Wir erwachten am frühen Morgen.
Das Tavernen-Gebäude war leer und draußen war es noch recht dunkel.
Als ich aufstand, wurden auch Tahn und Jespar wach.
Wir entschieden, nun unsere restlichen Sachen aus dem Wald zu holen und uns dann auf den Weg zu machen.
Natürlich mussten wir unterwegs noch ein paar Äpfel für Tahn sammeln.
Ich fragte mich, wie er im Winter klar kommen würde, wenn keine Äpfel mehr wuchsen.

Wir verließen die Mauern der Taverne und machten uns auf den schnellsten Weg in Richtung Wald.
Immerhin wollten wir die anderen Reisenden noch einholen.
Doch Tahn schien es noch immer nicht ganz gut zu gehen, er klagte über die beiden Wunden, die Marder ihm zugefügt hatte.
Es klang gar nicht gut, dabei hatten die Frauen doch gesagt, dass seine Wunden versorgt worden waren.
Konnte man wirklich niemandem mehr trauen?

Zwischen drei kleineren Bäumen hatte ich meinen Bogen und meinen Köcher versteckt.
Ich führte die beiden zu dem Ort, schnappte mir meine Sachen und schnallte den Köcher direkt an meinen Gürtel.
Es war seltsam, sich wieder so bepackt zu fühlen.
Aber irgendwie sorgte der Bogen auch für eine gewisse Sicherheit.
Wenn Feinde von weitem kamen, konnte ich sie erlegen, bevor sie zu uns kommen würden.

Auch Jespar hatte einen Teil seiner Ausrüstung im Wald versteckt. Also folgten wir ihm nun, damit auch er bestens ausgerüstet war.

„Wo finden wir Äpfel?“, fragte ich Tahn. Er musste sich damit ja am besten auskennen, immerhin hatte er sich auch in der Vergangenheit immer wieder Äpfel besorgt.
„Mh. Kaufen oder von einem Feld holen. Aber dann muss man immer vor dem Bauern wegrennen.“, murrte Tahn. Ihm schien es wirklich nicht gut zu gehen.
„Tahn? Ist Wunde nicht gut versorgt worden?“, fragte ich ihn.
„Ich weiß nicht… Wunde? Ach ja… Ja. Der hat auf mich geschossen.“
Ich seufzte.
Wenn er es bis zum Castell aushalten würde, dann würden wir dort mit Sicherheit einen Heiler finden, der sich seine Verletzungen einmal ansehen konnte.
Aber was, wenn nicht?
Ich wollte es nicht darauf ankommen lassen.
Noch schien Tahn ganz gut voran zu kommen, doch es war vermutlich besser, sich keinen Ärger mit einem Bauern einzuhandeln.
Aber Äpfel kaufen?
Beim letzten Mal, als ich einen Apfel gekauft hatte, musste ich ein Kupfer pro Apfel bezahlen.
Das war etwas viel…
Tahn verzehrte immerhin sehr viele Äpfel.
So viel Kupfer besaß ich vermutlich nicht einmal.

Bald erreichten wir einen kleinen Bauernhof.
Auf dem Feld standen tatsächlich ein paar Apfelbäume.
Und nun?
Mir musste doch irgendwas einfallen?
Und wenn wir den Bauern einfach ablenkten?
Das könnte funktionieren.
Ich sah mich um.
Besonders viele andere Menschen schienen hier nicht zu leben.
Es dämmerte zwar bereits, aber das sollte mich nicht aufhalten.
„Jespar, Tahn? Könnt ihr zu Bauer gehen und mit ihm reden? Irgendwas? Dann kann ich versuchen, Äpfel zu holen?“
Ich wollte nicht, dass Tahn in seinem Zustand rennen musste.
Doch mit einem Bauern zu reden, das würde er sicherlich schaffen.

Die beiden gingen los. Das kleine Haus des Bauern befand sich direkt am Feld. Wenn sie mit ihm redeten, würde er sich wohl kaum zum Feld umdrehen. Das hoffte ich zumindest.
Sonst musste ich einfach schnell sein.
Er würde mich hoffentlich nicht mit Jespar und Tahn in Verbindung bringen.
Aber warum auch?
Meine Heimat lag woanders, ich sah anders aus und redete anders.

Ich legte Köcher und Bogen oben im Wald ab.
Dorthin würde ich auch nach erfolgreicher  Tat wieder fliehen.
Doch Bogen und Köcher würden mich jetzt nur stören.
Ich wartete noch einen Moment ab, bis der Bauer vor die Tür kam.
Hoffentlich würde es funktionieren.

Ich lief los, kletterte über den Holzzaun und ging zum ersten Apfelbaum. Er war dem Wald am Nahsten und so fühlte ich mich einigermaßen sicher.
Was machte ich mir eigentlich für Sorgen?
Ich hatte schon gegen Schatten, jegliche Dämonen und Geister gekämpft.
Was für ein Problem würde denn da ein einfacher Bauer darstellen?
Doch andererseits wollte ich auch nicht für Aufruhr sorgen.
Ich wusste nicht, wie die Gesetze des Landes waren… Und ich wollte nicht hingerichtet oder auch nur gesucht werden. Darauf konnte ich gut verzichten.

Ich fand drei Äpfel und steckte sie in meine Tasche.
Wie viele würde Tahn wohl brauchen?
Am besten war es wohl, wenn ich mich beeilen würde.
Ich lief zum nächsten Baum.
Hier fand ich sogar ein paar mehr Äpfel. Ich nahm alle mit.
Je näher ich zum Haus des Bauern kam, desto mehr Äpfel fand ich… Aber desto näher war ich auch an der Gefahr.
Zum Glück hatte der Bauer noch nicht alle Äpfel geerntet.
Bei so vielen Bäumen, die er hatte, war es sicher auch eine ganz schöne Arbeit.
Vor allem, wenn er es alleine tun musste.

Tahn und Jespar warfen mir einen Blick zu.
War der Bauer nicht besonders gesprächig?
Sollte ich schnell wieder abhauen?
Wie viele Äpfel hatte ich gesammelt? Reichte das für unsere Reise?
Wenn nicht, dann mussten wir vor der Grenze noch einmal einen Bauernhof aufsuchen.
Ich lief los, lief so, dass ich die meiste Zeit von den Apfelbäumen verdeckt war.
So würde der Bauer mich hoffentlich auch nicht sehen, wenn er sich jetzt umdrehen würde.
Dann kletterte ich über den Zaun und rannte das letzte Stück bis zum Wald.
Dort lehnte ich mich an den Baum und schnappte nach Luft.
Das musste erst einmal reichen.
Konnten wir nun weiter reisen?

Tahn und Jespar liefen einen Umweg zu mir.
„Was war mit Bauer?“, fragte ich.
„Der war komisch.“, erwiderte Tahn. „Hat uns komisch angeschaut.“
Ich zuckte mit den Schultern.
Das erinnerte mich an die Reise zur Burg Grenzstein.
Als ich mit Bjorn durch die letzten Dörfer gereist war, hatten mich die ganzen Einwohner auch total seltsam angeschaut.
Ich wusste bis heute nicht, was sie für ein Problem mit mir hatten.

Nachdenklich kramte ich die Karte aus meiner Tasche.
Laut Jespar brauchten wir etwa fünf Tage für den Weg.
Doch wenn wir problemlos über die Grenze kamen, dann waren wir vielleicht sogar schneller.
Wir mussten die anderen Reisenden um jeden Preis einholen.
Ich blickte kurz in den Himmel.
Es war zwar einfacher, sich anhand der Sterne zu orientieren, doch die aufgehende Sonne half auch etwas, mir die Richtung zu weisen.
Bisher waren wir immerhin richtig gelaufen.

Unser Weg führte uns von nun an über offene Straßen.
Ich fühlte mich nicht besonders wohl, doch das galt scheinbar nur für mich.
Jespar und Tahn schien das gar nicht zu kümmern.
Aber ich hasste offene Straßen.
Jeder konnte einen sehen… Jeder konnte aus dem Hinterhalt angreifen.
Außerdem konnte man im Wald viel besser übernachten als irgendwo an einer Straße.

Doch hier gab es beinahe ausschließlich Straßen, Hütten und Felder.
Zwischendurch mal ein paar kleine Bäume, doch nichts, was man als „Wald“ bezeichnen konnte.

Je weiter wir liefen, desto mehr kam mir die Gegend bekannt vor.
Damals war es Frühling gewesen…
Und jetzt war es beinahe Winter.
Wahrscheinlich würden wir bald an Burg Grenzstein vorbei laufen.
Ich dachte an die ganzen Pestkranken… Ob sie mittlerweile ein Heilmittel gefunden hatten?
Die helfenden und die heilenden Hände sollten sich zusammenschließen.
Doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber nachzudenken.

Am nächsten Tag erreichten wir die Grenze.
Ein paar Männer hielten halbherzig Wache und schienen erst gar nicht mit uns reden zu wollen.
„Ich hab hier einen Passierschein von Quintus.“, erklärte Jespar und hielt einem Mann den Zettel vor die Nase.
Der Mann überflog den Zettel kurz.
„Quintus. Verwalter von Burg Grenzstein?“, fragte er dann nach.
Jespar nickte. „Ja.“
Der Mann schien etwas verwirrt zu sein. Er sprach kurz mit dem anderen Wachmann.
Dann ließen sie uns vorbei.
Wahrscheinlich hatten sie eher ein Problem damit, uns später wieder heraus zu lassen.
Doch das würden wir schon klären, wenn es soweit war.

Wir liefen also über die Grenze und betraten Terra Incognita.
Im Westen dieses Landes musste das Castell Lazar liegen.
Ich hoffte, dass der Tavernen-Wirt mich nicht betrogen hatte.
Eigentlich wusste ich ja, dass man fremden Leuten besser nicht trauen sollte…
Doch von wem hätte ich diese Informationen sonst bekommen können?
Vermutlich von niemandem.

Dieses Land war noch viel öder und unfruchtbarer als Anrea.
Es gab nur ein paar Felder, ganz viel trockenen Boden und wenige Bäume oder Sträucher.
Die Dörfer waren heruntergekommen und wirkten ganz so, als seien sie unbewohnt.
Je dunkler es wurde, desto weniger Menschen sah man auch auf den Straßen.
Sie flohen in ihre Hütten als die Dämmerung einsetzte.
„Haben Menschen Angst?“, fragte ich Jespar und Tahn.
„Sieht so aus.“, erwiderte Jespar.
Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte.
War es diese Krankheit?
Oder diese Wesen?
Diese Krieger in der Taverne hatten davon gesprochen.

Wir verbrachten die Nacht zwischen ein paar trockenen Sträuchern und Büschen.
Kurz vor dem Morgengrauen erwachten wir und setzten unsere Reise fort.

Ich machte mir Sorgen um Tahn.
Es sah ganz so aus, als hätte er Fieber bekommen.
Er lief uns noch nach, doch er sah wirklich krank aus.
Sein Gesicht wirkte auch deutlich blasser als sonst.
Außerdem murrte er noch immer über die Wunden.
Irgendetwas stimmte da nicht?
Etwa Wundbrand.

„Tahn. Ist nicht mehr weit. Wenn wir da sind, finden wir Heiler für dich.“, versuchte ich ihn zu motivieren.
Er musste noch durchhalten.
Es war sicherlich nicht mehr weit.

Bald erreichten wir eine kleine Gebirgskette, die auch auf der Karte eingezeichnet worden war.
Wir waren also wirklich fast an unserem Ziel.
Ich zeigte Tahn die Karte.
„Schau. Hier ist kleines Gebirge und See. Wir haben bald geschafft!“
Er musste einfach durchhalten.

Den Tag verbrachten wir noch damit, der Straße zu folgen, die immer schmaler wurde.
Es wirkte fast so, als wollte niemand hierher.
Auch die umliegende Gegend wirkte ziemlich verlassen.
Doch bald konnten wir die Burg schon sehen.
Castell Lazar. Das musste es sein.

Sie ragte in der Ferne auf und war an einem kleinen Berg gelegen.
Der Aufstieg würde sicherlich noch etwas Kraft kosten, doch dann hatten wir es endlich geschafft.
Dann waren wir am Ziel angekommen.
Ich blickte in den Himmel.
Noch war es hell, doch der Stand der Sonne verriet, dass es bald schon wieder dunkel werden würde.
Der herannahende Winter sorgte dafür, dass es immer früher dunkel war.
Wenn wir uns jetzt beeilten, würden wir noch in der Dämmerung ankommen.
Das war wesentlich angenehmer, als in kompletter Finsternis zu laufen.

Tahn schleppte sich den Berg hinauf.
Er war ruhig geworden, was wohl ein Zeichen dafür war, dass es ihm wirklich schlecht ging.
Ich ließ ihn vor mir her laufen, denn so bekam ich früh genug mit, wenn er umkippen wollte.
Das erste, was wir tun mussten, war also, einen Heiler zu finden.
Jemand, der sich wirklich mit den Wunden auskannte und nicht nur sagte, dass die Wunden angeblich versorgt seien.

Wieso hatte ich nicht selbst noch einmal nachgeschaut?
Doch leider hatte ich nie gelernt, Wunden zu nähen… Ich konnte lediglich Odin um seine Mithilfe bitten.
Und das würde hier vielleicht nicht mehr helfen…
Tahn hatte offensichtlich Fieber… Vermutlich Wundbrand?
Zumindest sprachen alle Anzeichen dafür.

Wir folgten dem Steinweg hinauf. Das Tor der Burg war schon in Sicht.
Wir hatten es also geschafft.
Castell Lazar.
Was würde uns dort wohl erwarten?

 

Karte Castell Lazar

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