Gemeinsam verließen wir die Lande, in denen wir gegen die schwarze Hand gekämpft hatten.
Leider gab es für uns kein Kupfer. Die schwarze Hand war noch nicht besiegt und so wollte der Baron uns auch nicht belohnen.
Wir mussten also weiter.
Vielleicht konnte ich woanders etwas Kupfer verdienen.
Außerdem sollte ich ja mit Tahn zusammen losziehen, um seine Frau zu finden.
Irgendwas mit Reichtum hatten sie auch erwähnt, aber mir war es wichtiger, die Welt zu sehen.
Es gab so viele Orte, von denen die Menschen in meiner Nähe gesprochen hatten.
Orte, die so anders waren als meine Heimat Falkenhain.

Dann musste ich auf einmal wieder an Breeg denken.
Breeg. Oder Breeg Ân Khun, der ja nicht wirklich Breeg war.
Ich verstand es nicht.
Es fühlte sich falsch an, mit Rhea, Ares, Lynx, Tahn und Remus zu reisen und so zu tun, als wäre alles wie immer.
Ich ertrug es nicht.
Immerhin war es meine Schuld.

„Ich gehe ein Stück alleine.“, kündigte ich an.
Sie ließen mich nur widerwillig gehen, doch wahrscheinlich verstanden sie, dass sie mich nicht aufhalten konnten.
Rhea und Lynx machten sich auf jeden Fall sorgen.
Doch ich wusste, dass sie mich mittlerweile gut genug kannten, um nicht ernsthaft zu denken, dass mir etwas zustoßen könnte.
Zumindest hoffte ich das einfach.
Ich wollte niemandem unnötige Sorgen bereiten.

~ ~ ~ ~

Es dauerte ein paar Tage, bis ich zu einem Wald gelangte, der mir bekannt vorkam.
Ich war recht hungrig und unterwegs waren mir nur ein paar Kaninchen und Dachse begegnet, nicht aber Rehe oder Wildschweine.
Es wurde langsam Winter, das bemerkte man sogar hier im Süden.
Ich genoss es, denn es erinnerte mich an Falkenhain.
Die Blätter der Bäume wechselten die Farbe von Grün zu Rot, Gelb und Braun.
Ein Schauspiel, das im Norden nie stattfand.
In meiner Heimat gab es Nadelbäume, ihre ‚Blätter‘ wechselten nicht die Farbe. Sie blieben das ganze Jahr grün.  Und vor allem blieben sie auch am Baum.
Das war bei diesen Bäumen im Süden ganz anders: Erst wechselten sie die Farbe, dann fielen sie zu Boden.

Die kleinen Sträucher zwischen den  breiten Stämmen der Bäume kamen mir bekannt vor.
Es gab zwei verschiedene Arten, von denen man essen konnte.
Der eine Strauch hatte hellgrüne, verzahnte Blätter, die sehr abgerundet waren. Die essbaren Früchte waren rot und etwas haarig. Sie erinnerten etwas an giftige Raupen, waren aber nicht giftig. Im Gegenteil, sie waren lecker.
Ich kramte meine hölzerne Schüssel aus meiner Tasche und pflückte so viele Beeren wie ich finden konnte.
Dann konzentrierte ich mich auf die zweite Strauch-Art, die ich kannte.
Die Blätter von diesem waren gar nicht verzahnt sondern glatt. Außerdem waren sie eher länglich und spitz zulaufend statt rund.
Die Früchte waren dunkelblau und komplett rund.
Ich füllte den übrigen Platz der Schüssel mit diesen Beeren und lief dann weiter.
Zwischendurch aß ich ein paar der Früchte.

Ich wusste, dass ich den Ort kannte.
Es war die Taverne, die sich an dem Turm und den zugehörigen Katakomben befand.
Der Ort, an dem Gin gestorben war.
Hinter mir raschelte etwas.
Es klang zwar weiter entfernt, aber ich sah mich dennoch danach um.

Ich glaubte, zwischen den Bäumen eine Gestalt zu sehen, doch ich war mir nicht sicher.
Vielleicht bildete ich mir das auch nur ein.
Es wurde auf jeden Fall Zeit, den Wald zu verlassen.
In der Nähe der Taverne hatte ich bisher immer ein paar Freunde getroffen und so hoffte ich, dass ich auch diesmal ein paar bekannte Gesichter vorfinden würde.
Es war vermutlich sicherer als in einem Wald zu bleiben, in dem ich eine dunkle Gestalt zu sehen glaubte.

Bald lichtete sich der Wald etwas und ich trat auf den schmalen Weg, der direkt über eine Wiese zur Taverne führte.
Dort erblickte ich auch schon zwei Personen, die ich kannte.
„Hallo!“, begrüßte ich die beiden.
Batras, der Alchemist.
Den Namen des anderen Mannes kannte ich nicht, doch ich hatte auch ihn schon sehr oft gesehen.
„Hallo Anastasya.“, kam es von beiden zurück.
Ich lächelte etwas und ging auf sie zu.
„Ich habe Beeren gefunden.“, erklärte ich stolz und hielt ihnen die hölzerne Schüssel hin.
„Oh, sehr gut. Wir haben vorhin auch schon gesucht.“, erwiderte Batras. „Darf ich?“
Ich nickte und ließ beide von den Beeren essen. Warum auch nicht? Vor allem Batras hatte mir schon so oft geholfen.

Dann wandten sie sich einer kleinen Blume mit blauer Blüte zu, die am Rand des Weges wuchs. Sie sprachen darüber und schienen zu überlegen, um was für eine Pflanze es sich handelte.
Als ich nachfragte, erklärten sie mir, dass es eine seltene Blume war, die Kälte abgab.
Deswegen sollte man sie auch nicht mit bloßen Händen anfassen.
Batras überlegte, ob er sie gut für seine Tränke verwenden konnte.
Und so schnitten sie die Blume ab und nahmen sie sie mit. Natürlich trugen sie dabei Handschuhen, denn sie wollten nicht, dass ihnen die Hände abfroren.

Auf dem Weg zum Zelt des Alchemisten tauchten auf einmal Schatten zwischen den Zelten auf.
Sie kamen auf uns zu. Hektisch stellte ich meine Sachen auf den Boden, legte auch Bogen und Köcher ab und zog Schwert und Axt.
Zu dritt kämpften wir gegen die auftauchenden Schatten, die auf uns zu stürmten.
„Anastasya! Dort ist auch eine Gestalt! Kannst du aufpassen?“, rief Batras mir zu.
Ich drehte mich in Richtung des Waldes und erblickte die Gestalt nun auch.
Kampfbereit hielt ich die Waffen in den Händen und drehte Batras und dem anderen Mann den Rücken zu.
Ich wusste, dass ich ihnen vertrauen konnte und so musste ich jetzt dafür sorgen, dass diese Gestalt ihnen nicht in den Rücken fallen konnte.
Doch die Gestalt rührte sich nicht.
Ich wusste nicht, warum.
War es überhaupt ein Schatten?
Es ähnelte etwas der Gestalt, die ich im Wald zu sehen geglaubt hatte.
War das etwa auch ein Schatten gewesen.

Kurz drehte ich mich herum, um zu sehen, wie gut die beiden mit den anderen Schatten zurecht kamen.
Als ich mich wieder zum Eingang des Waldes drehte, sah ich die Gestalt nicht mehr.
Dabei hatte ich doch nur ganz kurz geschaut?
Die Gestalt konnte doch nicht einfach verschwunden sein?
Oder etwa doch?

Ich entschied, nun die anderen beim Kämpfen zu unterstützen.
Die Schatten schienen gar kein Ende zu nehmen.
Ich rannte auf ein paar von ihnen zu, sprang sie an, versuchte, sie zum Verschwinden zu bringen.
Ich wusste ja von den letzten Besuchen dieser Taverne, dass man Schatten nicht einfach töten konnte.
Doch leider war ich kurz unaufmerksam und wurde am Bein getroffen.
Grummelnd ging ich zu Boden, hielt mir die Wunde und versuchte, mich selbst zu versorgen.
Zum Glück hatte ich noch etwas Metka dabei. Die letzte Reise nach Bärenfels hatte sich schon gelohnt.
Ich wusch die Wunde unter Schmerzen aus, dann kramte ich einen Verband aus meiner Tasche.
So konnte ich die Schnittwunde des Schwertes so verbinden, dass kein Blut mehr austreten konnte.

Ein paar mehr Kämpfer kamen dazu, darunter auch Sir Nanoc von Wassenberg.
Sie halfen mir, mich vom Schlachtfeld weg zu bekommen und setzten mich auf eine Bank.
Dort sollte ich mich nun ausruhen, bis die Wunde sich zumindest ein wenig geschlossen hatte.

Seufzend beobachtete ich, wie die unverletzten Krieger weiter kämpften.
Irgendwann tauchten keine neuen Schatten mehr auf und die Kämpfer zogen sich zurück.

Ich bewegte mein Bein etwas und testete, wie sehr es noch schmerzte.
Die Schmerzen waren natürlich noch nicht komplett verschwunden, doch es war auszuhalten, also erhob ich mich langsam wieder.
An einem der hohen Tische sah ich Tahn und Remus stehen und lief zu ihnen.
„Hallo.“, begrüßte ich sie und stellte mich neben sie.
„Ah, Ana-…Anastasya!“, erwiderte Tahn.
„Wo kommt ihr denn her?“, fragte ich die beiden.
Sie zeigten in verschiedene Richtungen. „Also ich komme von da.“
Ich lachte kurz und schüttelte den Kopf.
War ja auch egal.

Ich hielt ihnen meine hölzerne Schüssel hin.
„Hier. Ich habe Beeren gefunden. Wollt ihr haben?“, fragte ich die beiden.
„Was für Beeren?“, fragte Tahn und sah in die Schüssel.  Die Frage schien er sich selbst beantwortet zu haben und so griff er einfach in die Schüssel und nahm ein paar Beeren heraus.
Remus tat es ihm gleich.

Eine Frau im Kleid kam auf uns zu.
Ich hatte sie hier schon öfter gesehen, doch nur selten ein Wort mit ihr gewechselt.
Soweit ich es richtig im Kopf hatte, war sie die Schülerin von Athera.
„Hallo, Schöne.“, begrüßte Tahn sie.
„Ihr solltet Euch schämen.“, erwiderte sie und wirkte zutiefst beleidigt.
Hatte er etwas Falsches gesagt?
„Aber Du bist doch schön?“, fragte Tahn verwirrt nach und es war auch die Frage, die ich mir gestellt hatte.
Was hatte diese Frau nur dagegen, ‚schön‘ genannt zu werden?
Empfand sie es denn nicht so?
„Natürlich bin ich schön.“, gab sie dann zurück.
Eine seltsame Antwort.
Wo lag dann das Problem?
„Tze.“, machte sie, wirkte eingeschnappt und entfernte sich wieder von uns.

Remus begab sich in Richtung des Alchemisten-Zeltes, in dem auch Batras und der andere Mann vorhin noch gesessen hatten.

Wir blieben verwirrt zurück, als Tahn sich plötzlich seltsam verhielt.
Also… Seltsamer als ohnehin schon.
Er grinste auf einmal breit und sah bewundernd einen Baum an.
„Tahn?“, fragte ich verwirrt. „Was ist?“
Er ging genau auf den Baum zu.
„So schön…“, murmelte er benommen.
Zugegeben, der Baum sah ganz schön aus, ein starker Stamm mit vielen Ästen und Blättern…
Doch Tahn tat eher so, als würde er vor sich eine wunderschöne Frau sehen.

Tahn kletterte auf die Bank, auf der ich wenige Augenblicke zuvor noch gesessen hatte. Dann umarmte er den Baum und hielt sich daran fest.
Ich beobachtete ihn dabei und verstand die Welt nicht mehr.
Was war denn auf einmal so Faszinierendes an diesem Baum?
„Tahn…?“, fragte ich noch einmal nach. „Tahn, was ist denn mit Baum? Ist Baum schön?“, fragte ich nach, doch Tahn schien viel zu vertieft zu sein. Er hörte mich nicht einmal.

Doch es dauerte nicht lange, bis er den Baum wieder losließ und von der Bank herunterkletterte.
Was war denn nun los?
„Tahn, geht es besser?“
„Ich weiß nicht… Ich fühle mich seltsam.“, antwortete er nun endlich.
Dabei senkte er den Blick und sah nun unendlich traurig aus.
Nur warum?
Woran dachte er nun?
„Tahn? Was ist denn?“, fragte ich und versuchte, ihm trotzdem in die Augen zu blicken.
Auch aus ihnen sprach eine ungewöhnliche Traurigkeit.
Das hatte ich an Tahn noch nie vorher gesehen.
Und ich wollte ihm irgendwie helfen…
Nur wie?
Sollte ich versuchen, ihn aufzumuntern?

„Tahn, weißt du noch? Sie haben doch gesagt, dass wir deine Frau finden müssen.“
Vielleicht stimmte ihn das wieder fröhlich.
Er sah zu mir auf.
Es schien zu wirken. Zumindest lenkte es ihn etwas ab.
„Ach ja! Meine Frau!“, überlegte er laut und sah zu dem Ring an seiner Hand. „Ja, wir müssen… ganz weit reisen. Und dann muss ich meine Frau finden und ihr den Ring geben!“
Ich nickte.
„Da, Tahn. Müssen wir Frau finden!“
Schon wirkte er wieder etwas motivierter.

Ich sah zum Zelt des Alchemisten und erblickte dort… Thorstain!
Schnell lief ich hin.
Wann hatte ich ihn zuletzt gesehen?
War er nicht hinunter in die Katakomben gegangen?
Wollte er nicht gemeinsam mit Lord Cecil das Portal betreten?
Er hatte tatsächlich überlebt!
Ich freute mich darüber!
Er musste mir unbedingt alles erzählen!

„Thorstain!“, rief ich ihm entgegen. „Lange nicht gesehen! Wie geht es?“
Er sah mich an, lächelte etwas… Doch das Lächeln erreichte nicht seine Augen.
Irgendetwas war komisch mit ihm.
„Anastasya.“, erwiderte er knapp.
Er sprach ganz anders als sonst.
Hatte er sich nicht immer gefreut, mich zu sehen?
Warum jetzt nicht?
„Was ist los?“, fragte ich sofort. Ich wollte den Grund für sein Verhalten erfahren.
Thorstain senkte den Blick etwas. Ganz so, als könne er mir nicht ins Gesicht sehen.
„Ich habe… dort unten den Tod gesehen.“, erklärte er dann. „Ich bin gestorben… Unzählige Male. Und dennoch bin ich nicht tot.“
Ich sah ihn an.
Das konnte nicht sein.
Wenn er gestorben war, dann wäre er doch nach Walhalla gekommen.
Er war ein Krieger Odins und er lebte doch dafür.
Wie wir alle war das sein Ziel: Im Kampf für Odin sterben und nach Walhalla gebracht werden.

Tahn und diese seltsame, adlige Frau kamen zu uns.
„Ich weiß schon, warum ich nicht mit dem Pöbel rede.“, hörte ich auf einmal von der Frau.
Pöbel?
Was genau sollte das sein?
Ich sah fragend zu ihr.
„Was meinst du mit Pöbel?“, fragte ich sie.
Sie musterte mich von Kopf bis Fuß.
„Na. So etwas wie ihr…“, gab sie zurück.
„Ah. Bin ich Pöbel… Und Ihr?“, fragte ich dann weiter.
„Ich bin Lady von Bern.“
Sie klang sehr arrogant.
„Ah. Lady von Bern…“, wiederholte ich. „Ist das ganze Name?“
„Nein. Das ist… wie ein Beruf. Ich bin eine Lady.“, erklärte sie mir.
„Ah! Dann bin ich… Jägerin Anastasya?“, fragte ich.
Wahrscheinlich hatte ich es nicht ganz richtig verstanden, es war mir aber auch egal.

Rhea und Ares kamen zu mir.
Ich freute mich, sie zu sehen. Sie hatten ihren Weg also auch zu dieser Taverne gefunden.
„Rhea! Weißt du was? Du bist Jägerin Rhea.“, erklärte ich ihr. „Hat Lady von Bern gesagt. Das ist Name. Irgendwie Beruf.“
Rhea nickte und schien es genauso wenig wie ich zu verstehen.

Wir verließen das Zelt wieder und neue Schatten tauchten auf.
Schnell stürzte ich mich in den Kampf, um möglichst viele Schatten in die Flucht zu schlagen.
Doch genauso schnell, wie ich auf die Schatten einschlug, genauso schnell trafen sie auch mich…
Mein Bein, um genau zu sein. Ich sackte zusammen und versuchte, es erneut selbst zu verbinden.
Ich wurde zu der hölzernen Bank gebracht, auf der vor einigen Augenblicken noch Tahn gestanden und den Baum umarmt hatte.

An einem Tisch redeten Remus, Tahn und ein Fremder miteinander. Der Fremde trug eine Kettenrüstung und hatte ein Marderfell an der Schulter hängen. Doch viel mehr überraschte mich, wie der Fremde sprach.
Fast so, als käme er aus der Heimat.
Ich rief Remus zu mir.

„Remus. Kannst du Fremden, der fast spricht wie ich zu mir holen?“, bat ich ihn.
Wegen meines Beins konnte ich noch nicht aufstehen, also musste er Wohl oder Übel zu mir kommen.
Remus nickte und holte den Fremden.
Er war nicht besonders höflich, aber das erwartete ich auch nicht von ihm.

„Kommst du aus Heimat?“, fragte ich ihn und er stimmte zu.
Er schien mich ebenfalls an meiner Sprechweise zu erkennen.
„Wie heißt du?“, fragte ich ihn.
„Marder.“, erwiderte er knapp.
„Ist nicht richtiger Name.“, erwiderte ich. Niemand hieß einfach nur Marder.
Er hatte einen Marder an der Schulter, doch warum würde man ihn so nennen?
Vor allem war es kein Name für Jemandem, der aus der Heimat kam.
„Nenn mich Marder.“
Er beharrte darauf.
Vielleicht wollte er seinen Namen nicht nennen.
Schon wieder einer von denen, die ihren Namen lieber für sich behalten wollten.
Doch früher oder später würde ich seinen Namen auch herausfinden!

„Kennst du Metka?“, fragte ich ihn.
Er schüttelte den Kopf. „Blyat, njet, was ist das?“
Ich hielt ihm die Flasche hin. Er roch zuerst daran, dann trank er es.
Es schmeckte ihm.
Natürlich schmeckte es ihm. Er war Mann aus Heimat.

Er ging mit mir in Richtung des Waldes. Überall um uns herum waren die Schatten, doch sie griffen uns nicht an.
Fürchteten sie uns etwa?
Warteten sie auf etwas?
Ich war mir nicht sicher.
Ich hoffte nur, dass es dabei bleiben würde. Das Letzte, was wir gebrauchen konnten, waren unzählige Schatten, die auf uns losgingen.

Im Wald angekommen redeten wir.
Es war gut, dass uns hier niemand hören konnte.
Ich fragte mich, warum dieser Mann mir so vertraute.
Vielleicht, weil ich auch aus Heimat kam.
Leute aus Heimat verrieten sich nicht.

Bald verließen wir den Wald wieder.
Ich lief zum Zelt des Alchemisten und Ragnar kam zu mir.
Der Krieger Odins mit den blonden Locken, mit dem ich schon oft gesprochen hatte.
Soweit ich wusste, gehörte er zu dem Clan der Wassenbergs.
„Anastasya. Könnt Ihr mein Schwert mit Runen segnen?“, fragte er mich.
Ich dachte darüber nach.
Konnte ich das?
Würde Odin mir die Kraft geben, das Schwert eines Kriegers zu segnen?
Ragnar kämpfte immerhin auch in Odins Namen.
Wieso also nicht?
Ich konnte es zumindest versuchen.
„Gebt mir Schwert.“, forderte ich ihn auf und er überreichte es mir.
Ich legte es vor mich und kramte meinen Runenbeutel hervor.
Nachdenklich suchte ich die Rune Taiwaz für den Kampf, die Rune Uruz für die Stärke und die Rune Eihwaz für den Schutz heraus.
Ich legte sie vorsichtig auf die Klinge des Schwertes und sprach zu Odin.
Ich bat ihm um seine Kraft, bat ihn, das Schwert aufzuladen und den Krieger, der es führt, zu stärken.
Dann nahm ich die Runen wieder herunter und gab Ragnar sein Schwert zurück.
Ich hoffte, dass es gereicht hatte.
Als ich die drei Runen in der Hand hielt, spürte ich, dass sie ihre Kraft verlassen hatte. Ich würde sie also neu aufladen müssen.

Schatten näherten sich.
Diesmal waren sie wieder angriffslustig.
Es dauerte nicht lange, bis sie mich wieder verletzt hatten.
Sie brachten mich zum Zelt der Magier, das sich in direkter Nähe der Katakomben und des Turms befand.
Die Lady von Bern versuchte dort, mir zu helfen und meine Wunden zu heilen.
Es schien ihr auch zu gelingen, denn bald ging es mir schon besser.

Ich ruhte mich noch etwas aus, dann kam Ragnar zu mir.
„Anastasya. Ihr seid bewandert in der Runenkunst, nicht wahr?“, fragte er mich.
Ich nickte. „Da, warum?“
„Thorstain…. Irgendwas stimmt nicht mit ihm. Er sagt, er habe den Tod gesehen. Er glaubt nicht mehr an die Götter.“, erklärte er mir.
Ich starrte ihn besorgt an.
Meinte er das ernst?
Thorstain hatte den Glauben verloren?
„Er war dort unten… In diesem Portal. Und er hat scheinbar Schlimmes gesehen. Irgendwas stimmt auch nicht mit dem Schwert, das er bei sich führt. Er redet mit dem Schwert.“, erklärte Ragnar mir dann noch. „Kannst du versuchen, mit ihm zu reden?“
Ich nickte.
Es musste einen Weg geben, Thorstain von den Göttern zu überzeugen.
Er hatte doch immer so aufopferungsvoll für die Götter gekämpft.
Was war ihm nur widerfahren?

Ich sah ihn von Weitem.
„Thorstain!“, rief ich ihn. „Kannst du herkommen zu mir?“
Zum Glück zögerte er nicht, sondern lief direkt zu mir.
Ich bat ihn, sich neben mich zu setzen und er folgte meiner Bitte.
„Was ist passiert? Du hast gesagt, dass du gestorben bist. Und doch bist du hier und speist und trinkst nicht mit den Göttern in Walhalla.“
Thorstain nickte.
„Die Götter.“, wiederholte er und schien das Wort „Götter“ beinahe auszuspucken. So, als hätte er etwas Falsches gegessen.
Es schmerzte, ihn so verzweifelt zu sehen.
„Aber Odin… Er ist bei dir. Er ist immer bei dir.“
„Odin. Er war nicht bei mir. Er hat mir dort unten nicht geholfen.“, protestierte er.
Es schien fast so, als würde er Odin verspotten.
Ich schluckte hart und zog zwei Runen aus dem Beutel.
Im schwachen Licht des Mondes fiel es mir schwer, sie zu erkennen.
Es war Fehu und Gebo.
Die Rune Odins und die Rune, die für das Geschenk oder die Gabe stand.
Odin war also noch immer auf seiner Seite.

„Thorstain, bitte mach Hand auf.“, bat ich ihn.
Er tat es sofort.
Ich legte ihm die beiden Runensteine in die Hand und schloss seine Hand darum, so, dass die Steine fest in seiner Hand lagen.
Spürte er die Kraft Odins bereits?
Er musste daran glauben.
Er musste die Hoffnung zurückgewinnen.
Doch Thorstain lachte nur.
„Was soll ich damit?“, fragte er. „Das sind nur Steine.“
„Machst du dich über Odin lustig?“
Es machte mich wütend.
Wie konnte er es wagen?
Es war Odin, der Vater aller Götter. Der Allvater. Unser aller Vater.
Und er, Thorstain, wagte es wirklich, über ihn und seine Runensteine zu lachen?
Das ging zu weit.

„Er hat mir dort unten nicht geholfen. Nur mein Schwert… Nur das konnte mir helfen.“
Ich warf einen Blick auf sein Schwert.
Es sah seltsam aus…War seltsam geformt, etwas schief, abgerundet.
Außerdem ging eine komische Aura von ihm aus. Das spürte ich sofort.

Ich beobachtete Thorstain noch etwas. Dabei musste ich feststellen, dass er mit seinem Schwert sprach.
Ich wand mich an Ragnar.
„Er spricht mit Schwert. Ist nicht gut. Etwas stimmt nicht mit ihm.“
In der Ferne vernahm ich ein Lachen, das näher kam.
„Anastasya. Du müsstest doch am Besten wissen, dass es nicht schlimm ist, mit leblosen Gegenständen zu sprechen.“
Akri.
Es war Akri.
Ich erkannte es sofort.
Was machte er hier?
Und warum war er in der Gestalt von Akri hier?
Was hatte er angestellt?
„Akri.“, sprach ich sofort. „Was ist passiert?“
„Was soll passiert sein?“, fragte er.
„Was hast du gemacht?“
Er schüttelte den Kopf.
„Ich kann nicht frei sprechen.“
Ich nickte seufzend. Hier waren zu viele Leute.
Erst, als ich ihn noch einmal fragte, verstand ich, dass es nicht wegen der Leute war.
Er konnte nicht frei sprechen, weil der Mann mit dem Hammer zuhören konnte.
Sollten wir also warten, bis er schlief?
Bekam er dann nichts mehr mit?
Was hatte Akri überhaupt schlimmes gemacht, dass der Mann mit dem Hammer es nicht wissen durfte?

Akri schlug vor, in Richtung Wald zu gehen.
Wir liefen über die Wiese und ich sah, wie Tahn den leuchtenden Malachit anstarrte.
Remus saß direkt neben ihm im Gras.
„Nicht anfassen.“, warnte ich die beiden. „Ist nicht gut. Ist böser Stein.“
Kurz drehte ich mich zu Batras um und beobachtete, was er dort tat.
Dann wollte ich mit Akri weiter in Richtung des Waldes.
Doch als ich mich umdrehte, sah ich, dass Tahn auf dem Boden lag und von der Lady von Bern versorgt wurde.
„Was hast du gemacht?!“, fragte ich ihn wütend.
Eigentlich brauchte er mir keine Antwort zu geben. Ich wusste schon, was er getan hatte.
„Ich habe den Stein angefasst.“, erwiderte er und klang beinahe schuldbewusst.
Seufzend folgte ich Akri.

Wir blieben auf einer Lichtung stehen.
Von hier aus konnte man unzählige Sterne sehen.
„Da war eine Sternschnuppe.“, erklärte Akri.
„Wo?“, fragte ich sofort und sah mich um.
Ich sah nicht, was er meinte.
„Wo hast du denn hingeschaut?“, fragte er mich.
„Nach oben?!“. Was für eine seltsame Frage. Wo sollten denn sonst Sterne sein?
Akri begann zu lachen und es fühlte sich an, als würde er sich über mich lustig machen.

„Es wird kalt.“, sprach Akri und sah weiterhin in den Himmel.
„Kalt?“, fragte ich nach. Mir war nicht kalt. Es war angenehm. In der Heimat war es wesentlich kälter.
„Überleg einmal wo ich herkomme, Anastasya.“
„Da. Hast du Recht. Ist in Wüste immer sehr warm, eh?“
„Ja, schon.“
Vor einiger Zeit hatte er einmal gesagt, dass er mich dorthin mitnehmen wollte.
Ob er es noch wusste?
Vermutlich nicht.
Dabei hätte ich so gerne gewusst, was er meinte… Wie er gelebt hatte… Wie anders es war… Und wie warm es dort wirklich war.

Wir liefen zurück und verließen den Wald wieder.
Ich sah, wie Tahn und Remus am Boden lagen.
Was hatten sie nun wieder angestellt?
Man konnte sie wirklich keinen Augenblick aus den Augen lassen.

Die umstehenden Menschen erzählten mir, dass die beiden einen Apfel gegen den Malachiten geworfen hatten und den Apfel dann gegessen hatten.
Ich schlug mir die Hand vor die Stirn.
Das war zu viel.
Wie konnten sie nur so dämlich sein?
Eigentlich hatte ich gehofft, dass sie ihre Lektion gelernt hatten, als sie den Stein angefasst hatten.
Zumindest Tahn.
Doch leider hatten sie mich vom Gegenteil überzeugt.

Wieder tauchten Schatten auf und wir mussten kämpfen.
Mehr und mehr Leute wurden von den Schatten verletzt.
Batras kam schon an seine Grenzen.
Mit dem Tränke brauen kam er kaum hinterher.

Ich sah, dass Ares und auch Tahn verletzt waren. Sie saßen auf einer der hölzernen Bänke im Zelt.
Irgendwie musste ihnen doch geholfen werden.

Ich nahm meinen Runenbeutel heraus, kniete mich vor Ares und begann, Odin um seine Hilfe zu bitten.
Nacheinander schrieb ich Isa, Algiz und Laguz auf den Verband und sprach für jede einzelne Rune zu Odin.
Ich hoffte, dass er mich erhören würde.

Als ich fertig war, befahl ich Ares, nicht zu kratzen.
„Es wird jucken, aber du darfst nicht kratzen, sonst reißt du Wunde wieder auf.“, sprach ich zu ihm.
Mir war etwas schwindelig, aber ich schaffte es, seine Hände festzuhalten.
Es würde nicht mehr lange dauern, bis es gut genug verheilt war.
Doch ich bemerkte, dass auch Tahn starke Schmerzen hatten.
Ich bat umstehende Leute darum, Ares vom Kratzen abzuhalten.
Dann kümmerte ich mich um Tahns Verletzung.

Ich saß in einem Haus.
Es kam mir bekannt vor.
Nach einem kurzen Blick aus dem Fenster wusste ich auch, wo ich war.
Es war das Haus vom Mann mit dem Hammer.
Mitten in der Wüste.
Und er, der Mann mit dem Hammer, saß dort, saß direkt vor mir.
Er schüttelte den Kopf und wirkte irgendwie enttäuscht.
„Warum bist du wieder hier?“, fragte er mich.
„Ich weiß nicht.“, erwiderte ich. Es war die Wahrheit. Ich wusste nicht, wie ich hierhergekommen war.
„Du musst doch einen Grund haben.“
Ich dachte kurz darüber nach.
„Ich bin schuldig.“, gab ich zurück. „Ich habe die Runen aufgeladen.“
„Nein, Anastasya, es ist nicht deine Schuld.“
Er überreichte mir eine Tasse. Darin befand sich ein dampfendes, schwarzes Getränk.
Ich hatte es schon einmal hier getrunken. Der Geruch kam mir bekannt vor.
Ich trank ganz langsam, weil das Getränk so heiß war. Doch es gefiel mir. Es schmeckte gut.
„Renn nie wieder weg.“, bat er mich. „Es ist nicht gut. Es macht es schwieriger, dir zu helfen.“
Ich nickte langsam.
„Da. Ich werde versuchen.“, gab ich zurück.
„Er wird dich gleich zurückholen. Und es wird dir besser gehen.“
Wieder nickte ich.
Eigentlich wollte ich mich bedanken, doch ich schaffte es nicht.

Ich erwachte.
„Renn nicht mehr weg.“, bat nun auch Akri mich.
Ich nickte langsam.
„Wenn etwas ist, dann geh in deine Hütte in Falkenhain. Lass niemanden herein. Ich und ‚er‘ werden nicht da sein. Wir werden nicht um Einlass bitten. Du musst niemanden reinlassen.“, erklärte er mir.
Ich dachte an die Hütte in Falkenhain.
Sie war mein Zufluchtsort.
Warum war ich nicht öfter dorthin geflohen?
Schließlich stand sie immer für mich offen.
„Habt Dank.“, wisperte ich leise.
Ich war Akri so dankbar.

Akri erhob sich und lief zu ein paar anderen Leuten, die etwas von ihm wollten.
Rhea kam zu mir.
„Du warst wieder im Wald.“, erklärte sie mir.
„Im Wald?“, fragte ich verwirrt. Wieso war ich im Wald?
„Du bist einfach weg gelaufen. Ich glaube, du hast dich überanstrengt.“
Ich dachte darüber nach.
In meiner Erinnerung flackerte ein kurzes Bild auf.
Breeg.
Wieso hatte ich ihn im Kopf?
Er war doch gar nicht da?
War es nur ein Traum gewesen?

Langsam erhob ich mich und sah, dass Tahn und Marder sich gegenüber standen.
Sie schienen, miteinander zu streiten.
Marder schlug ihn, Tahn schlug zurück.
Ich dachte schon, dass es in einer Prügelei enden würde.
Auf einmal nahm Marder eine Schusswaffe aus seiner Tasche und zielte auf Tahn.
Ohne länger darüber nachzudenken drückte er ab.
Die Kugel erzeugte einen lauten Knall.
Dann war es Tahn, der laut aufschrie.
Die Kugel hatte ihn getroffen.
Es dauerte nur einen kurzen Augenblick, dann sah ich, wie Blut aus Tahns Knie austrat.
Marder hatte perfekt getroffen.

Ich hockte mich schnell nieder, nahm einen Verband aus der Tasche und begann, die blutende Wunde zu verbinden.
Die Kugel war durch das Bein durch geflogen und hatte so einen glatten Durchschuss erzeugt.
Doch das Blut wollte nicht aufhören, auszutreten.
Ich versuchte also, die Wunde so fest wie möglich zu verbinden, damit Tahns Blut in seinem Körper blieb.
Als ich endlich fertig war, stritten sie sich schon wieder.
Marder drohte, Tahn direkt ins Gesicht zu schießen, doch ich stellte mich dazwischen.
Ich konnte es nicht zulassen, immerhin musste Tahn seine Frau finden.
Marder hatte keinen Grund, auch, wenn er aus Heimat kam.

„Anastasya, könntest du aufhören, dich dazwischen zu stellen? Kein Wunder, dass du ständig verletzt bist.“, kam es auf einmal von Akri. Wo er herkam, wusste ich nicht.
Doch ich wartete noch, bis Marder seine Waffe wieder gesenkt hatte.
Tahn hatte ihm doch nichts getan.

 

Die Schatten kamen wieder.
Doch diesmal griffen sie nicht direkt an.
Sie knieten sich nieder, knieten sich vor ein paar Kerzen.
Die Kerzen entzündeten sich und auf mich wirkte es wie ein obskures Ritual.
Was sollten wir tun?
Sie aufhalten?
Kämpfen?
Die Krieger schlugen mit ihren Waffen auf die Schilde.
Ich hoffte, dass es die Schatten nicht erzürnen würde.
Denn sie waren nicht schwach, ganz im Gegenteil.

Auf einmal trat aus der Dunkelheit eine Frau hervor.
Das musste die Puppenspielerin sein, von der alle gesprochen hatten.
Sie redete, doch ich verstand ihre Worte nicht.
Hinter ihr trat ein riesiges Vieh aus der Dunkelheit hervor.
Es hatte riesige Klauen und kam direkt auf uns zu.

„Anastasya. Komm her.“, rief Marder mich zu sich.
Er deutete auf sein Schild, das er auf der rechten Seite trug.
Ich sollte mich also dahinter stellen.
Wir kämpfen gemeinsam.
Immer, wenn er sein Schild etwas nach vorne zog, rannte ich an ihm vorbei und bekämpfte die Schatten.
Danach nutzte ich sein Schild als Deckung.
Es gelang uns gut, nur leider beschwor die Puppenspielerin starke Windstöße, die und zu Boden stießen.
Wir rappelten uns immer wieder auf und kämpften weiter.
Immerhin war sie unser Ziel gewesen.
Die Puppenspielerin… Die Schatten gehörten zu ihr.
Und wenn wir sie besiegen würden, dann waren wir gerettet.

Ein Schatten kam direkt auf mich zu.
Ich lief rückwärts, versuchte dabei, ihn zu treffen, doch es gelang mir nicht.
Er traf mich am Bein und ich blieb liegen.
Ich schaffte es nicht mehr, aufzustehen.
Die Schmerzen waren unerträglich.

Es dauerte eine Weile, bis mich Rhea dort fand.
Sie zog mich aus dem Gebüsch heraus und wusch meine Wunden aus.
Ich schaffte es nicht mehr, weiter zu kämpfen.
Sie trug mich etwas weiter vom Kampfgeschehen weg und ich setzte mich nieder.

Irgendwann kamen die Kämpfer zu mir.
Die Puppenspielerin war besiegt worden.
Wir hatten es also geschafft.
Doch ich war erschöpft.
Die Wunden brannten zu stark.
Ich lehnte den Kopf zurück und schlief bald vor Erschöpfung ein.

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