Ich erwachte früh am Morgen.
Das Licht der aufgehenden Sonne schien in die Hütte.
Langsam richtete ich mich auf.
Ich hatte recht gut geschlafen, konnte mich aber an keinen Traum erinnern.
Immerhin kein seltsamer Albtraum.

Ich nahm meine Waffen wieder an mich und suchte nach dem Brief.
Es würde noch ein weiter Weg vor uns liegen.
Aus meiner Tasche holte ich den Brief und sah mir die Karte noch einmal an.
Terra Incognita.
Das Land kannten Tahn und ich ja bereits.
Doch diesmal würde uns der Weg weiter in den Norden des Landes führen.
Was Nørskal wohl für ein Ort war?
Ich war wirklich neugierig.

Tahn erwachte als ich mich gerade für die Reise bereit machte.
Ich dachte über unseren Weg nach.
Im Wald konnten wir meinen Bogen holen.
Auf einen Drachen zu schießen erschien mir wesentlich sicherer, als ihm zu Nahe zu kommen.
Wobei ich nach wie vor nicht einschätzen konnte, wie groß so ein Drache eigentlich war.

„Tahn, wir gehen gleich los, da?“
Er sah mich an.
„Ah! Drache töten? Kupfer?!“, fragte er und ich nickte.
Komisch, dass er das nicht vergaß.
Ich konnte nur hoffen, dass er nicht direkt und vor allem alleine auf den Drachen losgehen würde.
Vermutlich musste ich einfach gut genug auf ihn aufpassen…
Das hatte beim Castell Lazar nicht sonderlich gut funktioniert…
Doch jetzt würde ich darauf achten, dass ihm niemand eine Birne gab.

„Was sollst du nicht essen?“, fragte ich ihn zur Sicherheit.
„Ich soll keine Birne essen.“, erwiderte er.
Ich nickte.
„Gut.“
Das schien er sich wirklich zu behalten.
Blieb also nur zu hoffen, dass er es auch noch wusste, wenn wir dort waren und ihm Jemand eine Birne hinhielt.

Unser Weg führte uns vorbei an der großen Stadt.
Sie wirkte noch ruhig und leer.
Die gepflasterten Wege wirkten so künstlich und hell.
So falsch.
Sie würden mich nicht auf den richtigen Weg bringen, so viel war sicher.

Diese Stadt erschien wie eine riesengroße Gefahr.
Wenn man einmal drin war, gab es kaum einen Ausweg, kein Versteck.
Die Wälder waren mir lieber.
Der Norden.
Meine Heimat.
Manchmal vermisste ich sie.
Doch dann? Was wäre dann, wenn ich dort wäre?
Wenige Menschen.
Wenig Essen. 

Wir liefen weiter, ließen die Stadt hinter uns.
Ich fühlte mich wach, war aber in Gedanken versunken.
Es dauerte nicht lange, bis wir endlich wieder ein paar kleinere Wälder erreichten, die sich bald zu einem großen Wald zusammenschlossen.
Hier ging es mir schon besser.
Ich musste meinen Bogen und meinen Köcher holen.
Wieder einmal hatte ich sie im Wald gelassen.
Es war schon seltsam, wie schnell ich von einer Jägerin zu… Was-Auch-Immer geworden war.
Was war ich eigentlich?
Wieder hörte ich diesen Mann sprechen, der mit mir gewürfelt hatte.
„…Und was seid Ihr? Ihr seht nicht aus wie ein Mensch.“

Ich sah in den Himmel.
Dafür, dass es Winter war, war es wirklich warm.
Das musste an diesen Landen liegen.
Der Süden war wahrlich seltsam. Im Sommer nicht einmal auszuhalten.
Und im Winter… Immer noch wirklich warm.
Doch wollten wir nicht ohnehin in Richtung Norden?
In den Norden der Terra Incognita?

Tahn trug noch ein paar Äpfel bei sich, doch ich war mir nicht sicher, wie lange sie noch reichen würden.
Unterwegs noch welche zu finden war unmöglich.
Die Bäume trugen nicht einmal mehr Blätter.
Er würde sicherlich quengeln, wenn er keine Äpfel mehr hatte…
Ich musste mir wohl etwas überlegen, um ihn dann zu beruhigen.

Der Tag endete viel zu schnell. Es wurde dunkel. Und kälter.
„Schlafen wir wieder im Wald?!“, fragte er und sah mich trotzig an.
Das wollte er sicher nicht.
Doch ich fand auch keine Taverne, kein Haus.
„Wie müde bist du?“, fragte ich ihn darauf.
„Mh.“, erwiderte er.
„Wir können noch weiter laufen. Dann sind wir schneller da und können im Warmen schlafen.“
‚Hoffe ich.‘, fügte ich in Gedanken hinzu.
Ich wusste ja nicht einmal, was dort passieren würde.
Eigentlich klang es einfach nur gefährlich.
Gefährlich, aber spannend.

Ich sah zu den Sternen.
Mir fiel etwas auf.
Hatten die zwölf Rauhnächte etwa schon begonnen?
Mein Körper begann zu zittern.
Doch mir war nicht kalt.

Wir liefen weiter durch den Wald.
Ich sah mich um.
Immer und immer wieder.
Warf Blicke in den Himmel, sah mich auch nach hinten um.

„Was ist?“, fragte Tahn.
Es war ihm offensichtlich aufgefallen.
Doch vermutlich wusste er nicht, wonach ich Ausschau hielt.
Und wahrscheinlich war das auch besser so.

„Tahn. Wir können nicht hier draußen schlafen. Lass uns Höhle oder Taverne suchen.“, erwiderte ich.
Er wirkte etwas verwirrt, doch widersprach nicht.
Es schien ganz in seinem Sinne zu liegen.

Wir fanden keinen Unterschlupf.
Ich beschleunigte meine Schritte und Tahn murrte.
Vermutlich war er doch müde.
Vielleicht hatte er nicht gut geschlafen.
Doch wir mussten einen Unterschlupf finden.
Wir durften nicht im Freien schlafen.
Oder erst, wenn es hell wurde.
Vermutlich war das die bessere Idee.

„Tahn… Wir wollen doch Kupfer verdienen, eh? Dann müssen wir schnell dort ankommen. Und dann fahren wir mit Schiff zu denen, die wissen wo deine Frau ist.“
Ich versuchte ihn zu motivieren.
Es gelang mir zumindest etwas.
Er lief weiter.
Wir konnten unseren Weg fortsetzen.
Ich sah und hörte nicht, wovor ich mich fürchtete…
Bis zum Morgenrot.

„Wann sind wir da?“, fragte Tahn murrend.
Die Sonne war bereits am Horizont zu sehen.
Wir hatten die Nacht überlebt.
Sie waren nicht aufgetaucht.
Nun konnten wir schlafen.
„Tahn. Lass uns Höhle suchen. Mache ich Feuer, dann ist nicht zu kalt.“
Es tat mir irgendwie Leid, ihn immer weiter zu treiben, nur, um dann doch im Wald zu schlafen.
Dabei wollte er das doch gar nicht…
„Schlafen wir doch im Wald?“, fragte er.
Er wirkte ziemlich unglücklich damit.
Ich seufzte.
„Ist keine Taverne in Nähe…“
Immerhin war hier kein Schnee.

Wir fanden bald eine verlassene Holzhütte.
Das war zumindest besser als eine Höhle.
In der Mitte befand sich eine Feuerstelle, die bereits schwarz vor Ruß war.
Ich legte meine Taschen, den Bogen und den Köcher ab und machte mich auf den Weg, um etwas Holz zu holen.
Unter einigen gefällten Stämmen fand ich trockenere Äste und nahm sie mit.
Allzu viel würden wir ohnehin nicht benötigen.
Ein bisschen trockene Rinde fand ich ebenfalls.

Ich stapelte alles in der Feuerstelle auf und entfachte ein Feuer.
Es wärmte, doch es würde nicht ewig brennen.
Besser also, wenn wir schnell einschliefen.

„Was ist denn?“, fragte Tahn mich.
Was meinte er?
„Hm?“
„Warum schlafen wir am Tag?“, fragte er. „Du bist komisch.“
Ich zuckte mit den Schultern.
Sollte ich ihm davon erzählen?
„Lass uns schlafen.“, lenkte ich von seiner Frage ab.
Es war vermutlich nicht besonders nett, aber es war besser, wenn er nicht davon wusste.

Ich rollte mich in meinen Mantel ein.
Tahn legte sich auch in direkte Nähe des Feuers.
Ich schlief schnell ein.

Bald erwachte ich.
Die Sonne war beinahe wieder untergegangen.
Das Feuer war erloschen.
Ich schnappte mir erneut den Brief, betrachtete die Karte.
Wie weit war es noch?
Es war wirklich schwierig einzuschätzen und ich hoffte, dass wir dem richtigen Weg folgten.

Ich weckte Tahn vorsichtig.
Wie immer wenn er erwachte sah er sich zunächst verwirrt um.
Doch dann erkannte er mich.
Zum Glück.
„Tahn. Wir müssen weiter.“, erklärte ich ihm.
Es gefiel mir nicht, mitten in der Nacht nach draußen zu müssen, doch was blieb mir für eine Wahl.

Unser Weg führte uns weiter durch Wälder, über Felder und Wiesen.
Es wurde immer trostloser.
Der beinahe volle Mond tauchte alles in ein seltsames Licht.
Ich sah mich weiter um.
Vor allem die offenen Felder machten mich nervös.
Hier konnte man sich nicht verstecken.
Es gab keine Bäume, keine Hügel oder Höhlen, die einem Schutz bieten konnten.
Und was war mit Sleipnir?
Das achtbeinige, stolze Pferd von Odin?
Der Sohn von Loki?
Von mir hatte er noch keine Nahrung erhalten in diesen zwölf Rauhnächten.
Das bedeutete wahrlich nichts Gutes für mich.
Ich konnte nur hoffen, dass er mir nicht begegnen würde.
Umso wichtiger, dass wir diesen Treffpunkt schnell erreichten.

Kurz vor Anbruch des Tages vernahm ich es dann.
Wie ein Sturm mit lautem Murren.
Das Schreien und Rufen war überall zu hören.
Ich blieb stehen und erstarrte, sah mich um.
Wo?
Wo waren sie?
Waren sie gekommen, um mich zu holen?
Wollten sie sich rächen?

„Tahn!“, zischte ich. „Wir müssen weg von hier. Wir müssen… uns verstecken!“
Tahn sah sich um.
„Was ist denn?“, fragte er verwirrt.
„Hörst du sie nicht?“
Ich starrte ihn an.
„Was? Den Wind? Doch, den höre ich.“, gab er zurück.
„Das Schreien! Das Rufen! Die wilde Jagd ist hier!“
Ich zog ihn mit mir und lief los.
Rannte so schnell ich konnte.
Ich traute mich nicht, mich umzudrehen.
Wurde das Schreien und Rufen leiser?
Oder übertönte mein Herz die Geräusche?
Es schlug so laut in meinen Ohren…

Wir fanden eine Höhle.
Ich zog Tahn hinein.
Er verstand nicht, folgte mir aber.
„Was ist denn?“, fragte er erneut.
„Die wilde Jagd.“, keuchte ich atemlos.
Er schien sie gar nicht zu kennen.

Stampfende Hufe. Ich konnte es genau hören.
Das waren sie.
Sie waren nah.
Viel zu nah.
Ich kroch in die hinterste Ecke der Höhle.
Mein Körper zitterte.
Ich atmete schwer.
Sie würden meinen Atem hören.
Mein Keuchen.
Ich war nicht sicher.
Wir waren nicht sicher.

Es fühlte sich an, als würden selbst die Berge beben.
„Was ist los?“, fragte Tahn noch einmal.
Er ließ nicht locker.
Wie sollte ich das nur erklären…?
Ich wusste ja, dass sein Glaube ein anderer war…
Also musste ich es etwas anders erklären.

„Es ist Winter, da?“
Tahn nickte.
„Und in Winter gibt es eine Zeit, in der… Geister-Reiter durch Lüfte fliegen.“, begann ich zu erklären. „Der mächtigste Mann, Odin, führt sie an… Geister sind Menschen, die gewaltsamen oder unglücklichen Tod erfahren haben… Und man gibt Pferd von Odin Nahrung. In Zeit von Rauhnächte soll man in Haus bleiben. Kann sonst gefährlich sein.“
Ich wusste nicht, ob er es verstanden hatte.
Ich hatte die wilde Jagd doch selbst noch nie gesehen oder gehört.
Bisher war ich immer Zuhause gewesen und hatte brav Nahrung vor die Tür gestellt, so, wie es jeder in meiner Heimat tat.
Doch die Geschichten, die man gehört hatte… Sie waren fürchterlich.
Was mit denen geschah, die die wilde Jagd verspotteten oder sie zu lange ansahen…
Darüber wollte ich gar nicht nachdenken.

„Nahrung? Für ein Pferd?“, fragte Tahn. „Was ist mit Äpfeln?“
Er holte zwei Äpfel aus seinem Beutel und reichte sie mir.
War das eine gute Idee?
Dadurch hatte er weniger Äpfel.
Doch auf der anderen Seite…?
Was brachte es uns, wenn die wilde Jagd uns holte?
Dann würde Tahn so schnell gar keine Äpfel mehr essen.
Vielleicht würden wir es auch mit ein paar weniger Äpfeln schaffen.
„Danke.“
Seine Ideen gefielen mir wirklich.
Und Äpfel würde Sleipnir sicherlich nicht verschmähen.
Davon abgesehen hatten wir auch nicht mehr…
Vielleicht wusste Odin das und vielleicht würde er uns deshalb auch verzeihen.

Ich legte die Äpfel vor die Höhle, kniete mich nieder.
„Heil dir Odin, der du so viele Masken trägst. Deine wilde Jagd ist hier bei uns. Wir tragen als Nahrung nur Äpfel bei uns also bitte ich dich, sie anzunehmen für Sleipnir, dein Pferd, Lokis Sohn. Bitte verüb keine Rache an uns. Ich bin deine Dienerin, Odin und ich handle in deinem Willen. Und auch Tahn würde nichts tun, um dich zu verärgern.“
Zuletzt hatte ich in Moordorf zu Odin gesprochen.
Es war seltsam.
Hatte er mir nicht eine beschwerliche Reise vorhergesagt?
Einen Vertrauensbruch noch dazu?
Bisher war nichts dergleichen geschehen.
Die Reise mit Tahn war zwar nicht einfach gewesen, aber beschwerlich würde ich sie auch nicht nennen.

Danach kroch ich wieder in die Höhle.
Tahn schien bereits zu schlafen.
Ich legte mich dazu, legte meinen Mantel über mich und schlief ebenfalls ein.

Als wir erwachten, waren die beiden Äpfel weg.
Hatte Odin meine Gebete tatsächlich erhört?
Konnten wir unsere Reise nun sorglos fortsetzen?

Tahn und ich liefen weiter.
In der Ferne sahen wir bereits die Grenzen zu dem kargen Land, das sie Terra Incognita nannten.
Der Treffpunkt konnte also nicht weit sein.

Bei diesem Treffpunkt sind sicherlich noch viele andere leckere Menschen…

Ich musterte Tahn.
Genau wie er…
Ich schüttelte meinen Kopf.
Seltsame Gedanken, die ich abzuschütteln versuchte.
Wollten wir nicht in den Norden, um diesen Drachen zu sehen, von dem Kjer geschrieben hatte?
Wollten wir nicht Kupfer verdienen, um dann weiter zu reisen?
Wir hatten doch bereits den Freifahrtsschein auf Carmens Schiff.
Worüber dachte ich also nach?
Es war nicht mehr weit.
Der Treffpunkt musste einige Schritte weiter in Richtung Norden liegen…
Und von dort aus würde er uns in die Terra Inkognita führen.
„Tahn. Ich glaube wir sind bald da.“, erklärte ich ihm und zeigte zur Grenze. „Dort waren wir schon einmal… Auf dieser Burg. Castell Lazar.“
„Ja! Da hab ich dich kennengelernt!“, erwiderte Tahn.
Ich seufzte.
Immer noch keine Erinnerungen an davor?
Wäre auch zu schön gewesen…

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