Auch zum Hören…

Ich sehe mich selbst.
Das ist seltsam.
Ich sehe mich tatsächlich von vorne. So, als würde ich in einen aufrechten Teich schauen.

Ein Spiegel. Genau. Das ist das Wort, was mir nicht einfallen wollte.
Ich erinnere mich an etwas mit Spiegeln, aber ich weiß nicht, an was.
Als ob die Erinnerung irgendwo in einer grauen Wolke herumschwirrt.
Sie versteckt sich.
Nur vor wem?

Ich sehe mich. So viel weiß ich.
Aber warum?
Und warum sehe ich mich so oft?
Wenn ich mich zur Seite drehe, sehe ich mich auch.
Selbst, wenn ich nur den Kopf drehe, sehe ich mich. Zwar von der Seite, aber das ändert nichts.

Vielleicht oben? Unten?
Ich.
Schon wieder.
Das ist wirklich komisch.
Man sieht von oben und unten wirklich nicht schön aus.

Vorsichtig strecke ich meine Hände aus.
Etwa bei der Hälfte berühre ich etwas Kaltes.
Vor mir. Neben mir. Hinter mir.
Ich knie. Wie konnte ich das erst jetzt feststellen?
Warum knie ich?
Ich strecke die rechte Hand nach oben.
Kalt.
Deswegen knie ich.
Es ist zu wenig Platz zum Stehen.

„Hey Anastasya?“, höre ich eine Stimme.
Ich blicke mich um, sehe aber nur mich selbst.
Und trotzdem kenne ich die Stimme.

„Anastasya? Was ist los?“.
Eine weitere Stimme.
Auch bekannt.
So viele Menschen sprechen.
Können sie mich sehen? Und warum sehe ich sie nicht?

„Da? Ich höre Leute, aber ich sehe nicht…“, erwidere ich unsicher.
Was geht hier vor sich?

Auf einmal spüre ich etwas Warmes an meiner Hand.
Es ist anders als diese kalte Spiegeloberfläche… Aber es sieht genauso aus.

„Wo seid ihr denn?“, frage ich weil sie nicht aufhören zu reden.
„Wir sind doch direkt hier. Vor dir.“, antworten sie. „Was siehst du denn?“
„Mich.“, sage ich.
Es ist komisch.

„Spiegel?“, fragt Jemand.
Sie unterhalten sich über mich.
Es ist komisch, auf all diese Stimmen zu achten, die ich zwar hören, aber nicht zuordnen kann.

Je länger ich mich anschaue, desto seltsamer sehe ich aus.
Die Augen passen irgendwie nicht.
Und diese seltsame Narbe auf der Stirn.
Das kann also nicht mein wahres Ich sein, das ich da sehe.
Nur was dann?
So wie ein Irrlicht, nur mit Bildern? Will es mich verwirren?
Nur wozu?

„Anastasya? Du siehst dich selbst, richtig?“
Wieder eine vertraute Stimme.
Ich erkenne ihn an seiner Sprechweise.
„Schau dir mal in die Augen.“
„Habe ich schon. Ist seltsam.“, antworte ich.
Die Stimme gehört zu Akri.

„Was, wenn du dich mit
voller Wucht dagegen wirfst?“
Ein Vorschlag von einer anderen Stimme.
„Weiß nicht.“, sage ich.
Es kommt mir komisch vor. Aber ich versuche es.
Ich strecke die Hände gegen die kalte Oberfläche… Ich will mich schließlich
nicht verletzen.
Dann werfe ich mich mit dem Körper dagegen.
Etwas passiert.
Ich liege. Meine Beine sind angewinkelt, weil da nicht mehr Platz ist.
Es hat funktioniert. Aber nicht so, wie alle gehofft haben: Ich bin immer noch
gefangen.

„Können wir den Spiegel zerschlagen?“
Schon wieder eine andere Stimme.
Sie kommen mir alle bekannt vor. Aber ich kann mich nicht erinnern.

Dann setzt der Schmerz ein.
Fast so, als hätte etwas mein Gesicht erwischt.
Nein.
Etwas hat mein Gesicht erwischt.
Meine Lippe ist aufgeplatzt und ich schmecke Blut.
„Au! Was soll das?!“, fluche ich, kann den Angreifer aber nicht sehen.
Ich sehe nur mich selbst. Blutend.

„Ich habe eine Idee.“
Eine Frau. Auch diese Stimme kenne ich.
Sie murmelt etwas. Ich erinnere mich… Erinnere mich an Stürme, Kälte, Wind und Gewitter. An helle, bunte Blitze.

Mein Kopf knallt gegen … was auch immer das ist.
Mir wird schwarz vor Augen, aber mein Körper schafft es irgendwie, bei Bewusstsein zu bleiben.
Aua.
Mein Kopf schmerzt.
Was auch immer das für eine Idee gewesen sein sollte – sie war schlecht.

„Was soll das?!“, frage ich.
Langsam macht es mich wirklich sauer. Warum bin ich überhaupt hier eingesperrt?

Von Weitem höre ich Schritte, die sich nähern.
Ich reibe meinen Kopf. Das wird bestimmt eine Beule.

Ich betrachte mich im Spiegel. Hm, ich sehe ganz schön zugerichtet aus.

Und schon wieder ist da eine dieser seltsamen Erinnerungen. Nur warum?

Mir tut alles weh.
„Vielleicht sollten wir sie von dieser nassen Wiese wegtragen.“, überlegt Jemand laut.
Was für eine nasse Wiese? Ich fühle nur die Kälte dieser seltsamen Spiegel-Oberfläche.
Auf einmal bewegt sich etwas.
„Du nimmst die Beine, ich die Arme.“
Was?
Wie?
„Ey was soll das?“
Etwas ist in meinem Gesicht. Die Spiegeloberfläche. Ich sehe nur meine Augen. Der Spiegel drückt gegen meinen Mund. Deswegen spreche ich komisch.
„Was macht ihr?!“, frage ich weiter, aber wahrscheinlich versteht man mich nicht wirklich.

Dann verschwindet die Oberfläche wieder aus meinem Gesicht.
Ich liege.
Ich habe keine Lust mehr, mich anzusehen.
Also schließe ich die Augen.
Das ist alles, was ich tun kann.
Vielleicht kann ich ja schlafen. Vielleicht träume ich von Walhalla.


Als ich erwache, liege ich auf dem Boden.
Mein grüner Mantel liegt auf mir und hält mich einigermaßen warm.
Ich spüre einen pochenden Schmerz in meinem Kopf… Und an meiner Wange.
Habe ich mich zu sehr mit diesen Schatten geprügelt?
Ich bin mir nicht mehr sicher.

Langsam rapple ich mich auf. Es ist bereits sehr dunkel.
Ich drehe mich um und sehe Tahn, Einarr und Rhea.
„Mhhm.“, gebe ich von mir. Irgendwie fühle ich mich nicht gut.
„Kannst du uns sehen?“, fragt Einarr mich.
„Da. Natürlich?!“, gebe ich zurück. Was für eine Frage. „Aber ich hatte ganz komischen Traum.“
„Aha?“
„Habe ich geträumt, in Spiegel zu sein.“, erkläre ich.
Das war wirklich merkwürdig.
„Konnte ich nicht weg oder raus. Konnte nur mich sehen. Aber habe ich eure Stimmen gehört. Komisch, oder?“
Ich kann beinahe darüber lachen. Manchmal träume ich wirklich wirres Zeug.

Die Anderen schauen mich an. Überhaupt nicht belustigt.
Verstehen sie plötzlich keinen Spaß mehr?
„Anastasya, das war kein Traum.“

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