Rhavin brachte uns von Rutgard aus zurück. Dort trennten sich unsere Wege, weil ich mit Tahn zurück nach Falkenhain reisen wollte. Einerseits hatte ich dort meine Brosche aus Vahrym vergessen und andererseits wollte ich einfach nochmal schauen, ob alles gut war. Nach der langen Zeit Zuhause vermisste ich meine Eltern jetzt schon.

Der Frieden in Falkenhain schien auch Tahn gut zu tun. Und trotzdem wusste ich dank der Magier von Rutgard, dass wirklich etwas in seinem Kopf war, was dort nicht hingehörte.
Ich war froh, dass Rhavin sich bereit erklärt hatte, mal nachzuforschen. Vielleicht würden wir gemeinsam eine Lösung für Tahn finden können.
Und dann war da noch die Tatsache, dass ich offenbar etwas auf der Stirn trug, an das ich mich nicht erinnern kann. Eine Art Narbe oder so ähnlich.
Es war schon wieder so viel los und ich sehnte mich nach der Ruhe in meiner Heimat. Einfach nur auf die Jagd und aufs Holzfällen konzentrieren…

Die Taverne

Die Sonne verschwand langsam am Horizont und so mussten Tahn und ich uns bald eine Unterkunft für die Nacht suchen. Das Land war karg und ein paar Einwohner sprachen von einer Seuche. Nicht schon wieder!
Wir hatten zwar noch zwei Fläschchen mit dem Seuchengegenmittel von Ylva dabei, doch darauf wollten wir es nicht ankommen lassen. Vorsicht war also geboten.

Ein Tavernengebäude tauchte bald vor uns auf. Vielleicht würden wir hier eine Bleibe für die Nacht finden. Tahn war sicher zufriedener, wenn wir nicht im Wald schliefen. Auf der anderen Seite fühlte ich mich im Wald wesentlich sicherer.
Aber immerhin würden wir uns hier wohl für einen Moment ausruhen können.

Tahn und ich saßen zusammen und aßen etwas Brot und Käse.
Meine Gedanken kreisten um die Narbe an meiner Stirn, um Rashkar, um Tahn, um meine Heimat und um den erkrankten Jarl Aegir. Es stand fest, dass wir nicht lange in meiner Heimat bleiben konnten. Ich musste bald zu Batras, um ihn nach dem Gegenmittel zu fragen. Und dann würde ich noch ein ernstes Wörtchen mit Jarl Halvdan sprechen. Immerhin hatte ich jetzt die Bestätigung eines anderen Jarls, dass nicht jeder Jarl so handeln würde wie Jarl Halvdan.

Ich sprach mit Tahn und hoffte, von ihm etwas von seinem Ritterschlag zu erfahren, als ein edel gekleideter Mann zu uns kam. Er trug einen Wollmantel in rot, um seinen Hals war etwas seltsam-plüschiges, das ich schon öfter bei Adligen gesehen hatte. Trotz allem schien er ganz nett zu sein und stellte sich uns mit einem unfassbar langem Namen vor, den ich mir nicht einen Augenblick lang merken konnte. Ich sah kurz zu Tahn. Ob sein richtiger Name auch so lang war?

Immerhin konnten sich die beiden über Ritter unterhalten. Der Mann erzählte uns von seinem Heimatland und dass es dort riesige Pflanzen gab, die manchmal sogar Menschen fraßen. Davon hatte ich noch nie gehört und es klang sehr interessant.

Die Stimme

Während wir uns so unterhielten, erklang auf einmal direkt hinter uns eine Stimme. Sie war ungewöhnlich tief und ruhig, doch ich konnte nicht verstehen, was gesagt wurde.
Ich schlich mich langsam in die Richtung und sah mich immer wieder um. Tahn und der adlige Mann folgten mir. Es stellte sich heraus, dass dort ein Baum zu uns sprach. Etwas ungewöhnlich, aber nicht überraschend.

Seine Sätze reimten sich stets, so als wäre der Baum ein Barde. Es ging um verschmutztes, schwarzes Wasser und darum, dass in der Umgebung kaum noch Tiere waren. Wenn ich so darüber nachdachte, hatte ich wirklich in der Umgebung der Taverne kaum Tiere gesehen.
Was war hier nur geschehen?

Ein bisschen weiter entfernt sahen wir einen laufenden Busch. So verrückt es klingen mag, doch er lief herum und schien Laub beiseite zu kehren. Was war das nur für ein Wesen?
Wir liefen auf ihn zu und sprachen mit ihm.

Es stellte sich heraus, dass er mit uns sprechen konnte. Er schien zwar Menschen nicht besonders zu mögen, doch er akzeptierte uns, als wir ihm halfen, den Boden von Scherben und Dreck zu befreien. Sein Wunsch war es, hier einen Garten anzulegen. Eine schöne Idee. Ich wollte lieber nicht erwähnen, dass mein Vater ein Holzfäller ist – das hätte dem naturgefälligen Busch sicher nicht gefallen.

Wir wollten ihm noch weiter helfen und klares Wasser und weitere Naturelemente sammeln, doch als wir uns von ihm entfernten, kamen ganze Gruppen von Menschen zu ihm. Ich kannte das schon: Sie würden sich darum kümmern und er würde unsere Hilfe nicht mehr benötigen. Schade, ich hätte ihm gern geholfen.

Die Magier und der Geweihte

In der Taverne trafen wir auf drei Personen, mit denen sich unser Freund bereits bekannt gemacht hatte. Sie sprachen ihn mit Caballero an, das konnte ich mir merken. Wir setzten uns zu ihnen.
Zwei von ihnen waren Magier, einer war ein Geweihter. Das war eine Art Priester, jedoch habe ich vergessen, welche Götter er verehrte.

Erst als wir schon eine Weile dort saßen, fiel mir ein, dass zwei von ihnen ja Magier waren. Die Frau hieß Agathe und der Mann Linus. „Ihr seid Magier“, überlegte ich laut und verschluckte mich beinahe an einem Stück Käse. „Könnt Ihr Euch Tahn anschauen? Er hat irgendwas im Kopf…“

Wie immer fragten sie, ob er nicht einfach etwas an den Kopf bekommen hatte und warum ich glaubte, dass etwas mit seinem Kopf nicht stimmte. Die Frage nach seinem Namen und seinem Pferd hatten sich in Rutgard als gutes Beispiel bewährt, also wiederholte ich die Frage. Tahn antwortete verlässlich auf die gleiche Art und Weise, also war den anderen klar, dass etwas mit ihm nicht stimmte.

Agathe meinte, dass sie Magie hören konnte. Ich sah sie neugierig an – solche Magier habe ich noch nie kennengelernt!
Dazu holte sie eine Art Flöte heraus, die genau anders herum funktionierte: Sie wurde ans Ohr gehalten und verstärkte Geräusche, anstatt welche zu erzeugen.

Doch sie kannte den Spruch nicht mehr, den sie sagen musste. Allgemein wirkte sie ziemlich nervös. Bei beiden Magiern handelte es sich auch um angehende Magier, also hatten sie noch viel zu lernen.
Linus hatte eine Brille, mit der er angeblich magisches Können sehen konnte. Als ich durch die Brille schaute, sah allerdings alles gleich aus – nur in einen seltsamen Blau-Ton gehüllt. Er meinte, dass Magie vielleicht blau aussieht… Aber das hieße ja, dass hier alles magisch war? Ich verstand es nicht und gab ihm die Brille zurück.

Tahn

Agathe hingegen sah sich Tahn genauer an und stellte ein paar Sachen fest, die mir noch nicht aufgefallen waren. Ich schrieb sie auf. Ich war schockiert, dass mir vollkommen offensichtliche Dinge in den Jahren, in denen ich Tahn nun schon begleitete, nicht aufgefallen waren.

Später holte sie noch einen Magier dazu, den ich bereits von Kapitän Nessa kannte – er war sowas wie ihr Begleiter. Er sah sich Tahn genauer an und fand auch einiges heraus. Offenbar blockierte etwas in Tahns Kopf seine Erinnerungen. Ich fragte mich, wie wohl Tahns richtiger Name war. Was, wenn ich ihn mir nicht merken konnte? Egal, immerhin hörte Tahn ja auf ‚Tahn‘ als seinen Namen.

Ich bedankte mich bei dem Magier, schrieb die neuen Erkenntnisse auf und dachte darüber nach.

Der Caballero bezeichnete den Apfel als Frucht der Erkenntnis, wodurch er seine Wirkung zu erklären versuchte. Als ich die anderen Früchte nannte, die Tahn bereits getestet hatte, war es jedoch weiterhin rätselhaft. Was genau bedeutete das? Warum gab es zu jedem Obst eine andere Wirkung? Um ehrlich zu sein wollte ich die ganzen Früchte, die wir noch nicht kannten, gar nicht ausprobieren. Trotzdem schrieb ich ein paar Früchte auf, die mir unbekannt waren.

Ich erinnerte mich an ein paar Früchte, die eine gute Wirkung auf Tahn hatten. Da war diese kleine, stachlige Frucht, die irgendwie seinen Erinnerungen half. Und diese andere, rote Frucht… Wo würde ich sie nur herbekommen? Vielleicht gab es zufällig in Bärenfels eine dieser Früchte? Ich hoffte nur, dass ich mich richtig an das Aussehen erinnern würde und ihm nichts Falsches gab… Das wäre eine Katastrophe!

Agathe erklärte sich bereit, Hilfe für Tahn zu finden, sofern wir sie auf den kommenden Reisen beschützen würden. Sie schien ziemlich gut darin zu sein, Leute aufzuspüren und um Hilfe zu bitten, also stimmten wir zu. Ich wusste zwar noch nicht, wohin sie reisen wollten, aber nach unserer Reise in die Heimat hatten wir auch kein festes Ziel, außer einmal Vahrym zu besuchen. Also konnten wir uns ihnen danach auf jeden Fall anschließen.

Runen

Ich nutzte die ereignislose Zeit, um in dem Runenbuch weiterzukommen. Es war schon mehr als ein Jahr vergangen, seit ich den vierten Zauber entschlüsselt hatte. Es waren noch so viele Seiten übrig… Was es noch für mich bereit hielt?

In diesem Gewölbekeller war nur wenig Licht und so fiel es mir schwer, die Zeichen richtig zu erkennen. Linus stellte ein Fläschchen auf den Tisch und redete damit. Seine Begleiter wiesen ihn an, sich doch zu entschuldigen und es nicht zu beleidigen. Ich horchte auf. Hatte dieses Fläschchen etwa Leben in sich?

Es stellte sich heraus, dass er mit Hilfe dieses Fläschchens Licht erzeugen konnte, doch offenbar hatte es einen eigenen Willen.
„Entschuldige Dich doch einfach“, schlug ich vor.
„Aber…“, widersprach Linus mir.
„Njet. Nicht aber. Sag einfach ‚Ah, tut mir Leid, wollte ich Dich nicht beleidigen.‘ oder so.“
Er zögerte.
„Mach es doch einfach.“, forderte ich ihn zum wiederholten Male auf.
Er gab seine Sturheit auf und entschuldigte sich. Das Licht im Fläschchen leuchtete auf und so konnte ich endlich die Zeichen in meinem Buch erkennen.

Der Caballero fragte mich nach dem Buch und ich erzählte ihm grob von den Runen, meinen Göttern und den Wundern, die ich mit Hilfe meiner Götter wirken konnte. Ich bezeichnete es zwar nicht als Magie, aber es ging beinahe in diese Richtung. Er fragte, ob es jeder erlernen konnte.
Dem stimmte ich zu, obwohl ich mir nicht ganz sicher war. Solange man an Odin glaubte, ihm diente und Dinge tun wollte, die in seinem Sinne waren, würde er einem die Kraft doch gewähren? Ich war mir nicht sicher, immerhin hatte ich noch keine andere Runenkundige getroffen.

Liebesbriefe

Der Caballero hatte ein Kartenspiel dabei, das er uns erklärte. Im Spiel ging es darum, der Prinzessin einen Liebesbrief zu schreiben. Jede Karte hatte eine verschiedene Wirkung und so musste man beispielsweise erraten, welche Karte ein anderer auf der Hand hatte. War man erfolgreich, so flog derjenige, dessen Karte erraten wurde, raus. Das Ziel war es, am Ende noch im Spiel zu sein und die Karte mit der höchsten Punktzahl zu haben.

Am Anfang verlor ich, doch später wurde es besser und ich gewann zweimal. Natürlich spielten wir um Kupfer. Tahn war auch ziemlich gut in dem Spiel.

Nessa, die Kapitänin, die wir schon öfter getroffen hatten und die Tahn schon einmal das Leben gerettet hatte, kam zu uns an den Tisch und sprach mit uns. Später wollte sie sich zu uns setzen, hatte aber erstmal zu tun.

Der Keller

Im Gang nahe an unserem Tisch fielen regelmäßig Menschen zu Boden und beklagten sich über Übelkeit oder waren gar ganz bewusstlos. Tahn und ich fragten nach, was mit ihnen los war und sie erzählten etwas von einem Keller, in dem es stinkt und gefährlich ist. Wenn sie dort unten waren, wurde ihnen so übel.
Obwohl es spätestens nach dem zweiten Vorfall jedem klar gewesen sein müsste, gingen weiterhin Menschen nach unten und kamen im gleichen Zustand – mit Übelkeit und Schmerzen – wieder hinauf. Lernten sie denn nicht aus den Fehlern der anderen? Ich wunderte mich darüber und fragte mich, was sie damit wohl bezwecken wollten. Aber da sie keine Hilfe brauchten, hielt ich mich daraus.

An unserem Tisch führten wir weitere Gespräche über Nehemar, den Ort, von dem der Caballero stammt. Agathe, die Magierin in Ausbildung, die Magie hören konnte, besaß ein Buch mit Zähnen… Ich fragte mich, ob es auch Menschen fressen konnte und, ob es Papier fraß. Der Gedanke, dass ein Buch seine eigenen Seiten frisst, beschäftigte mich. Das war interessant.

Bei dem anderen Magier in Ausbildung – Linus – handelte es sich scheinbar um eine vielfältige Persönlichkeit, denn er besaß auch Alchemie-Kenntnisse und konnte gut dichten. War er damit ein Magie-Alchemisten-Barde? Interessante Berufung.

So endete der Abend in der Taverne bald und Tahn und ich suchten uns einen Schlafplatz im Wald. Die Taverne war uns zum Schlafen dann doch nicht geheuer mit all den Seuchen, die sich herumtrieben und mit dem, was sich in diesem komischen Keller befand. Am nächsten Tag würden wir weiter nach Falkenhain reisen. Ich kann es gar nicht erwarten, meine Eltern wiederzusehen.

Und trotzdem fiel es mir schwer, einzuschlafen, weil ich mir Sorgen um Tahn machte. Was war ihm nur widerfahren?

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