sahen die Leute fragend an.
„Wir bringen die böse Macht nach draußen.“, erklärte einer der Plattenträger.
Die böse Macht?
Nach draußen?
Und dann?
Das klang doch nach keiner so guten Idee?!
„So wie die Prophezeiung es sagt. Die böse Macht muss die Burg verlassen.“, sprach auf einmal ein anderer Mann. Er war ziemlich groß, passte aber überhaupt nicht zu den übrigen Krieger- oder Adligen-Gruppen.
Wohnte er etwa hier auf dieser Burg?

Wir liefen zu den Burgmauern und versuchten, von dort aus etwas zu erkennen.
Die Plattenträger begleiteten die Frau nach draußen. Si e liefen durch das Tor hinaus. Dort blieben sie stehen.
Was genau sie dort dann machten, konnte ich nicht sagen. Sie schienen etwas zu sprechen. Magische Worte? Oder beteten sie?

„Ist nicht gut…“, murmelte ich besorgt und beobachtete das Ganze weiter.
Auf einmal erschien eine Gestalt und schien gerade aus der Frau heraus gekommen zu sein.
Wie ein Geist, nur viel, viel dunkler.
Ich konnte die böse Energie spüren, die von ihm ausging.

„Habt Dank. Ich werde Euch jetzt verlassen.“, sprach diese Gestalt. Dann war sie verschwunden.

Wir sahen uns um.
Wo?
Wie?
Das konnte doch nicht sein?
Hatten sie gerade wirklich eine dunkle, böse Macht freigelassen?

„Großartig…“, grummelte ich. „Nehmen wir böse Macht, die seit zehn Jahren eingesperrt ist, packen sie in Frau und lassen sie frei. Jetzt haben wir nicht böse Macht in einem Raum, sondern böse Macht überall.“

Wie konnten die Menschen hier nur so dämlich sein?
Und was war mit der Frau?
Wenn das wirklich ein Exorzismus war, den sie durchgeführt hatten, dann war die Frau doch jetzt tot?
Oder nicht?
Alle Versuche von diesem seltsamen Exorzismus, die ich mitbekommen hatte, waren bisher schief gegangen… Die zu exorzierende Person war immer ums Leben gekommen.
Ich konnte also nur hoffen, dass es diesmal anders war.
Aber um ehrlich zu sein glaubte ich da nicht wirklich dran.

Ich regte mich noch eine Weile über die Dummheit dieser Tat auf und die umstehenden Personen stimmten mir zu.
Doch im Endeffekt brachte es nicht viel, sich über etwas aufzuregen, was schon passiert war.
Ändern konnte ich es nicht.
Ich fragte mich allerdings, wie klug es war, weiterhin auf dieser Burg zu bleiben.
War es nicht eine bessere Idee, jetzt zu verschwinden?
Was, wenn dieses seltsame Wesen der dunklen Macht wiederkam?
Und ich war mir wirklich sicher, dass es wiederkommen würde.
Warum denn auch nicht?

Kopfschüttelnd machte ich mich wieder auf den Weg zum Innenhof.
Vielleicht würde mich ja Jemand auf meinem Weg zurück begleiten.
Wahrscheinlich gab es nun mehrere Personen, die sich auf dieser Burg nun alles andere als sicher fühlten…

Vampire und Untote waren ja schon schlimm genug… Und nun noch eine befreite, dunkle Macht, die zehn Jahre lang eingesperrt war?
Konnte man so etwas überhaupt mit Waffen bekämpfen?
Zusammen mit Polly, Jespar, Tahn, Lynx und der Gruppe der Nordleute saßen wir nun also im Innenhof und ruhten uns etwas aus.
Die Nacht war kurz und unruhig gewesen und so konnten wir ja die Zeit nutzen, in der es etwas ruhiger war.
Auf der einen Seite wollte ich diesen Ort gerne verlassen, doch auf der anderen Seite wartete da noch das Geheimnis der Unsterblichkeit.
Ich hatte es so weit geschafft… Sollte ich wirklich abreisen, weil eine dunkle Macht wiederkommen könnte?
Und was war mit den anderen?
Gab es nicht genug Magier hier, die diese Macht irgendwie zerstören konnten?
Konnte ich nicht immer noch gehen, wenn die Bedrohung da war?

„Mh, ich brauch n Apfel.“, murrte Tahn und kramte in seiner Tasche.
„Oh, Tahn, ich hab etwas für dich.“, kam es auf einmal von Jespar und er erhob sich.
Ich sah ihn fragend an. Hatte er etwa auch Äpfel gesammelt? Nur wann?
So, als hätte er meine Gedanken gelesen wand sich Jespar an mich.
„Anastasya, weißt du noch, als ich gesagt habe, ich müsste austreten?“, fragte er mich und grinste. „War ich aber gar nicht. Ich habe das hier gesammelt.“
Aus seinem Beutel nahm er etwas heraus und reichte es Tahn.
„Was ist das?“, fragte Tahn verwirrt.
„Das ist wie ein Apfel…“, erklärte Jespar.
Ich betrachtete das Etwas, das Jespar in der Hand hielt.
Die Farben ähnelten der eines Apfels… Aber die Form?
Dieses Ding war etwas länglicher. Und nur der untere Teil erinnerte entfernt an einen Apfel.
Doch das schien Tahn nicht sonderlich zu stören.
Tahn betrachtete den „länglichen Apfel“ kurz und biss dann herein.
Ich beobachtete ihn dabei. Es schien zu schmecken. Und giftig zu sein schien es auch nicht.
Also lehnte ich mich wieder zurück und ruhte mich aus.
Wer wusste schon, ob und wann wir wieder kämpfen mussten.

Tahn schien die Zeit auch nutzen zu wollen, denn er lehnte sich zurück und schlief bald ein.
Wir sprachen noch eine Weile über die bisherigen Geschehnisse und überlegten, was nun der nächste Schritt sein würde.
Was war mit dem Turm?
Was mit den Vampiren?
Woher würden wir den Pflock bekommen?
Wer wusste überhaupt, welche der Vampire jetzt „gut-böse“ und welche „böse-böse“ waren?
Und was, wenn sie uns nur angelogen hatten?

Bald lief ein Mann die Treppen hinauf zu den Zinnen und kündigte an, dass sie nun versuchen wollen, den Turm zu öffnen.
Alle, die unterhalb saßen und ihm zuhörten wirkten nicht sonderlich begeistert von der Idee.
Ich war einfach nur neugierig, aber die meisten waren der Meinung, dass das, was dort eingesperrt war, am besten eingesperrt bleiben sollte.
Aber die böse Macht, die zehn Jahre eingesperrt war, durfte man natürlich problemlos befreien…
Doch ich wollte mich nicht weiter aufregen.

Der Mann lief die Treppen wieder hinunter und machte sich auf den Weg in Richtung Turm.
Niemand folgte ihm.
Alle schienen etwas erschöpft zu sein.

Der Mann mit dem Hammer kam aus der Burg heraus in den Innenhof.
In der Nähe der Tür lehnte sein Hammer.
„Anastasya, kannst du darauf aufpassen?“, fragte er und deutete in Richtung Hammer.
Erst jetzt sah ich, dass dort auch der Schädel lag. Akris Schädel.
„Da, mache ich.“, erwiderte ich.
Dann lief der Mann mit dem Hammer runter in Richtung Turm.
Vielleicht war er nun doch interessiert an dem, was sich dort im Turm befand.
So tat ich meine Pflicht und wartete auf seine Rückkehr.
Ich hoffte nur, dass Akri nicht sauer wurde.
Denn ich konnte verstehen, dass es wirklich schlimm sein musste, so lange einfach nur liegen gelassen zu werden… Und außerdem ziemlich langweilig.

Doch als der Mann mit dem Hammer auch nach einer Weile nicht wiederkam und wir so langsam Tahn wecken und uns weiter umschauen wollten, wurde ich unruhig.
War ihm etwas zugestoßen?
Oder hatte er gerade einfach keine Lust, Akri mit sich herum zu schleppen?
Ich sah mich um.
„Mh. Kommt er nicht wieder? Kann ich nicht weg, muss ich ja auf Schädel aufpassen.“, murrte ich dann. Es war nicht so, dass es mich störte, aber es hielt mich offensichtlich auf.
Und was, wenn sie in diesem Moment herausfanden, was es mit dieser Unsterblichkeit auf sich hatte? Dann saß ich hier und bewachte einen Schädel?
Nein, das war so nicht in Ordnung.
Außerdem konnte es ja sein, dass jemand meine Hilfe benötigte?
Vom Herumsitzen würde ich nicht nach Walhalla gelangen, so viel war sicher.

„Ich pass schon auf ihn auf.“, warf Polly auf einmal ein. Ich hob den Kopf und sah zu ihr.
Der Mann mit dem Hammer hatte viel mit ihr zu tun. Vermutlich mehr als mit mir. Es war wahrscheinlich die beste Idee, wenn sie auf den Schädel achtete.
Vermutlich war es dem Mann mit dem Hammer auch lieber.
„Ich kann aber auch machen.“, erwiderte ich.
„Nein, nein. Keine Sorge.“, gab sie zurück und kramte einen Zettel aus ihrer Tasche.
Da sie keinen Stift fand, schnitt sie sich in die Hand und schrieb mit ihrem Blut etwas auf den Zettel.
Ich sah ihr verwirrt zu.
War diese Nachricht so wichtig, dass sie ihr Blut dafür opferte?
Als sie meinen Blick sah, drehte sie den Zettel um.
„Ist bei Polly.“, war darauf zu lesen.

Sie legte den Zettel an den Platz, an dem der Schädel lag und nahm den Schädel an sich.
Dann lief sie hinüber zu einem der Nordmänner, der ein paar Waren verkaufte.
Lynx und ich beschlossen währenddessen, bald Tahn zu wecken. Er hatte nun schon wirklich lange geschlafen. Diese seltsamen Nordmänner hatten in der Zwischenzeit sogar schon Äpfel und diese länglichen Äpfel auf ihm abgelegt.
Sie verrieten mir, dass diese länglichen Äpfel „Birnen“ genannt wurden.
Ein seltsames Wort.

Es dauerte nicht lange, bis der Mann mit dem Hammer tatsächlich wiederkam.
Er lief wortlos zu dem Ort, an dem der Schädel gelegen hatte und nahm sich die Notiz von Polly.
Nachdem er sie gelesen hatte, lief er weiter. Mich sah er nicht einmal an.
Irgendwie wirkte er wütend.
Weil ich nicht auf den Schädel aufgepasst hatte?
Oder war etwas anderes passiert?
Ich sollte es bald erfahren, denn er kam wieder zurück.
Jetzt sah ich, dass er wirklich wütend war.
„Ich würde dir doch auch nicht einfach die Schuhe wegnehmen.“, grummelte er.
„Schuhe?“, fragte ich verwirrt nach.
„Ja. Wenn du die irgendwo stehen lässt. Oder das Paddel.“
Ich nickte.
„Da. Ist nicht so gut.“

Irgendwie fühlte ich mich etwas schuldig, weil Polly mir den Schädel ja eigentlich einfach nur abnehmen wollte.
Doch warum sie ihn gleich mitgenommen hatte, wusste ich allerdings nicht.
Und ich hoffte, dass nicht auch Akri sauer war.

Lynx beugte sich zu Tahn herunter und weckte ihn.
Als er erwachte, sah er uns verwirrt an.
Es wirkte ganz so, als hätte ihm der Schlaf überhaupt nicht gut getan.
Schade eigentlich.
„Anastasya, komm bitte her.“, rief Lynx mich zu sich. Sie klang wirklich verzweifelt.
„Was ist?“, fragte ich, erhob mich und ging zu ihr und Tahn.
„Er weiß nicht, wer ich bin.“, erklärte Lynx.
Was?
Wieso denn das?
Ich beugte mich nun ebenfalls zu Tahn herunter.
„Tahn.“, sprach ich. „Was ist?“
Doch sein Blick verriet mir, dass er auch nicht zu wissen schien, wer ich war.
„Wieso kennt ihr alle meinen Namen? Wo bin ich?“, fragte er und sah sich um.
Ich seufzte.
Wieso?
Wieso nur hatte er das vergessen?

Ich warf einen Blick zu der Birne, die auf ihm lag. Dann sah ich zu Lynx.
„Liegt es daran?“, fragte ich leise.
Lynx überlegte.
„Gut möglich… Er sollte keine Birnen mehr bekommen.“
Dann nahm sie die Birne an sich und aß sie selbst.
Ich hatte ja schon öfter mitbekommen, dass Tahn auf einige Früchte seltsam reagierte.
Doch irgendwie verstand ich es nicht ganz.

„Tahn, weißt du, wer ich bin?“, fragte ich ihn dann direkt.
Er konnte mich doch nicht einfach so vergessen haben?
Nicht nach all der Zeit…
Doch er schüttelte den Kopf…
Das traf mich hart.
Ich wollte doch versuchen, mit ihm zusammen seine Frau zu finden…
Doch jetzt… Er würde nicht auf mich hören.
Er würde mir nicht glauben.

„Ich bin Anastasya.“, murmelte ich, dann entfernte ich mich von ihm.
Hatte es überhaupt einen Zweck?
War es nicht vielleicht besser, wenn er mich gar nicht erst kannte?
‚Du ziehst Unheil magisch an.‘
Ja. Vermutlich war es besser.

„Wir gehen jetzt mit unseren Freunden reden.“. Der Mann mit dem Hammer sah mich direkt an. „Kommst du mit, Anastasya?“
Ich sah kurz zu Tahn, der gerade dabei war, in Richtung Tor des Innenhofes zu laufen.
Jespar bemerkte scheinbar meinen besorgten Blick.
„Der Vogel muss fliegen lernen.“, merkte er an.
Ich seufzte.
„Dieser Vogel lernt nicht fliegen.“
Dann folgte ich dem Mann mit dem Hammer.

‚Mit unseren Freunden reden‘ konnte nur eins bedeuten: Es gab eine erneute Besprechung mit den gut-bösen Vampiren.
Oder vielleicht auch nur mit dem einen, der uns die Informationen gegeben hatte?
Ich würde es herausfinden.
Einarr folgte mir während Lynx Tahn hinterher lief.
Sie würde es schon schaffen, auf ihn Acht zu geben.

Wir liefen die Treppen hinauf bis zu dem Gang, in dem sich der Tanzsaal befand.
Es war sehr dunkel – die einzelnen Treppenstufen ließen sich nur erahnen.
Ich hatte schon von Einarr erfahren, dass diese Vampire kein Licht vertrugen… Das musste der Grund sein, warum diese gesamte Burg selbst am Tag so dunkel war.

Wir wollten gerade den Tanzsaal betreten, als eine Frau aus dem Raum herauskam.
Sie blickte uns verwirrt an.
Mit so vielen Menschen auf einem Fleck hatte sie vermutlich nicht gerechnet.
Der Mann mit dem Hammer ging auf sie zu und sprach mit ihr. Was genau er sagte, hörte ich nicht. Dafür redeten sie zu leise.
Es musste allerdings eine Frage gewesen sein, denn die Frau schüttelte daraufhin den Kopf.
Der Mann mit dem Hammer drehte sich dann zu Galador um und sprach auch mit ihm.
Danach öffneten sie die Tür und betraten den Tanzsaal.
Einarr und ich folgten ihnen.

Diesmal saßen im Tanzsaal viel mehr Personen – vermutlich die Vampire.
Sie belegten den gesamten vorderen Tisch.
Ich fühlte mich unwohl und sah fragend zu dem Mann mit dem Hammer.
Er bedeutete uns mit einer Handbewegung, uns zu setzen.

Ich setzte mich an einen der Tische, die weiter hinten standen.
Gebührender Abstand.
Diese Nordleute setzten sich auch dazu.
Als alle saßen, herrschte eine sehr unangenehme Stille.
Kein einziges Geräusch.
Ich senkte den Blick etwas.
Ich wollte die Vampire nicht ärgern, indem ich sie ansah.
Die Frau, der wir vor der Tür begegnet waren, war nun die einzige, die noch stand.
Wieso?
Wollte sie etwas sagen?
Wollte sie dieses seltsame Schweigen brechen?
Sie tat es nicht.
Stattdessen forderte einer der sitzenden Vampire sie dazu auf.
„Bitte, sprecht. Was wolltet Ihr sagen?“
Es schien Spannungen zwischen den Vampiren zu geben.
„Nein, nein. Ich wollte eigentlich gerade gehen. Es schien nur so, als hätten die Herrschaften etwas zu berichten.“
Die Frau deutete in unsere Richtung.
Was war das nur für eine komische Besprechung.
„Ihr wirktet so, als wolltet Ihr das Wort ergreifen. Aber da habe ich mich wohl geirrt.“, antwortete der sitzende Vampir nun.
Die Frau nickte, sah sich noch etwas um, aber verließ dann den Raum.
Es war so, als würde eine Welle der Erleichterung über die sitzenden Vampire rollen.
Die angespannte Stimmung schien sich aufzulockern.
Irgendetwas stimmte also mit dieser Frau nicht.

„Könnt Ihr bitte bei dieser Tür stehenbleiben und niemanden hereinlassen?“, bat einer der Vampire Galador.
Galador folgte dieser Bitte sofort und stellte sich direkt vor die Tür.
Ich warf einen Blick zu der Tür, durch die wir den Tanzsaal betreten hatten – hier stand bereits einer der Krieger vor. Er trug sogar eine Plattenrüstung.
So schnell würde also keiner an ihm vorbei kommen.

Es wurden Informationen ausgetauscht…
Zuerst stellten sie klar, dass sie Vampire waren und auch stolz darauf.
Sie wollten sich nicht verstecken.
Dann kamen sie auf das eigentliche Thema zu sprechen.
Diese böse Macht, vor der sich die „gut-bösen“ Vampire fürchteten, wurde „Azarov“ genannt.
Vermutlich war es eine Art Dämon. Zumindest klang es ganz so.
Während die Vampire uns ein paar Informationen über diese böse Macht gaben und über den „bösen-bösen“ Vampire, der Levanda hieß, erklärten der Mann mit dem Hammer und Galador, was sie bisher herausgefunden hatten.
Wenn wir diese dunkle Macht nicht besiegen konnten, so würde ein Zeitalter der Dunkelheit über uns kommen. Das klang nicht gerade nach etwas Gutem… Ohne Licht und Sonne würde alles sterben… Doch irgendwie kannte ich so etwas schon… Die Drohungen waren doch immer die gleichen.
Alles in Allem waren es leider kaum neue Dinge, die wir erfuhren.
Trotzdem sprachen sie eine ganze Weile.

Ich sah mir die Vampire genauer an.
War es denn wirklich so, dass die, die hier saßen zu den „gut-bösen“ Vampiren gehörten?
Der große, adlige Mann, den ich am ersten Tag gesehen hatte, war hier nicht bei.
Hieß das, dass er einer von den „bösen-bösen“ Vampiren war?
Oder war er am Ende gar kein Vampir?
Welcher von denen war wohl der Vampir, mit dem der Mann mit dem Hammer und Galador gestern gesprochen hatten?
Ich konnte keinen von ihnen wirklich einschätzen.
Vielleicht würde ich es irgendwann erfahren…
Und sie waren wirklich alle unsterblich?
Beeindruckend.

Diese Frau, die am Anfang aus dem Tanzsaal herausgekommen war, kam zwischendurch herein, verließ den Raum aber jedes Mal schnell wieder.
Immer, wenn sie hereinkam, wurde es plötzlich still.
Sehr seltsam.
Gehörte sie zu der anderen Gruppe Vampire, die nichts von diesen Plänen mitbekommen sollten?

Als das Gespräch beendet wurde, erhoben wir uns alle wieder.
Ich versuchte, mir das Aussehen der anwesenden Vampire zu merken.
Vielleicht würde mir das früher oder später von Nutzen sein.
Doch so richtig verstand ich noch immer nicht, was wir nun tun sollten.
Sollten wir diese dunkle Macht – Azarov – besiegen?
Konnten wir das überhaupt?
Und was hatte es mit dem Pflock und Levanda auf sich?
Was war mit dem Turm?
Fragen über Fragen.
Ich konnte sie mir nicht beantworten.

Ich machte mir Sorgen um Tahn.
Am liebsten hätte ich wirklich auf Jespars Rat gehört und ihn einfach machen lassen…
Aber irgendwie konnte ich es einfach nicht.
Schon jetzt plagte mich ein schlechtes Gewissen und als wir den Tanzsaal verließen, lief ich sofort hinunter zum äußeren Hof der Burg.
Ich musste Tahn finden und hoffte, dass er Castell Lazar nicht schon verlassen hatte.
Lynx. Lynx war bei ihm gewesen. Sie hatte mit Sicherheit auf ihn aufgepasst.

Von Weitem sah ich, wie sich ganz viele Personen an der Treppe zum Turm gesammelt hatten. Wollten sie dort alle hinein?
Hatten sie es etwa geschafft, ihn zu öffnen?
Ich blieb in einigem Abstand stehen, sah aber Lynx und Tahn noch nicht.
Stattdessen kam der Mann mit dem Hammer und wollte sich noch einmal die Gräber anschauen.
Ich folgte ihm. Vielleicht würde er nun etwas Neues herausfinden.

Wir standen gerade an dem Grabstein, auf dem „Magister Ignatius, bleib unten.“ stand, als mich ein kalter Windhauch streifte. Zu kalt für diesen Süden.
Irgendetwas stimmte nicht, das konnte ich spüren.
Ich trat ein paar Schritte zurück.

Zum Glück. Denn hinter den Grabsteinen tauchten Gestalten auf.
Grauenhafte Leichen, tote, faulende Körper, die sich auf uns zu bewegten.
Kämpfen.
Wir mussten kämpfen.
Ich zog Schwert und Axt und trat noch ein paar Schritte zurück.
Hier auf der etwas steilen Wiese konnte es schnell gefährlich werden.
Außerdem konnte ich nun besser sehen, wo die Untoten überall herkamen.
Ich musste sie im Blick behalten.

Den ein oder anderen untoten Körper griff ich an, doch ich hielt mich eher im Hintergrund und versuchte, den Verletzten zu helfen.
Nach dem Kampf in der ersten Nacht wurde recht schnell klar, dass wir viele Kämpfer, dafür aber wenig anwesende Heiler hatten.
Es war also wichtiger, die Verletzten erst einmal vom Schlachtfeld weg zu bekommen.

Doch gar nicht zu kämpfen kam auch nicht in Frage.
Die Untoten kamen immer und immer wieder aus den Gräbern.
Es schien gar kein Ende zu nehmen.
Bald entdeckte ich die Gestalt, die unsere größte Gefahr darstellen sollte.
Ein untoter Magier…
Ich erkannte es daran, dass eine kleine, brennende Kugel von ihm ausging. Er warf sie in die Menge. Zum Glück nicht in meine Richtung.
Sofort nahm ich Abstand.
Ich wollte nicht noch einmal Opfer einer dieser Flammenangriffe werden.
Die Verbrennungen waren furchtbar.
Darauf konnte ich gerne verzichten.

In gebührendem Abstand und hinter ein paar Steinen kämpfte ich allerdings weiter gegen ein paar Untote.
Ich wollte lediglich außer Sichtweite dieses seltsamen Magiers.

So schafften wir es, die Untoten nach und nach zu vertreiben.
Bald tauchten sie nicht wieder auf.

„Anastasya!“, rief eine bekannte Stimme mich.
Es war der Mann mit dem Hammer.
„Polly hat eine Feuerkugel abbekommen. Kannst du dir das mal anschauen?“, bat er mich und lief an mir vorbei.
Erst da bemerkte ich, dass es nicht mehr der Mann mit dem Hammer war, sondern Akri.
Was hatte er angestellt?
War es wegen der Gräber?
Ich nickte und sah mich um.
Dort lag sie, in direkter Nähe zum Turm.
Mit schnellen Schritten lief ich auf sie zu.
‚Isa‘, dachte ich. ‚Isa wird helfen.‘

Ich kniete mich zu ihr nieder.
Das Brandloch in ihrem Gambeson wies auf die Stelle hin, an der die Feuerkugel sie getroffen haben musste.
Polly beobachtete mich.
Sie schien starke Schmerzen zu haben, schrie aber nicht.
Eine starke Frau.
Doch vermutlich brannte es noch immer wie Feuer…
Dagegen musste ich etwas unternehmen.

Also schrieb ich Isa direkt an die Stelle, an der die Kugel sie getroffen hatte.
Isa, die Rune des Eises.
Ich sprach zu Odin.
Ich bat ihn um Hilfe.
Er sollte die Stelle vor allem kühlen.
Das verbrannte Fleisch etwas zuwachsen lassen… Das konnte danach immer noch geschehen.
Ich spürte an meinen eigenen Händen, wie die Stelle langsam kühl wurde.
Es gefror praktisch.
Das durfte allerdings auch nicht zu lange dauern…
Zu lange und sie würde Schaden davontragen.
Polly zitterte bereits.
Also weiter.
Algiz.
Ich schrieb Algiz direkt neben Isa,
Algiz, die Rune des Schutzes.
Und wieder sprach ich zu Odin.
Ich bat ihn darum, die Wunde zu heilen. Das Fleisch sollte wieder zuwachsen, sodass es nicht mehr empfindlich war und das verbrannte Fleisch danach normal verheilen konnte.
Und zum Schluss – um das Eis wieder in Wasser zu verwandeln – Laguz, die Rune des Flusses.
Der Körper von Polly sollte wieder in Einklang gebracht werden – das Blut soll fließen, das Eis wieder tauen.
„Sollte etwas besser sein jetzt.“, erklärte ich leise.
Meine Stimme hatte mich etwas verlassen. Mir war leicht schwindelig.
Polly nickte.
„Jetzt ist es zumindest kalt. Das ist gut.“, erwiderte sie.
Ich nickte.
„Hat dich untoter Magier direkt getroffen, eh?“, fragte ich sie dann.
„Aye.“
„Musst du nur aufpassen… Darfst du nicht kratzen. Wird aber jucken.“, warnte ich sie dann noch. Ich erinnerte mich dabei an Tahn, dessen Hände ich beinahe gefesselt hätte.
Manche hörten auf meinen Rat und manche nicht.
Doch ich wollte auch nicht riskieren, dass sie mir durch das Kratzen meine Arbeit zunichtemachten.

Als es ihr wieder besser zu gehen schien, lief ich runter zu Einarr.
Vielleicht wusste er ja, woher diese Untoten auf einmal gekommen waren.
„Sie haben den Turm geöffnet… Und Jemand hat zwei Schädel geklaut.“, erklärte er mir. „Dort oben soll wohl ein böses Wesen sein, das diese Schädel wiederhaben will.“
„Und wer hat Schädel?“, fragte ich nach.
„Ein paar Kriegerinnen haben sie schon wieder beschafft…“, antwortete er.
War dann nicht alles gut?
„Das Ding im Turm will die Verantwortlichen haben.“, erklärte Akri, der sich zu uns gesellt hatte. „Einen Mann haben sie schon hoch gebracht… Der hat einen Finger verloren. Aber das Ding will die beiden, die den Schädel gestohlen haben.“
„Und wer soll das sein?“, fragte ich.
In der Zwischenzeit hatten sich auch diese seltsamen Nordleute zu uns gestellt.
„Ein blonder, groß gewachsener Mann in heller Kleidung und eine Frau mit fremdländischer Sprechweise hat er gesagt. Zu der Frau hat er leider keine Beschreibung.“
Die Nordleute sahen mich an.
„Was?“, fragte ich. „Nur, weil ich anders rede?“
„Nein, nein.“. Sie lachten. „Außerdem warst du doch die ganze Zeit bei uns.“
Ich nickte.
„Da, war ich.“
Wieso sollte ich auch zwei Schädel aus einem Turm stehlen.

Während wir losliefen, um die besagten Personen zu finden kam Lynx zu mir.
„Tahn war dort oben im Turm.“, erzählte sie aufgeregt. „Er hat gesagt, er hat da oben ein Schwert gefunden, das er gerne haben will. Mit einem Kreuz drauf.“
Ich dachte darüber nach.
„Hat er nicht auf Kreuz-Anhänger an Kleidung?“, fragte ich.
Lynx nickte.
„Weiß er wieder, wer wir sind?“
Darauf schüttelte sie den Kopf.
Gab es etwa keine Hoffnung, dass es ihm wieder besser gehen würde?
„Er hat Schwert nicht bekommen?“, fragte ich dann weiter.
„Nein. Dort oben soll ja dieses Wesen sein…“, antwortete sie.
Sie schien nicht oben gewesen zu sein.
Das war gut.
Immerhin wussten wir ja nicht, was dort auf uns lauerte.
Vermutlich war es sehr gefährlich… Und böse, weil es die Verantwortlichen für den Diebstahl haben wollte.
Aber wo war Tahn überhaupt?
Ich sah mich um, konnte ihn aber nicht finden…
Doch wenn er wirklich dieses Schwert haben wollte, dann würde er hier irgendwo sein.
Erst einmal mussten wir die Verantwortlichen finden und zu dem Turm bringen…
Vielleicht würden dann diese Untoten auch nicht mehr auftauchen.
Hoffentlich.

Wir sprachen jede Frau, die uns entgegenkam, an, um zu hören, wie sie spricht.
Leider fanden wir dabei keine mit fremdländischer Weise, zu sprechen.
Vielleicht sollten wir erst nach dem Mann suchen?
War die Frau dann nicht vermutlich ohnehin in seiner Nähe?
Wir liefen in Richtung Taverne, um dort Ausschau zu halten.
Da es in der Taverne selbst immer sehr voll und eng war, erklärten sich Galador und Akri bereit, nachzuschauen.
Sie verschwanden in der Taverne und wir warteten auf sie.
Diese seltsamen Nordmänner waren uns weiterhin gefolgt.
Vermutlich verfolgten sie ein ähnliches Ziel wie wir.
Ein paar von ihnen hatte ich auch schon auf der Taverne in Anrea gesehen…
Sie schienen eigentlich ganz nett zu sein.
Und sie kamen aus der Heimat… Zumindest aus der Richtung der Heimat.

Sie kamen bald aus der Taverne heraus. Leider hatten sie die Personen, die wir suchten, nicht gefunden.
Also mussten wir weitergehen.
Sie überlegten noch weiter, wer es denn gewesen sein könnte.
Dann hatten sie eine Idee.
Eine, die mir Gänsehaut bereitete.
Tahn.
Blonde Haare, helle Kleidung.
Ob er groß war, konnte ich nicht genau sagen. Er war größer als ich, aber nicht größer als dieser große, adlige Mann vom vorherigen Abend.
Doch es passte.
Und hatte Lynx nicht sogar gesagt, dass er im Turm war.
Ja, natürlich. Er wollte das Schwert haben.
Nein.
Er durfte die Schädel nicht geklaut haben.
„Njet!“, protestierte ich. „Tahn würde nicht Schädel stehlen!“
Ich musste ihn doch irgendwie schützen.
Er selbst wusste doch vermutlich nicht einmal mehr, was er alles dort oben gemacht hatte…
Und wenn sie ihn fragten… Was würde er antworten?
Er würde vermutlich nicht einmal verstehen, was für eine Strafe auf ihn warten könnte…
Solche dämonischen Gestalten konnten wirklich grausam sein.
„Hm. Tahn ist auch nicht wirklich groß.“, überlegte Akri und ich war mir nicht sicher, ob er mir helfen wollte oder ob er es wirklich so meinte.
Wir setzten uns in die Nähe des Turms.
Akri hatte bald einen anderen gefunden, von dem er wusste, dass er im Turm gewesen war.
Er war groß, trug helle Kleidung, war aber nicht blond.

Akri nahm ihn mit in den Turm.
Jespar und ich folgten. Wir wollten auch wissen, was in dem Turm war.
Zwar war mir irgendwie klar, dass es nicht die klügste Idee war, doch ich war zu neugierig.
Die Luft war so schlecht, dass es mir trotz Mundtuch wirklich schwer fiel, zu atmen.
Ich hustete immer wieder und versuchte, den fürchterlichen Gestank auszublenden.
Man sah auch fast gar nichts.
Wir versuchten dennoch, etwas zu finden.
Auf der schmalen Treppe vor uns, die weiter in die höheren Ebenen des Turms führte, stauten sich schon ein paar Menschen. Alle wollten wohl wissen, was dort oben vor sich ging.

Da es dort nicht weiter ging, wollten wir wissen, was sich in dem kleinen Raum rechts von uns befand.
Wir krochen langsam hinein und stießen auf Spinnenweben und Staub.
Es war nichts anderes zu erkennen.
Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was dort in der Dunkelheit lauern konnte.
„Verlasst den Turm!“, ertönte auf einmal eine durchdringende Stimme von oben.
Schnell krochen wir aus dem Raum zurück und verließen den Turm.
Die letzten Treppenstufen stolperte ich keuchend hinab und ließ mich auf die Wiese fallen.
Es war wirklich furchtbar.
Ich bekam kaum Luft, obwohl ich ja jetzt schon draußen war.

Während ich weiter hustete, kam Akri mit dem Mann an uns vorbei.
Der Mann lebte offensichtlich noch?
War er doch nicht der richtige?
Und was war mit Akri?
Irgendwas stimmte nicht mit ihm.
Dann sah ich es.
Seine Hände..
Sie waren… ab?
Alles war voller Blut.
Es tropfte von ihm hinab.
Wieso?
Wieso hatte er das zugelassen?
Doch er sprach nicht ein Wort.
Er lief an uns vorbei.
Wohin?
Ins Lazarett?
Oder zu Galador?
Vermutlich würde Galador ihm irgendwie helfen können.

Als ich wieder zum Innenhof laufen wollte, kamen mir Tahn, Lynx und Einarr entgegen.
„Tahn möchte in den Turm. Er will das Schwert holen.“
„Njet, Tahn!“, rief ich und folgte ihm.
Er schien sich durch nichts aufhalten zu lassen.
Halfdan stand auch in der Nähe des Turms.
„Tahn, hol dir dein Schwert.“, kam es von Halfdan und Jespar.
Wieso ließen sie das zu?
Wieso ermutigten sie Tahn auch noch, sich einer solchen Gefahr auszusetzen?
Es war das Beste für ihn, wenn er nicht einmal mehr in die Nähe des Turms kam.
„Nicht, Tahn!“, riefen Lynx und ich. Wir waren uns einig. Einarr stimmte uns ebenfalls zu.
Es war wirklich eine schlechte Idee, Tahn hoch zu schicken.
Wenn er das Schwert wirklich haben wollte, würde er dieses Wesen, das dort hauste, sicherlich sehr verärgern.
„Das können wir auch schneller haben.“

Mich traf etwas am Rücken und ich schlug die Augen auf.
Ich lag auf dem Bauch… Nur warum?
Wo war ich?
Ich blinzelte und erkannte bald, wo wir waren. Direkt vor dem Turm.
Nur warum?
Wollten wir nicht Tahn aufhalten, in den Turm zu gehen.
„Was ist passiert?“, fragte ich. Mein Kopf schmerzte ziemlich. Nur warum?
„Sie haben uns niedergeschlagen. Dann haben sie dich in den Turm gezerrt.“, erwiderte Lynx angeekelt und wütend.
„Was? Wer?“. Ich sah mich um.
„Schöne Freunde habt Ihr da. Man sollte aufpassen, mit wem man sich umgibt!“, kam es plötzlich von Einarr. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass er auch hier war.
Was meinte er denn?
Ich verstand gar nichts mehr.
Und mir tat alles weh.
„Die Nordmänner.“, gab Lynx zurück.
Was?
Die Nordmänner waren das?
„Wieso?“, fragte ich. Ich konnte es kaum glauben.
„Weil du fremdländisch sprichst… Nur deshalb. Solche Verräter!“
„Aber habe ich nicht Schädel genommen. War ich gar nicht da. Waren sie ganze Zeit bei mir… Was fällt ihnen ein?“, knurrte ich.
Es machte mich wirklich wütend.
Und das gerade von Menschen, die aus meiner Heimat kamen.
Vermutlich verehrten sie auch meine Götter…
Und das hatten sie nicht verdient.
Sie hatten es nicht einmal verdient, den Namen der Götter auch nur in den Mund zu nehmen.

Grummelnd erhob ich mich und stapfte davon.
Einarr, Lynx und Tahn folgten mir.
Ich lief in den Innenhof und setzte mich dort auf die Steine.
„Ich helfe denen nie wieder. Wenn sie haben Wunde und verbluten, dann lache ich über sie. Wie können sie nur?“
Ich konnte es wirklich nicht verstehen.
Wie konnten sie nur so sein?

Akri kam aus der Burg heraus zum Innenhof. Als er mich sah, blieb er kurz stehen.
„Anastasya, sei vorsichtig. Sonst passiert dir auch so etwas.“, warnte er mich und hob seine Arme.
Die Hände fehlten noch immer.
Es sah wirklich seltsam aus.
Und es brach mir beinahe das Herz. Hatte er sich wirklich geopfert?
Und warum? Kannte er diesen Mann überhaupt?
Doch die Wut über diese Nordleute brannte immer noch in mir.
„Wäre mir auch fast passiert.“, erwiderte ich. Meine Stimme war mit einer Mischung aus Wut und Trauer belegt. Ich wusste selbst nicht ganz, was ich fühlen sollte.
„WAS? Anastasya, wieso machst du das?! Wieso klaust du Schädel?!“, fuhr er mich an. Er wirkte wirklich wütend. So hatte ich ihn noch nie erlebt.
„Aber ich hab doch nicht…“, fing ich an. Doch er hörte mir nicht zu. Er wollte schon wieder gehen, als Lynx das Wort ergriff.
„Sie ist dort nicht hoch gegangen! Sie haben uns alle ohnmächtig geschlagen und sie dann in den Turm gezerrt!“, erklärte sie endlich.
„Wer?“, fragte Akri und sofort veränderte sich seine Stimmlage. So gefiel es mir besser.
„Diese Nordmänner.“, erwiderte Lynx.
Akri antwortete nicht, sondern drehte sich um und verließ den Innenhof.

Ich senkte den Kopf auf meine Knie.
„Jetzt hasst auch Akri mich.“, murmelte ich leise.
Ich wollte das nicht.
Was hatte ich denn getan?
Ich wollte doch keinen Streit mit ihm, ganz im Gegenteil.
Doch ich verstand auch nicht, wieso er sofort glaubte, dass ich die Schädel wirklich gestohlen hatte.
Wieso glaubte er, dass ich so etwas tun würde?

Seufzend legte ich mich zurück, wickelte mich in meinen Mantel ein und schloss die Augen.
Es dauerte nicht lange, bis der Regen auf mich herab prasselte, doch es machte mir nichts aus.
Ich wusste nicht, was ich jetzt tun sollte.
Hatten mich diese Leute wirklich niedergeschlagen?
Wieso wusste ich gar nichts mehr?
Wem konnte ich überhaupt noch glauben?
Und wieso hasste mich zu allem Überfluss jetzt noch Akri?
Was war das nur für ein verfluchter Ort?
Konnte ich nicht einfach in Falkenhain wieder aufwachen und alles war nur ein schlechter Traum?
Doch ich fürchtete, dass das Ganze nicht so einfach war.

Ich wusste nicht, wie lange ich dort lag und ob ich zwischendurch eingeschlafen war, doch als ich mich wieder aufrichtete, hatten sich zwei Kriegerinnen an die Zinnen gestellt und richteten ihr Wort an die Menschen im Innenhof.
„Gestern, als die meisten Reisenden hier angekommen sind, hat Levanda einem der Reisenden einen Ring gegeben. Wir brauchen ihn, um ihn zu zerstören. Also bitten wir denjenigen, zu uns zu kommen und uns den Ring zu geben.“
Ich wusste nicht einmal genau, wie Levanda aussah. Und einen Ring hatte ich auch nicht bekommen. Also konnte ich hier wohl kaum helfen.

Doch als die Frauen von den Zinnen herunterkamen, liefen sie bald zu uns. Einarr saß neben mir auf den Steinen.
„Habt ihr eine spiegelnde Kugel gesehen?“, fragten sie uns.
Wir schüttelten den Kopf. Was sollte eine spiegelnde Kugel sein?
„Wir brauchen sie, um ein allgegenwärtiges Licht zu erzeugen. Ein Licht, das uns beim Kampf gegen die Wesen der Finsternis helfen kann.“, erklärten sie.
„Das klingt wunderbar.“, erwiderte Einarr.
Ich war mir nicht ganz sicher. Doch ich wollte auch nicht weiter wütend herumsitzen.
„Wir können beim Suchen helfen.“, fügte Einarr dann hinzu.
„Habt Dank.“
Die Frauen entfernten sich wieder.
„Ich kann aber nicht sagen, ob Axt nicht ausrutscht, wenn Nordmänner auftauchen.“, warnte ich Einarr und erhob mich.
Doch so konnte ich mich wenigstens etwas ablenken.

Auch Lynx und Tahn schlossen sich unserer Suche an.
Da es sich bei der gesuchten Kugel um etwas Spiegelndes handelte, kamen wir auf die Idee, Kerzen mitzunehmen.
Mit der Hilfe dieses Lichtes würden wir die Kugel mit Sicherheit einfacher finden können.
Wir durchsuchten also noch einmal alle dunklen Gänge und Räume der Burg.
Mit der Kerze fiel es immerhin ein bisschen leichter, etwas zu erkennen.
Doch so oft wir auch durch die Gänge liefen – die Kugel blieb für uns versteckt.

Im Vorraum der Burg begegneten wir Akri, Azuna und Galador.
Sie standen dem großen, adlig aussehenden Mann gegenüber.
Der, der auch ein Vampir sein musste.
Und sie sprachen mit ihm.
Der große Vampir hielt einen Kelch in seiner Hand und tippte im Laufe des Gesprächs ab und zu mit den Fingernägeln an den metallenen Rand des Kelches.
Ich sah Akri fragend an und stellte mich zu ihnen.
Ich wollte wissen, wer das war und ob er zu den gut-bösen oder zu den bösen-bösen gehörte.
Doch allein die Tatsache, dass Akri, Galador und Azuna mit ihm sprachen…
Wie böse konnte er dann schon sein?

Als ich endlich mitbekam, worum es in dem Gespräch ging, wurde klar, dass dieser Mann die Kontaktperson von Galador und Akri war.
Am ersten Tag hatten sie ja erzählt, dass sie von einem der Vampire sehr viele Informationen bekommen hatten.
Das musste er sein.
Er war also einer von den gut-bösen.
Das beruhigte mich.
Und doch traute ich mich nicht, zu sprechen.
Der Mann war so groß, dass es schon furchteinflößend war.
Furchteinflößend und doch irgendwie interessant.
Er war ein Vampir, also war er unsterblich…
Das hieß doch, dass er das Geheimnis der Unsterblichkeit kennen musste.
Ich blieb noch eine Weile dort stehen und hörte ihm zu.

Doch bald gesellten sich andere Vampire dazu und auch aus Akris Blick war zu erkennen, dass es nun gefährlich werden konnte.
Ich drehte mich also um und verließ die Burg.

Als wir zurück auf den Innenhof trafen, kam Tahn auf eine gute Idee:
„Ist die Kugel hinter diesem Steintor?“
Wir folgten seinem Blick.
Und jetzt ergab es auch einen Sinn.
Oben auf dem Steintor war eine Sonne zu sehen.
Darunter knieten seltsame, skelettartige Wesen, die sich die Hände vor das Gesicht hielten. Es sah aus wie eine schützende Haltung.
Schutz vor der Sonne?
Und die Sonne spendete Licht… Genau wie die spiegelnde Kugel, die wir suchten.
Das hatte ich Tahn gar nicht zugetraut… Es wurde scheinbar wieder besser mit ihm.

Doch das Steintor war verschlossen und wir sahen keinen Weg, es zu öffnen.
Wenn es sich nicht von außen öffnen ließ, dann musste es doch einen anderen Eingang geben. Oder aber…
„Wir müssen herausfinden, was sich hinter dem Steintor befindet.“, überlegte Einarr und ich stimmte ihm zu.
Was war denn mit diesem Vampir?
Konnte er es uns nicht vielleicht sagen?
„Ich habe Idee. Vampir kann uns helfen. Suchen wir?“
Ich sah in den Himmel. Die Dämmerung hatte schon eingesetzt.
Konnten die Vampire jetzt schon problemlos draußen herumlaufen oder musste es wirklich ganz dunkel sein?
„Der ist in der Taverne.“, erwiderte Einarr.
Woher auch immer er es wusste…
Aber so mussten wir ihn immerhin nicht suchen.

Wir betraten die Taverne und fanden ihn recht schnell.
Er saß mit zwei Frauen an einem Tisch. Die Plätze rechts von ihm waren frei.
Einarr trat auf den Tisch zu.
„Verzeiht. Darf ich mich setzen?“, fragte Einarr.
„Natürlich, setzt Euch.“, erwiderte der Vampir.
Der Kelch stand direkt vor ihm.
Ich beobachtete, wie Einarr sich direkt neben den Vampir setzte.
Und ich?
Ich war mir nicht sicher, blieb also erst einmal zögernd stehen.
Als der Vampir mich dann ansah, musste ich mich überwinden.
„Verzeiht… Darf ich mich ebenfalls setzen?“
„Sehr gern. Setzt Euch.“, lautete auch diesmal die Antwort.
Ich setzte mich direkt neben Einarr.
Tahn und Lynx setzten sich auf die anderen beiden Plätze neben mir.

Einarr fragte den Vampir nach seinem Namen, doch ich konnte die Antwort nicht verstehen.
In der Taverne war es laut und mir fiel es schwer, mich auf nur eine Stimme zu konzentrieren.

Eine Schankmaid kam auf den Vampir zu und erinnerte ihn an eine offene Rechnung seiner Gäste.
Er erhob sich.
„Ich bin gleich wieder bei euch.“, versicherte er uns und folgte der Schankmaid.
Wieder einmal fiel mir auf, wie riesig der Mann war.

Als er wiederkam, fragte ich ihn ebenfalls nach seinem Namen.
Es folgte eine lange Aneinanderreihung von Worten, die ich mir keine Sekunde lang merken konnte.
Als ich ihn daraufhin verwirrt ansah, umspielte ein leichtes Lächeln seine Lippen.
„Die meisten nennen mich einfach ‚den Grafen‘“
Ich nickte.
Das konnte ich mir merken.
Der Graf, also.

Wir fragten ihn nach dem Steintor und er bestätigte, was wir befürchtet hatten: Das Steintor ließ sich nur von innen öffnen. Einen zweiten Eingang gab es jedoch nicht.
„Also muss das, was drin ist, aufmachen?“, fragte ich.
Das war wahrscheinlich genau das, was wir eigentlich vermeiden wollten.
Was, wenn dort drin diese dunkle Macht namens Azarov lebte?
Wir wollten sie doch eigentlich lieber nicht freilassen…?

Während wir weitersprachen, wurden wir plötzlich von Untoten überrascht.
Sie kamen die Treppe hinauf bis in die Taverne.
Die ganzen Menschen, die vorher vergnügt tranken, lachten und spielten, sprangen auf und schrien.
Zum Glück waren einige bewaffnet.
Wir brachten die Unbewaffneten hinter uns in Sicherheit.
Auch ich griff nach meinen Waffen.
Dann bekämpften wir sie zwischen Tischen, Stühlen und Getränken.
Wir hofften nur, dass wir sie zurückschlagen konnten, doch es waren viele.

Ich warf einen Seitenblick zum Grafen.
Er blieb nicht untätig… Er war scheinbar wirklich auf unserer Seite – ich konnte es kaum glauben.
Die Untoten, die auf ihn zu liefen, trieb er zurück. Einfach nur, indem er sie anschrie.
Konnte er ihnen Befehle geben oder fürchteten sie sich vor ihm?
Ein größeres Wesen kam auf ihn zu. Es wirkte etwas grünlich… Irgendwie seltsam. Eine böse Macht ging von diesem aus… Das konnte ich spüren. Es schmerzte beinahe…
Es streckte die Hand aus und drückte mit dem Zeigefinger knapp unter das Auge des Grafen.
Ich sah zu.
Ich konnte nichts tun, irgendwie faszinierte mich das, was ich da sah.

Als das Wesen ihn berührte, schrie der Graf auf.
Es tat ihm weh?!
Er empfand Schmerzen wegen diesem Wesen?
Wie konnte das sein?

Doch dann schrie er.
So laut und furchteinflößend, dass selbst ich erschrocken zusammenzuckte.
Und dieses böse Wesen schien ähnliche Angst zu spüren, denn es ließ von ihm ab und verschwand aus der Taverne.
Sofort lief ich zu dem Grafen.
Es schien ihm nicht gerade gut zu gehen.
„Alles in Ordnung?“, fragte ich ihn.
Er blickte zu mir und zögerte kurz.
„Ja… Dieses Wesen dort…“, erwiderte er.
Für ihn war es also ähnlich beängstigend gewesen.
Offensichtlich hatte es ihm wirklich Schmerzen zugefügt.

Es kamen immer mehr Untote, doch wir wussten jetzt, wo sie herkamen.
Also beschlossen wir, die Taverne zu verlassen und die Untoten von außen zu bekämpfen.
So würden wir auch die Unbewaffneten in der Taverne besser schützen können… Denn so würden wir diese Wesen bekämpfen bevor sie in die Taverne gelangen konnten.
Einarr, Tahn, Lynx und sogar der Graf folgten mir nach draußen.
„Habt ihr eine Waffe für mich? Ich werde mitkämpfen. Ich will mich würdig zeigen.“
Ein Mann, der neben dem Grafen stand, zog sein Schwert und überreichte es ihm.

Einarr lief vor. Wir mussten aus dem Tor heraus und außen herum durch den Wald. Von dort aus kam man zu einem kleinen Wiesenstück, das direkt neben den Burgmauern lag.
Schon von oben sahen wir, dass dort die Untoten herkamen…
Dort war vermutlich ein weiterer Zugang zur Taverne.

Einarr rannte schnell. Wir Anderen sammelten uns zuerst und versuchten dann, ihn einzuholen.
„Warum rennt er denn alleine vor? Ist er verrückt?“, fragte der Graf und lief ihm nach.
Lynx und ich versuchten, Schritt zu halten.
Er war mit seinen langen Beinen wirklich schnell.

Bald erreichten wir das kleine Wiesenstück und stürzten uns sofort in den Kampf.
Es waren viele, nahezu unzählige.
Der Graf stürzte sich ebenfalls in den Kampf.
Es war beeindruckend.
Mit hoher Geschwindigkeit rannte er auf die Untoten zu und tötete einen nach dem Anderen.
Es war unglaublich… Es faszinierte mich so sehr, dass ich beinahe das Kämpfen vergaß.
Doch als die Untoten mich erreichten, griff ich an.
Ich musste darüber gar nicht weiter nachdenken, ich tat es einfach.

Sie waren viele.
Viel zu viele.
Die ersten konnte ich noch bekämpfen, schaffte es, sie zu besiegen.
Doch dann waren sie eindeutig in der Überzahl.
Als ich mich umdrehte, stellte ich fest, dass meine Mitstreiter weit weg waren….
War ich so weit in die feindlichen Reihen gelaufen, ohne es mitzubekommen?
Viel Zeit blieb mir nicht, um darüber nachzudenken.
Im nächsten Augenblick lag ich am Boden.
Ich konnte mich nicht mehr aufrichten – sie hatten meine Beine getroffen.
Mit Axt und Schwert versuchte ich, die Angreifer von mir fernzuhalten… Natürlich war ich ein gefundenes Fressen für sie.
Es dauerte nicht lange, bis sie mir auch die Waffen aus der Hand schlugen.
Mein gesamter Körper schmerzte… Es wurde kalt.
Blinzelnd versuchte ich, wach zu bleiben.
„Nicht einschlafen.“, dachte ich. „Nicht einschlafen.“
Die Untoten stachen weiter auf mich ein. Bald spürte ich die Schmerzen nicht einmal mehr.

Etwas schritt auf mich zu.
Eine grauenhafte Gestalt.
Kalt. Es war so kalt.
Und es wirkte irgendwie… Grün. Grünes Licht. Das sah ich.
Aber warum?
Und dann… Schwärze.

Ich sah Akri.
Er sprach etwas, doch ich konnte ihm kaum verstehen.
Irgendwie sprach er anders als sonst.
Es war nicht seine eigene Sprache, da war ich mir sicher.
Seine eigene Sprache klang wesentlich ruhiger und sanfter.
Doch nun sprach er in einem sehr bedrohlichen Ton.
Die Finsternis umgab uns.
Wo waren wir nur?
Ich spürte, wie Stofffetzen meine Körper streiften.
Auf einmal tauchte es hinter Akri auf.
Ein großes, ekelerregendes Wesen.
Der Körper war vollkommen aufgebläht. Die Haut trug eine ungesunde, grün-braune Farbe und war übersät mit offenen Wunden, Blut und Eiter.
Es erinnerte mich ein wenig an eine aufgeblähte Wasserleiche, an deren Körper bereits Algen wuchsen.
Nur, dass dieses Wesen zu leben schien. Zumindest irgendwie.
Die Augen starrten mich direkt an, machten mir Angst und ließen mich erzittern.
Im Hintergrund vernahm ich noch immer die Stimme von Akri, die mich zumindest ein wenig beruhigen konnte, auch, wenn sie so seltsam fremd klang.
Aus dem Körper dieses fürchterlichen Wesens hingen innere Organe heraus.
Wie konnte es in diesem Zustand überhaupt existieren?
Und erst dann vernahm ich den Gestank.
Es roch wie eine beinahe komplett verweste Leiche.
Es war viel schlimmer als der Pestturm.
Es war schlimmer als alles, was ich jemals gerochen hatte.
Doch Akris Stimme brachte mich dazu, nicht zu schreien.
Er schien mit diesem Wesen reden zu können.
‚Großvater Nurgle‘, konnte ich verstehen.
Nurgle.
Davon hatte er mir doch schon einmal erzählt.
War das etwa der Gott?
Dieses grauenvolle Wesen?
Im nächsten Moment sah ich, wie Akri etwas hochhielt.
Kleine, grüne Lichter flogen auf ihn zu.
Lichter, die mir irgendwie bekannt vorkamen.
Dieses grün…
Nur woher?
Wo war ich überhaupt?
Was passierte hier?
Und was wollte dieses Wesen von mir?
Dieser Gott?
War ich etwa schon tot?

Ich erwachte.
Mein gesamter Körper schmerzte.
Wo war ich?
Ich versuchte, mich zu bewegen.
Als ich die Augen aufschlug, sah ich Akri.
Er kniete direkt vor mir.
Daneben sah ich Galador. Dann Lynx.
Was war hier los?
Ich wollte mich aufsetzen, doch es ging nicht.
Meine Arme… Irgendetwas stimmte nicht.
Erst, als ich hinsah, bemerkte ich, dass meine Hände gefesselt waren.
Warum?
„Was… Was ist? Wieso bin ich gefesselt?“, fragte ich verzweifelt.
Was war hier nur los?
Wieso hatten sie mich nur gefesselt?
Und wieso konnte ich mich mal wieder an nichts erinnern…?
Hatten wir nicht eben noch gegen diese Untoten gekämpft?
Und dieses seltsame grüne Licht… Dieses Wesen.
War das nur ein Traum gewesen?
Und Akri?
Ich hatte irgendetwas geträumt.

„Ey, warum hast du mich gebissen?“, beschwerte sich auf einmal Tahn.
Er saß auch dort, fast direkt neben mir.
„Was? Gebissen? Warum sollte ich beißen?“, fragte ich.
Ich verstand die Welt nicht mehr.
Was hatte Tahn denn nun?
Zu viel getrunken?
Etwas Schlechtes gegessen?
Vielleicht eine dieser Früchte, die so seltsame Dinge mit ihm anstellten.
Ich würde ihn doch niemals beißen…

„Hm, na ja… Du hattest irgendwie Hunger auf Menschenfleisch.“, erklärte Galador. „Dann hast du Tahn angeknabbert und wolltest ihn aufessen.“
„Was?!“
Das konnten sie doch nicht ernst meinen?!
„Warum sollte ich Tahn essen wollen?“
Die wollten mich sicherlich nur ärgern.
Das konnte einfach nicht wahr sein.
„Keine Ahnung. Aber jetzt sollte es dir wieder besser gehen.“, erwiderte Akri.
Ich zog an den Tauen, die um meine Handgelenke gebunden waren.
„Du kommst da nicht los. Versuch es.“. Akri grinste.
Das nahm ich als Herausforderung.
Ich zog an den Fesseln und versuchte, die erste Hand heraus zu winden.
Da ich lederne Armschienen trug, waren die Taue nicht ganz am Handgelenk und so dauerte es nicht lange, bis ich herauskam.
Ich grinste und gab Akri das Tau in die Hand, aber er erwiderte nichts weiter darauf.

Einen Moment lang ruhte ich mich noch aus und versuchte zu verstehen, was genau passiert war.
Ihren Erklärungen zufolge war ich den Untoten zum Opfer gefallen… Einer dieser Untoten – der mit dem grünen Licht, das ich gesehen hatte – hatte es geschafft, mich zu beeinflussen.
Und aus irgendeinem Grund schien ich dann Tahn essen zu wollen.
Ich konnte es zwar noch immer nicht glauben, doch sie meinten es alle ziemlich ernst.
Immerhin ging es mir nun besser.
Ich erhob mich und verließ das Lazarett, in das sie mich gebracht hatten.

Wir beschlossen, in der Taverne ein bisschen zu spielen, um auf andere Gedanken zu kommen.
Das Angebot kam mir gerade recht, denn ich konnte noch immer nicht ganz verstehen, was da passiert war.
Einarr folgte mir in die Taverne. Dort trafen wir auf Tahn und Halfdan, die bereits mit zwei weiteren Personen spielten.
„Was spielt ihr?“, fragte ich und erkannte das Spiel, ehe Halfdan es mir genannt hatte.
„Othila“
„Spiel aus Heimat!“, rief ich und setzte mich zu ihnen an den Tisch.
Einarr tat es mir gleich, doch er schien das Spiel nicht zu kennen.

Also erklärten wir ihm schnell das Spiel und begannen eine neue Runde.
Wie immer verlor ich mein Kupfer und gewann keine einzige Runde. Es war genau wie bei diesem seltsamen „Pferd-Kutsche“ Spiel, bei dem man eine Vier und eine Zwei würfeln musste.
Es schien ganz so, als würde Odin wollen, dass ich mein Kupfer auf anderem Wege verdiente.
Wenn es so war, dann sollte es mir Recht sein.
Doch so verlor ich bald die Lust am Spielen und erhob mich.
„Wollen wir noch einmal draußen schauen?“, fragte ich die anderen und sie stimmten mir zu.
Irgendwie passte die Stimmung draußen nicht wirklich dazu, in einer Taverne unbesorgt Spiele zu spielen.

Wir fragten uns, was jetzt mit dieser Kugel war, die von den Kriegerinnen gesucht wurde.
Hatten sie sie bereits gefunden oder sollten wir uns noch einmal auf den Weg machen?
Wir beschlossen, erst einmal in der Kapelle nachzuschauen.
Denn dies war der Ort, an den die Kugel hingebracht werden sollte.

Dort unten stand ein Mann, der Klaus genannt wurde.
„Hallo.“, begrüßte ich ihn. „Wurde Kugel schon gefunden?“
Der Mann sah uns an und zögerte einen Augenblick lang.
Es wirkte so, als wäre er grundsätzlich misstrauisch. Aber vielleicht sah es auch nur so aus.
„Ja, die Kugel wurde gefunden.“, erwiderte er knapp.
Doch er wirkte noch nicht ganz zufrieden. Außerdem hatten wir noch kein Licht gesehen, das die Dunkelheit fluten und alles Böse auslöschen sollte.
Meiner Meinung nach klang das auch viel zu endgültig.
Wer konnte schon entscheiden, was böse und was gut war?
Wo endet das Licht und wo fängt die Dunkelheit an?
Und was ist mit der Dämmerung?
War sie eine Mischung aus beidem?
Für mich gab es kein gut und kein böse.

„Trotzdem fehlt noch etwas.“, fügte Klaus dann endlich hinzu, nachdem er eine gefühlte Ewigkeit geschwiegen hatte. „Wir brauchen noch drei Kelche… Die sollen im Besitz dieser Zigeuner sein.“
Ich sah zu Einarr.
Das war etwas, das wir versuchen konnten.
Immerhin hatte ich den Zigeunern schon geholfen. Wieso sollten sie jetzt nicht auch uns helfen.
„Wir kümmern uns darum. Werdet Ihr hier sein?“, fragte ich.
Er nickte. „Hier, oder draußen. Ich bin immer in der Nähe der Kapelle.“, erwiderte er und wir traten zurück in den Innenhof.
Wir beschlossen, die Zigeuner zuerst in der Taverne zu suchen.
Im hinteren Raum wurden wir fündig, allerdings waren es nur zwei – ein Mann und eine Frau.

Einarr und ich fragten sie nach den Kelchen.
„Oh. Schon wieder die Kelche.“, gab die Frau zurück. Sie wurden also schon sehr oft danach gefragt… Das half uns nicht wirklich. Eher im Gegenteil.
Wir versuchten herauszubekommen, was sie im Gegenzug wollten.
Entweder Geld oder Sicherheit.
Sicherheit war ein gutes Stichwort. Das konnten wir mit Sicherheit mit diesem seltsamen Bürgermeister namens Jupp aushandeln.
Doch mir fiel noch etwas anderes ein.
„Ich habe Euch schon geholfen.“, warf ich ein. „Zwei von Euch habe ich geheilt. Gestern. Im Tanzsaal.“
Die Frau sah mich an.
Etwas in ihrem Blick veränderte sich.
„Oh, Ihr wart das? Na, das ändert natürlich alles. Ihr seid eine schlaue Frau.“
Ich konnte mir das Grinsen nicht verkneifen.
Ich hatte ihr Leben gerettet und jetzt sollten sie uns dafür helfen.

Doch leider schaltete sich der Mann, der sich mit ihr im Raum befand, ein.
„Das ist eines der letzten Erbstücke. Du kannst doch nicht alles weggeben!“, meckerte er sie an. „Bald haben wir nichts mehr, das unsere Familie ausmacht.“
„Aber ihr wollt doch hier auch in Frieden leben können. Wir brauchen die Kelche, um diese Untoten unschädlich zu machen.“, gab ich zu Bedenken.
„Ja, das stimmt wohl.“, erwiderte die Frau.
Doch sie ließen sich nicht überzeugen.
Sie wollten zuerst mit einem weiteren Mann reden, der sich in weltlichen Dingen besser auskannte.
Allem Anschein nach wollten sie Geld.
Geld, das wir ihnen nicht geben konnten.
Vermutlich besaß ich nicht einmal so viel, wie sie verlangen würden.
„Wir können aber schon einmal mit Bürgermeister reden, damit ihr Rechte auf dieser Burg bekommt.“, schlug ich vor.
„Ja, das wäre sehr nett. Danach können wir das Gespräch gerne fortsetzen.“, erklärte sie noch.
Dann verließen wir die Taverne wieder und suchten nach dem Bürgermeister, der „Jupp“ genannt wurde.
Mit ihm würden wir sicherlich verhandeln können.

Wir durchsuchten die gesamte Burg, doch fanden ihn nicht.
Vermutlich wohnte er gar nicht auf der Burg selbst…
Vielleicht war er schon in seinem Heim?
Ich sah den Graf und beschloss, ihn zu fragen.
Zwar zitterte ich ein wenig, weil ich großen Respekt vor ihm hatte, doch vielleicht wusste er ja, wo der Bürgermeister sich befand.
Ich schritt auf ihn zu.
„Herr Graf.“, sprach ich ihn an.
Er sah zu mir herab.
„Verzeiht. Habt Ihr den Bürgermeister gesehen?“, fragte ich ihn.
„Nein, leider nicht. Ich bin auch noch auf der Suche nach ihm.“, antwortete er.
„Habt Dank. Wenn ich ihn sehe, richte ich aus, dass ihr ihn sucht.“, erwiderte ich.
„Habt Dank.“

Ich wand mich wieder an Einarr.
„Wollen wir Klaus fragen, ob er weiß, wo Bürgermeister ist?“, fragte ich.
Einarr zuckte mit den Schultern.
Er wusste selbst nicht ganz, ob die Idee gut war.
Aber schaden konnte es sicherlich nicht.

Also liefen wir zurück zur Kapelle und sahen Klaus direkt vor der Tür sitzen.
Wir fragten ihn nach dem Bürgermeister, doch auch er schien nicht zu wissen, wo sich Jupp aufhielt.
Deswegen schilderten wir direkt unser Anliegen.
„Die Zigeuner suchen einen Ort, an dem sie sicher sind. Eine Urkunde vielleicht, die aussagt, dass sie hier in Frieden leben dürfen. Oder einen magischen Gegenstand, der sie schützt.“
Klaus schien darüber nachzudenken.
„Sie dürfen immer in die Kapelle kommen. Es ist ein Schutzort. Das könnt ihr ihnen anbieten.“, schlug er vor.
Das klang nach einer guten Idee.
„Habt Dank.“, erwiderte ich. Dann liefen wir zurück in die Taverne.
Wir wollten es den Zigeunern sofort mitteilen.
Dann würden sie uns mit Sicherheit die Kelche geben.

Doch als wir in der Taverne ankamen, sahen wir, dass sich eine regelrechte Schlange vor dem Zimmer der Zigeuner gebildet hatte.
Ich lief hin und fragte die Krieger vor der Tür, was los war.
„Da drin wird verhandelt. Und wenn sie scheitern, dann holen wir uns die Kelche einfach.“, erklärten sie. Es schien ihnen überhaupt nicht wichtig zu sein. Sie wollten einfach nur diese Kelche haben.
Doch ich fand, dass es nicht der richtige Weg war, ihnen gewaltsam ihr Eigentum zu entreißen.
Außerdem hatte ich doch die Lösung.
Mit dem Argument des Schutzortes würde ich sie sicherlich überzeugen können.
Doch ich konnte nicht an den Kriegern vorbei in den Raum.
Dort drin waren sie außerdem noch am Verhandeln.
„Wenn sie nicht schaffen, dann lasst mich erst.“, bat ich die Krieger und sie nickten. So richtig interessierte es sie gar nicht.

Wieder verließen wir die Taverne.
„Wir sind immer ein paar Augenblicke zu spät an jedem Ort.“, überlegte Einarr. Es schien ihn zu ärgern. Ihm gefiel der Gedanke nicht, dass den Zigeunern ihr Eigentum gewaltsam entrissen werden sollte.
Wir sprachen noch etwas darüber, dann entschied ich, noch einmal nachschauen zu gehen.
Abermals begab ich mich in die Taverne und fragte die Krieger vor der Tür.
„Ihr könnt gerne auch selbst schauen.“
Sie ließen mich durch und ich beobachtete, wie sich beide Parteien vom Tisch erhoben.
Die drei Ritter hatten die Kelche bekommen.
Die Verhandlungen waren scheinbar gut ausgegangen.
Mehr brauchte ich gar nicht zu wissen.

Ich verließ die Taverne und berichtete Einarr, dass die Kelche nun im Besitz dieser Ritter waren.
Wir machten uns auf den Weg zum Altar und trafen auf dem Weg auf Lynx.
Sie beschloss, sich uns anzuschließen.

Die drei Ritter betraten kurz nach uns die Kapelle und stellten die Kelche auf den Altar.
„Nun wird die Finsternis endlich besiegt. Das Licht ist stärker und wird jede Dunkelheit auslöschen.“, rief Klaus euphorisch.
Ich konnte seine Freude nicht teilen.
Es kam mir falsch vor.
Töteten wir mit der Dunkelheit nicht auch die Vampire, die uns geholfen hatten?
Und was war mit mir?
Ich war auch nicht durch und durch Gut.
Würde dieses gleißende Licht auch die Seiten von mir zerstören, die dunkel waren?
Und was war mit dem dazwischen?
Was war mit der Dämmerung?
Trug sie nicht jeder in sich?
Der eine mehr, der andere weniger?

Ich erhob mich und verließ die Kapelle.
Das konnte ich mir nicht länger anschauen.
Ich machte mir Sorgen um die Vampire.
Vor allem dieser Graf hatte uns so sehr geholfen… Er hatte sogar mit uns gekämpft.
Das konnte und wollte ich nicht unterstützen.
Es war einfach falsch.

Lynx folgte mir und ich erklärte ihr meine Zweifel.
Ich war froh, dass sie meine Gedanken verstehen konnte.

Gemeinsam setzten wir uns auf ein paar Steine im Innenhof.
Ich brauchte etwas Zeit, um nachzudenken.
Was war hier nur alles geschehen?
Die Vampire, die von allen zunächst für böse gehalten wurden, halfen uns, gegen ein weitaus größeres Übel zu kämpfen.
Und dieses viel größere Übel war noch nicht besiegt, nein, nicht einmal entdeckt…
Was hatte es da für einen Sinn und Zweck, die Vampire zu töten, die uns beim Bekämpfen dieses größeren Übels helfen wollten?
Wollten sie sie nur töten, weil sie anders waren?
Das hatte ich noch nie verstanden.

Bald kam auch Einarr auf uns zu.
„Wir brauchen einen Gegenstand, der mit starkem Glauben zu tun hat.“, erklärte er und sah mich erwartungsvoll an.
Was sollte ich tun?
Ich wollte ihnen nicht helfen.
„Njet.“, erwiderte ich. „Ich mache nicht mit.“
„Warum nicht?“
„Weil dieses Licht alles Dunkle zerstören soll hat Mann gesagt. Ich will nicht Vampire zerstören. Sie haben uns geholfen.“
„Aber die Vampire sind Wesen der Finsternis. Sie sind böse und hinterhältig.“, gab Einarr zu bedenken.
„Wir haben dort ein größeres Problem. Dieses Wesen… Was, wenn wir Vampire zerstören, aber Wesen nicht? Dann haben wir nicht mehr Vampire, die uns helfen können, das Wesen zu besiegen.“
Einarr dachte eine Weile darüber nach.
„Außerdem, was ist hell, was dunkel?“, fügte ich hinzu. „Ich bin auch nicht nur gut. Niemand. Jeder hat dunkle Seiten. Werden die durch Licht auch zerstört?“

Wir verbrachten noch etwas Zeit, darüber zu diskutieren, doch bald stimmte Einarr mir zu.
Er verstand, was ich meinte.
„Dann musst du sie aufhalten.“, erklärte er.
Ich schüttelte den Kopf.
„Kann ich nicht. Dann pflocken sie mich. Genau wie die Frau.“, gab ich zurück.
Wir konnten ein lautes, gequältes Schreien hören.
Am Rande des Innenhofs versuchten zwei der Kriegerinnen, eine Vampirin zu töten.
Es war ein wirklich fürchterliches und markerschütterndes Geräusch, dass die Vampirin da von sich gab.

Bald kam Jespar zu uns und ich erklärte auch ihm meine Sichtweise.
Er war zumindest soweit einverstanden, dass er die Vampire erst zur Strecke bringen wollte, nachdem das dunkle Wesen besiegt worden war.
Das war zumindest ein Anfang.

„Anastasya, komm mal her.“, rief Akri mich zu sich. Er befand sich im Vorraum der Burg.
Ich erhob mich und begab mich hin.
„Bleib besser hier. Sie wollen das Tor sprengen.“, erklärte er mir. „Aber nicht mit Schwarzpulver, bei dem sich die Explosion kontrollieren lässt. Nein, mit Magie.“
Er schien die Dummheit dieser Magier wirklich nicht begreifen zu können.
„Ah. Mit Magie? Wollen wir wirklich wissen, was unten ist?“, fragte ich ihn.
„Hm. Vermutlich nicht.“, erwiderte er und zuckte mit den Schultern. „Werden wir aber.“

Doch als auch nach einigen Augenblicken nichts geschah, setzte ich mich nach draußen zu Lynx.
Wir ruhten uns noch eine Weile aus. Dann hieß es auf einmal, dass sie das Tor nun sprengen wollen.
Ich rannte wieder hinein in Richtung des Vorraums. Die Explosion wollte ich lieber nicht mitbekommen.
Dann, als das Tor geöffnet war, kamen unzählige Untote heraus.
Wir fingen an, zu kämpfen.
Es war ein unerbittlicher Kampf gegen die Untoten.
Sie waren sehr stark und so versuchte ich immer zuerst, den Angriffen auszuweichen, um sie dann schnell mit meinem Schwert oder mit der Axt zu erwischen.
Es gelang auch die ersten Momente, doch dann wurde ich selbst am Bein getroffen.
Ich sank zu Boden und zog mich an den Rand, damit ich irgendwie außerhalb des Schlachtfeldes sein konnte.
Mit zusammengebissenen Zähnen schüttete ich Metka auf die Wunde und versuchte dann, mit Händen und Mund die Wunde zu verbinden.
Als ich fast fertig war, kam eine Frau zu mir.
Sie kniete sich nieder und begann, fremde Worte zu sprechen.
Ich spürte, wie die Wunde abwechselnd heiß und kalt wurde.
Dann kribbelte es und danach juckte es.
Ich wusste selbst, dass ich in diesem Stadium besser nicht kratzen sollte.
Offensichtlich hatte diese Frau meine Wunde mit Magie versorgt.
„Habt Dank.“
Dann verschwand die Frau wieder.

Ich blieb noch einige Augenblicke sitzen, um die Wunde ordentlich schließen zu lassen.
Ein erneuter Schlag auf die gleiche Stelle würde sie zwar wieder aufbrechen lassen, doch das wollte ich gar nicht erst riskieren.
Dennoch musste ich weiterkämpfen.
Die Untoten nahmen kein Ende.
Es war also keine Zeit, um auszuruhen.

Ich erhob mich wieder und stürzte mich erneut in den Kampf.
Gemeinsam schafften wir es, die Untoten zurück zu drängen.
Doch dann kamen wieder mehr aus dem Steintor, das geöffnet worden war.

Sie schafften es, uns in den Torbogen zurück zu drängen.
Vor allem die untoten Kämpfer mit den Hämmern waren gnadenlos.
Die meisten unserer Kämpfer wichen zurück.
Im Torbogen angekommen, stellten wir uns neu auf.
Wir durften uns nicht noch weiter zurückdrängen lassen.

Als ich mich nach hinten umdrehte, um nach weiteren Feinden Ausschau zu halten, kam mir Akri entgegen.
„Wir brauchen da unten Hilfe.“, forderte er.
„Was? Hier oben sind ganz viele Feinde.“, erwiderte ich verzweifelt.
„Unten kommen noch einmal so fünfzehn oder so.“
Das durfte einfach nicht wahr sein.
Ich warf einen Blick zu unserer Gruppe von Kämpfern.
Wir waren auch nur etwa zwanzig. Von oben kamen schon zwanzig Gegner.
Und nun auch noch von unten?
Wie sollten wir das schaffen?

Sie kesselten uns bald ein und wir waren im Torbogen gefangen.
Ich kämpfte in Blickrichtung zum eigentlichen Burgtor, während hinter mir gegen die Feinde aus dem Innenhof gekämpft wurde.

Der Kampf war schier endlos und zwischendurch wurden wir von beiden Seiten so eingequetscht, dass wir kaum noch mit unseren Waffen ausholen konnten…
Es schien ganz so, dass unsere Feinde im Vorteil waren.
Doch zum Glück griffen auch noch weitere Krieger die Untoten im Innenhof an.
So schafften wir es, die Gegner von unten nach oben laufen zu lassen.
Wir konnten die zwei Fronten nun zu einer Front machen.
Das machte es zumindest leichter, sich zu konzentrieren.
Immerhin musste man nun nur noch auf eine Seite achten und sich nicht ständig nach hinten umdrehen.

Auf einmal gesellten sich die Vampire zu den feindlichen Kämpfern dazu.
Wir teilten uns auf beide Seiten auf. Ich kämpfte direkt vor dem Eingang zur Burg.
Die Vampire drängten uns zurück.
Sie waren absolut furchteinflößend.
Der Mann neben mir kam auf die schlaue Idee, sich hinter seinem Schild zu verstecken.
Manche schienen sich von dem Blick der Vampire beeinflussen zu lassen.
Ich tat es ihm gleich und versteckte mich ebenfalls hinter seinem Schild.
Wir versuchten, uns so gut es ging zu verteidigen, doch wir waren in der Unterzahl.
Es wurden einfach nicht weniger.
Was sollten wir nur tun?

Ein furchterregendes Wesen kam auf mich zu.
Es sah mich an.
Ich folgte seinem Blick.
Ich lief darauf zu.
Es faszinierte mich.
War es unsterblich?
Würde es mir zeigen, was diese Unsterblichkeit bedeutete?
Ja.
Ich musste nur folgen. Musste hinterher.
Ich wollte es unbedingt wissen.
Dieses Wesen. Es war so grauenhaft und doch so interessant.

Jemand zog mich an meiner Gugel zurück.
Ich hustete und blickte mich um.
Was war passiert?
„Geh rein!“, forderten sie mich auf und zogen mich in den Vorraum der Burg.
Ich setzte mich an den Rand.
Was war nur passiert?
Wieso war da dieses Wesen?
Wieso hatte es mich zu sich gerufen?
Und wieso hatte ich darauf gehört?
Wieso war ich gefolgt?
Es wirkte alles so unwirklich.

Ich verbrachte eine Weile im Vorhof der Burg.
Irgendwie fühlte ich mich unfähig, zu kämpfen… Ich konnte mich nicht einmal ordentlich bewegen.
Alles war so komisch.
Dabei war ich nicht wirklich verletzt – zumindest nicht ernsthaft.
Aber… Ich verstand einfach gar nichts mehr.
Es war zu viel, es war einfach zu viel.

Tahn wurde in den Vorhof der Burg gebracht.
Er blutete aus einer Wunde an der Brust.
Ich musste ihm helfen.
„Tahn.“, sprach ich leise. Meine Stimme zitterte noch immer. „Komm her.“
Ich versuchte, ihm zu helfen.
Mit einem Verband in der Hand drückte ich erst einmal gegen die offene Wunde.
Tahn sackte immer wieder in sich zusammen.
„Tahn!“, rief ich. Er durfte nicht schlafen.
„Mh?“. Er erwachte wieder.
„Tahn. Erzähl mir etwas.“, forderte ich ihn auf.
„Ach keine Ahnung. Was soll ich denn erzählen?“, fragte er.
Es war mir egal.
Irgendetwas.
Er musste einfach nur wach bleiben, mehr wollte ich nicht.
„Was ist mit Äpfeln…? Welche magst du lieber?“
Ich hoffte, mit der Frage eine längere Erklärung zu bekommen.
Je länger er erzählte, desto mehr Zeit hatte ich.
Ich wickelte den Verband um seine Wunde.
Wir mussten ihn irgendwie zum Lazarett schaffen.
Nur wie?
Konnte ich ihn alleine stützen?
Waren die Kämpfe dort draußen beendet?
„Na ja… Es gibt ja süße und saure Äpfel.“, begann Tahn zu erklären. Ich hörte nur mit einem halben Ohr zu. Ich musste mich konzentrieren. Mir musste etwas einfallen.

Akri kam durch den Vorraum der Burg gelaufen.
„Anastasya, bist du verletzt?“, fragte Akri und blieb stehen. Er sah mich an.
„Njet. Aber Tahn…“, erwiderte ich.
Akri sah zu Tahn.
„Der ist mir egal.“
Damit verließ Akri den Vorraum der Burg in Richtung Innenhof.
Hieß das, dass die Kämpfe beendet waren?
Ich hörte zumindest nichts mehr.
Es war ruhig geworden.

Ein paar Leute kamen zum Vorraum der Burg herein.
„Könnt ihr helfen Tahn zu Lazarett bringen?“, bat ich sie.
Sie nickten und stützten Tahn.
Auf dem Weg zum Lazarett versuchte ich weiterhin, Tahn wach zu halten.
Er musste reden, das war wahrscheinlich der beste Weg.
„Und du hast in Wüste gekämpft?“, fragte ich.
„Ja. Da ist es…warm.“, war seine Antwort. Er redete sehr langsam.
„Und nachts kalt?“
„Genau… Sehr kalt nachts.“, erwiderte er.
Immerhin blieb er wach.
Ich musste weiter machen.
Doch was sollte ich noch fragen?
Mir fiel keine gute Frage mehr ein.

Wir erreichten das Lazarett.
Es war lediglich eine Heilerin vor Ort, die bereits beschäftigt war.
Wir ließen Tahn auf einem Stuhl sitzen und ich versuchte, ihn weiterhin wach zu halten.
Wenn die Heilerin bereit war, dann würde ich sie bitten, sich auch um Tahn zu kümmern.

Doch erst jetzt erkannte ich, um wen sich die Heilerin da kümmerte. Es war Halfdan! Er hatte eine große Wunde am Hals.
Bei der Heilerin schien es sich um eine magiebegabte Frau zu handeln… So war sie in der Lage, Halfdan zu helfen.
Ob ein normaler Heiler seinen Hals wieder hinbekommen hätte, war fragwürdig…

Als die Heilerin dann fertig war, sprach ich sie an.
„Verzeihung. Könnt Ihr auch hier einmal schauen?“
Sie seufzte leise, kam dann aber zu uns.
„Was ist denn?“, fragte sie und kniete sich vor Tahn.
Ich deutete auf seine Wunde und beobachtete dann, wie die Frau mit der Heilung begann.
Sie fing damit an, zu beten.
Vermutlich zu ihren Göttern.
Die Namen, die sie sagte, kannte ich nicht.
Doch ich wusste, dass es irgendwie immer Odin war, von dem alle redeten.
Sie verwendeten alle immer nur andere Namen.

Nach einer Weile war sie fertig.
„Kannst du mir helfen?“, fragte sie und sah mich an. „Es wird höllisch jucken und er darf nicht kratzen. Kannst du helfen, seine Hände festzuhalten?“
Ich nickte. Das sollte kein Problem sein.
Von meiner eigenen Heilung wusste ich ja, dass Kratzen alles immer nur schlimmer machte.
Ich nahm also seine rechte Hand und hielt sie gut fest.
Die Frau übernahm die linke Hand.

Während wir ihn davon abhielten, zu kratzen, öffnete sich die Tür und Lynx kam herein.
Sie ging ein paar Schritten in den Raum und legte sich dann auf den Boden.
Mit ihrem Mantel bedeckte sie sich komplett.
War sie erschöpft?
Vermutlich.
Wir alle fühlten uns vermutlich ähnlich.
Doch jetzt mussten wir erst einmal zusehen, dass die Wunde von Tahn zumindest etwas verheilte.
Danach konnten wir weiter sehen.
Wahrscheinlich war es am besten, sich etwas auszuruhen.
Wer wusste schon, ob die Kämpfe nun überstanden waren?

Irgendwann ging es Tahn besser und wir verließen das Lazarett wieder.
Vor dem letzten Angriff hatte ich meinen Mantel im Vorraum der Burg liegen lassen, also lief ich los, um ihn zu holen.
Er lag direkt vorne unter einem der Tische.
Ich griff nach ihm und erschrak auf einmal, als ich seltsame Laute vernahm.
Es klang wie eine Art Grunzen und Fauchen. Nur woher kam es?

Als ich den Kopf in Richtung Burg-Inneres drehte, sah ich es und erstarrte.
Die Vampire.
Die Vampire, die als „gut-böse“ bezeichnet worden waren.
Die Vampire, die uns geholfen hatten.
Allen voran der Graf.
Der Graf, der mit uns Seite an Seite gekämpft hatte.
Ich traute meinen Augen nicht.
Doch meine Angst war größer als meine Verwirrung.

Ich packte meinen Mantel und rannte los.
Weg von der Burg.
Weg von dem Raum.
Weg von den Vampiren.
Ich bemerkte kaum, dass ich während des Rennens schrie, so groß war meine Angst.

„Anastasya! In die Kapelle!“, schrie Lynx.
Klar. Es war ein geschützter Ort. Warum war ich da nicht früher drauf gekommen?
Ich rannte los.
Lynx folgte mir.
Wir erreichten die Tür, rissen sie auf, sprangen in den Raum und sanken zu Boden.
Unsere Waffen behielten wir in der Hand.
Vollkommen außer Atem rangen wir nach Luft.
Was war da passiert?
Wieso griffen uns nun die anderen Vampire an?
Hatten sie das alles geplant?
Oder war etwas anderes vorgefallen?

Ich wusste nur, dass ich weder gegen sie kämpfen wollte, noch konnte.
Das war alles viel zu viel für mich.
Wir blieben hier versteckt.

Bald öffnete sich die Tür und wir erschraken, doch zum Glück kamen nur ein paar Verletzte herein.
Leider mussten sie feststellen, dass sich hier kein Heiler befand.
„Was ist mit Vampiren?“, fragte ich verwirrt.
Ich wusste es wirklich nicht.
Wie sollte ich jemals wieder irgendjemandem glauben?
Es war so unglaublich viel geschehen…
Und jetzt hatten uns wirklich auch noch die Vampire verraten?
Konnte das sein?
Eigentlich wollte ich das nicht glauben.

Wir versuchten, durch das Fenster zu erkennen, ob die Vampire noch immer dort waren.
Doch es war ruhig geworden.
Auch ein paar der eintretenden Verletzten versicherten uns, dass der Kampf vorbei war.
Was sie uns allerdings nicht sagen konnten, war, was nun mit den Vampiren geschehen war.
Wir mussten es also selbst herausfinden.

Zögerlich öffneten wir die Tür und wagten uns nach draußen.
Es war ruhig.
Kaum Jemand war noch am Innenhof zu sehen.
Ich sah Tahn und Einarr an den Steinen sitzen und ging auf sie zu.
Als ich näher kam, entdeckte ich auf Akri und Galador hinter ihnen… Und den Grafen.
Wie konnte das sein?
Was passierte da?

Jespar kam auf uns zu.
„Jespar. Was ist mit Graf?“, fragte ich ihn. Ich traute mich nicht, Akri direkt anzusprechen.
„Er redet mit dem Grafen und versucht, ihm zu helfen.“, erklärte er. „Die Vampire haben wohl irgendwie extremen Blutdurst und sind deswegen durchgedreht.“
So richtig verstand ich es zwar nicht, aber das bewies zumindest, dass sie uns nicht verraten hatten.
Es war gut, das zu hören.

Bald erhob sich Akri von den Steinen und ging zusammen mit dem Grafen den Berg hinab. Sie verließen den Innenhof und waren bald in der Dunkelheit verschwunden.
Was hatte Akri nur mit ihm vor?
Doch ich machte mir keine Sorgen, denn irgendwie vertraute ich Akri trotz allem.

Nach einer nahezu unendlichen Weile kam Akri zurück.
Ich sah ihn erwartungsvoll an und hoffte, dass er erzählen würde, was passiert war.
„Entweder, er ist jetzt friedlich Schafe reißen, oder wir haben ein viel größeres Problem.“, sprach Akri und setzte sich wieder auf die Steine.

Ich war müde. Viel zu müde.
Allem Anschein nach war diese dunkle Macht – Azarov – geflohen.
Niemand hatte sie mehr gesehen, obwohl sie danach gesucht hatten.
Und was war mit diesem Levanda geschehen?
Er hing doch irgendwie mit der dunklen Macht zusammen?
Oder doch nicht?
Es war so verwirrend.

Aber immerhin schienen wir nun irgendwie sicher zu sein.
Den Gerüchten zufolge hatten sie die übrigen Vampire getötet.
Nun lebte also nur noch der Graf?
Es war ein wirklich seltsames Gefühl.
Sollte ich wirklich daran glauben, jetzt sicher zu sein?
Meine Zweifel waren stark. Doch so stark war auch meine Müdigkeit.

Die Kämpfer wurden alle wesentlich ruhiger, manche begaben sich sogar in die Taverne, um zu feiern.
Feiern?
Nur was?
Dass wir die Vampire getötet hatten?
Dass diese dunkle Macht frei, aber nicht besiegt war?
Nein. Kein wirklicher Grund, um zu feiern.
Aber ich war müde.
Wir mussten unsere Reise fortsetzen.
Ich wollte weg von diesem Ort.
Heraus aus diesem Land.
Zurück.
Irgendwohin, wo es keine Untoten, keine Dämonen, Türme und verräterische Nordmänner gab.

Gemeinsam begaben wir uns also zurück zu unserem Zimmer.
Die restliche Nacht würden wir noch hier verbringen.
Doch dann wollte ich unbedingt weiter.

Ich rollte mich in meinen Mantel ein, stellte zur Sicherheit die Falle an der Tür noch einmal scharf und schlief dann recht schnell ein.

Wärme, ich spürte Wärme.
Ich stand auf einem Hügel und sah auf ein Haus hinab. Ein altes Haus.
Dort konnte ich ein Baby sehen. Es war in Felle eingewickelt.
Dann verschwamm das Bild vor meinen Augen.

Ich war wieder woanders. In einem Wald. Doch es war nicht Falkenhain. Die Bäume hatten große Blätter und keine Nadeln.
Ein junger Mann stand dort. Zusammen mit einem etwas älterem Mann. Vater und Sohn?
Sie schienen auf der Jagd zu sein. Beide trugen einen Bogen und Pfeile mit sich. Sie pirschten sich gerade an ein Reh an…
Und wieder verschwamm die Sicht vor meinen Augen.

Ich fand mich auf dem Hügel wieder, von dem aus das Haus sichtbar war.
Doch diesmal brannte das Haus. Es brannte herunter. Es war nicht nur noch warm, es war heiß. Ich wollte fort. Die Hitze brannte auf meiner eigenen Haut genauso, wie sie das Haus vor mir abbrannte.
Als ich meinen Kopf zur Seite drehte, sah ich einen Mann.
Er starrte auf das brennende Haus. Genau wie ich es tat.
Der Mann aus dem Wald?
Er kam mir so bekannt vor.
Doch ich wollte es nicht wahrhaben.
Nein. Das konnte nicht sein.
Ich musste mich irren.

Wieder veränderte sich der Ort, an dem ich mich befand.
Diesmal stand ich auf einer Wiese.
Ein See in der Nähe.
Es kam mir so bekannt vor und war doch so fremd.
Menschen.
Ein Kreis.
Blut.
Ein Ritual?
Doch nicht etwa… dieses Ritual?
Ich erkannte den Mann, der sich dort in der Mitte des Ritualkreises befand.
Es war kalt. Es regnete.
Ich wollte weg. Weg von hier.
Diesen Fehler wollte ich nicht noch einmal sehen.
Den Fehler, den ich begangen hatte.

Schwärze. Genau, wie ich es mir gewünscht hatte.
Doch da war noch etwas anderes.
Der Mann. Das Blut.
Der Mann breitete seine Arme aus.
Es wuchs etwas. Ein Baum. Er trug Laub, keine Nadeln.

Es wurde windstill, aber umso kälter.
Ich fror beinahe.
Wurzeln bildeten sich wie Fesseln und ergriffen die Füße des Mannes.
Ich konnte mich nicht rühren.
Ich konnte nur mit ansehen, wie der Mann von den Wurzeln hinab gezogen wurde.
Unter den Baum.
In die pure Finsternis.

Ein grässliches Geräusch, eine Art verzerrtes Bellen erklingt. Ein Hund?
Ich zuckte zusammen.
Dann sah ich ihn.
Ein riesengroßer Hund.
Ein Wolf?
Fenris?
Die Gefahr?
Er riss das Maul auf.
Es wurde dunkler, immer dunkler.
‚Ach, es wird ihm schon gutgehen.‘, erklang es.

Das nächste was ich sah, war ein Gesicht.
Ein Gesicht eines Babys.
Das Baby aus dem Haus. Das, was in die Felle eingewickelt worden war.
Auf einmal veränderte es sich. Es verschwamm, verzog sich seltsam und wurde dunkler.
Der Hund… Der Hund, der das Maul aufgerissen hatte.
Das war nun, was ich sah.
Was hatte das zu bedeuten?

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